Berlin. Die Schauspielerin erzählt, weshalb die Rolle der großmäuligen Göre echte Kunst ist – und was sie an „Chantal im Märchenland“ liebt.

Jella Haase machte schon früh auf sich aufmerksam, etwa mit dem Teenagerdrama „Lollipop“ (2011) oder dem Neonazidrama „Kriegerin“ (2012). Populär wurde sie dann als großmäulige, leicht unterbelichtete Chantal in den „Fack ju Göhte“-Filmen von Bora Dagtekin (2013-2017). Seither hat die 31-Jährige die unterschiedlichsten Rollen gespielt, vom Psychiatriedrama „4 Könige“ (2015), bis zur Literaturverfilmung „Berlin Alexanderplatz“, die ihr einen Deutschen Filmpreis einbrachte. Zuletzt wurde eigens für sie die Action-Serie „Kleo“ (2022) um eine Ex-Stasi-Killerin konzipiert. Und nach sieben Jahren Pause schlüpft Jella Haase noch einmal in ihre bekannteste Rolle und mischt als „Chantal im Märchenland“ selbiges auf.

Frau Haase, was war Ihre erste Reaktion auf die Anfrage, noch einmal die Chantal zu spielen?

Als mir Regisseur Bora Dagtekin erzählte, wie er sich den Film vorstellt, saßen wir uns gegenüber. Und ich habe über seinen Kopf hinweg, wirklich wahr, auf einmal Schlösser und Drachen gesehen. Da ging wirklich die Fantasie mit mir durch, beziehungsweise habe ich mich in seiner Fantasie vorgestellt. Und mich einfach nur gefreut.

Nach Ihrem ersten „Fack ju Göhte“-Film glaubten manche Leute, Sie spielen gar nicht, sondern seien auf Typ gecastet. Gab es da auch Vorbehalte, diese Rolle noch einmal aufzunehmen?

Ja, das war komisch. Einige Leute konnten da offensichtlich nicht differenzieren. Aber ich hatte trotzdem nie das Gefühl, auf etwas festgelegt zu sein. Oder mich von einem Rollenklischee befreien zu müssen. Ich denke, da ist etwas passiert, was ich erst mit dem zeitlichen Abstand verstanden habe, dass da ein gewisser Mechanismus gegriffen hat. In den Medien wollte man mich vermeintlich aufwerten, im Sinne von: Sie kann mehr als nur Chantal. Was aber immer implizierte, dass das keine schauspielerische Leistung gewesen sei. Aber ich hatte nie ein Problem mit Chantal. Und hatte totale Lust auf den neuen Film. Das Konzept hat mich einfach umgehauen.

Sie spielen diesmal keine Nebenfigur, sondern die Titelfigur. Ist man da noch mal anders gefordert? Oder hat Sie das gerade gereizt?

Ach, Bora fordert immer alle gleich. (lacht) Und mit jedem Teil wurde meine Rolle ja größer. Klar, die Hauptfigur zu spielen, ist noch mal eine andere Herausforderung. Aber wenn das Spaß macht, erfüllt es einen auch. Mich hat vor allem gereizt, dass Chantal hier aus dem bekannten „Fack ju Göhte“-Kosmos heraustritt und zur Heldin avanciert. Der Film hat eine schöne Message. Und das ist momentan meine Agenda: Wir leben in schwierigen Zeiten, überall ist Krise, Krise, Krise, alle bekriegen sich nur noch. In diesen schwierigen Tagen möchte ich die Leute mit diesem Film einfach fröhlich machen. Ich möchte, dass Menschen zusammen kommen und lachen. Das ist etwas, was wir dringend brauchen. Und wenn das einer schafft, dann Bora. Der neue Film ist vielleicht auch was für die, die mit „Fack ju Göhte“ nichts anfangen konnten.

Prinzessin Amalia (Maria Ehrich, Mitte) findet Zeynep (Gizem Emre, links) und Chantal (Jella Haase, rechts) außerordentlich entzückend – Szene aus der Komödie  „Chantal im Märchenland“.
Prinzessin Amalia (Maria Ehrich, Mitte) findet Zeynep (Gizem Emre, links) und Chantal (Jella Haase, rechts) außerordentlich entzückend – Szene aus der Komödie „Chantal im Märchenland“. © dpa | Gordon Timpen

„Chantal im Märchenland“ ist kein klassischer Märchenfilm, Sie räumen vielmehr im Märchenland auf, brechen mit Geschlechterklischees und dürfen gegen Drachen kämpfen. Ist so ein Szenario ein Geschenk?

Ich wollte mit der Figur der Chantal explizit was anderes erzählen. Das ist mir ein wirkliches Bedürfnis, an junge Mädchen heranzutreten und zu sagen: Akzeptiert euch, wie ihr seid! Es bringt nichts, ständig an uns rumzudoktern, man muss bei sich ankommen. Bei dem Film habe auch ich immer meine eigenen Vorstellungen vom Frausein überdacht. Ich bin selbst nicht frei davon, mich mit anderen zu vergleichen oder zu denken, ich müsste anders aussehen, um irgendwas zu entsprechen.

Macht das nicht gerade Ihre Laufbahn aus, dass Sie eben keinen gängigen Klischees entsprechen?

Ich passe halt einfach nicht so in eine Schublade rein. Leute wollen labeln, das verstehe ich auch. Das war vielleicht auch mit der Chantal-Figur so: Dass man da wirklich nur die Göre von der Straße sehen wollte und das nicht als Schauspiel ansah. Aber das ist auch ein Glück, dass man kein Label ist. Ich habe auch das Gefühl, dass die Rollen mich aussuchen. Die kommen an mich heran, viele werden sogar für mich entwickelt, manche Autoren haben mich vor Augen, wenn sie schreiben. Das ist total schön.

Sie haben wieder mit Bora Dagtekin gedreht, und wieder spielen auch Gizem Emre und Max von der Groeben mit. War das wie eine Art Klassentreffen?

Ja, das kann man wirklich so sagen. Ich bin so dankbar für die Freundschaft mit Max und Gizem. Wir vertrauen uns so, dass wir richtig freidrehen konnten. Wir alle wissen, was wir voneinander erwarten können. Wir wissen auch um unsere Macken. (lacht) Aber wir haben immer eine tolle Zeit. Das sind Menschen, die ich in meinem Leben nicht missen möchte.

Wie war das, plötzlich Prinzessin zu sein und in einem Prinzessinnenkleid zu stecken? Sie sollen ja regelrecht darin eingenäht worden sein.

Das war echt wie ein Märchen: Dass solche Kleider eigens für mich entworfen wurden. Unsere Kostümbildnerin Esther Waltz hat sich selber übertroffen, da sind Träume in Erfüllung gegangen, mir kamen da wirklich die Tränen. Vor allem aber, weil ich in einem Prinzessinnenkleid stecke – und dann diese Rolle brechen darf.

Was hat Ihre Oma dazu gesagt? Die hat ja auch mal eine Prinzessin gespielt…

Leider ist meine Oma ist zu der Zeit, als sich entschieden hat, dass wir den Film drehen, gestorben. Ich konnte ihr aber noch erzählen, dass ich eine Prinzessin spielen werde. Meine Oma war nämlich sehr konservativ. Und sie hat selbst mal eine Prinzessin in einem Theaterstück gespielt, die Prinzessin auf der Erbse. Deshalb hat sie gefragt, ob ich auch eine werde. Und Bora hat mir dann extra eine Prinzessin auf der Erbse ins Drehbuch geschrieben. Sie wird jetzt, von da oben aus, zuschauen.

Wie war das eigentlich in Ihrer Kindheit: Waren Sie ein Märchen-Kind, sind Sie damit aufgewachsen?

Nein, gar nicht. Ich werde das gerade immer wieder gefragt. Und muss deshalb unbedingt mal meine Eltern fragen, ob sie das bewusst forciert haben, dass wir nicht mit Märchen aufgewachsen sind, oder ob die uns einfach nicht interessiert haben. Ich erinnere mich, dass uns ein paar Märchen vorgelesen wurden, aber davon hat sich nichts eingebrannt. Ich bin mit anderen Geschichten und anderen Rollenbildern großgeworden, mit Pippi Langstrumpf und den Wilden Hühnern.

Und haben Sie die Märchen jetzt, in der Vorbereitung, noch mal anders kennengelernt?

Ich bin, wie wohl viele, schon so sensibilisiert, dass ich nicht mehr unkritisch darauf gucken kann. Ich finde auch gut, dass man seinen Kanon überdenkt. Die Gesellschaft hat sich sehr verändert, vor allem das Bild der Frau. Aber bei den Gebrüdern Grimm ist die Stiefmutter immer die Böse. Das hat sich ganz tief in die Seele eingefressen. Ist doch krass: Wir leben heute mit Patchworkfamilien, und doch gibt es immer noch diese uralten Klischees, die man nicht aus den Köpfen kriegt. Da muss man mal feministisch aufräumen. Und das machen wir hier. Aber nicht mit dem Zeigefinger, sondern mit dem Stinkefinger.

Alle „Fack ju Göhte“-Filme zählen zu den größten Kassenhits. Wie groß ist da der Erwartungsdruck, dass es wieder so gut werden muss?

Natürlich gibt es einen gewissen Druck. Aber ich habe versucht, das nicht an mich rankommen zu lassen und mich davon zu befreien. Ich denke, der Film wird die Menschen erreichen, die er erreichen soll. Und die werden sich freuen. Da bin ich ganz zuversichtlich.

Es gibt bald noch eine weitere Fortsetzung: Von „Kleo“ wurde gerade die zweite Staffel gedreht.

Ja, das letzte Jahr war taff. Da habe ich im wahrsten Sinn des Wortes durchgedreht. Ich hatte noch nicht mal eine Woche Pause zwischen den Figuren. Und ich liebe die Figur der Kleo so. Dabei hatte ich anfangs echt Angst davor. Ich wusste nicht, ob ich die Rolle spielen soll. Eigentlich genau wie bei Chantal. Das waren beides Sprünge ins kälteste Wasser. Wo du nicht weißt, ob du weich landest. Aber selbst, wenn nicht – auch das wäre okay. Man muss alles ausprobieren. Und Erfahrungen sammeln.