Braunschweig. Das Städtische Museum Braunschweig feiert die Kunstpromoterin Galka Scheyer, ihre Braunschweiger Anfänge und die Erfolge in Hollywood.

In Europa waren die Künstler Intellektuelle. In Amerika gehörten sie wohl schon vor Andy Warhol zur Pop-Art. Warnend berichtet der aus Amerika stammende, aber am Weimarer Bauhaus lehrende Maler Lyonel Feininger, seine Kunstagentin Galka Scheyer möge sich daher keine Illusionen machen, wenn sie ihn, Kandinsky, Klee und Jawlensky auf dem dortigen Kunstmarkt etablieren wolle. Man kauft impressionistisch in den USA in jenen 20er Jahren, als Galka über den Ozean setzt.

Aber die junge Frau aus Braunschweig, Tochter einer jüdischen Konservenfabrikantenfamilie, weiß sich offenbar in die Neue Welt zu fügen. Sie entwickelt für ihre vier Malerkönige ein Logo, die Blaue Vier, das nicht von ungefähr an die „The Big Four“ genannte Eisenbahngesellschaft erinnert. Aber natürlich auf den Blauen Reiter referiert, der Münchner Expressionistenvereinigung, der Kandinsky, Klee und Jawlensky angehört hatten. Unter diesem Logo bespielt sie verschiedene Galerien. Und „Galka Scheyer unddie Blaue Vier“ heißt nun auch die Porträtausstellung, die das Städtische Museum Braunschweig der einstigen Mitbürgerin ausrichtet.

Bilder unter Wäsche versteckt

Fast 80 Jahre nach Galkas Tod in Los Angeles und immer noch 12 Jahre nach ersten Ideen zu einer solchen Schau, wie Kulturdezernentin Anja Hesse unterstrich, schafft die Sonderausstellung den Sprung aus der Braunschweiger Gutbürgerlichkeit nach Hollywood. Feierten Bern und Düsseldorf 1998 in ihrer Schau vor allem die Künstler der Blauen Vier, liegt nun, sehr richtig für Braunschweig, der Schwerpunkt auf Galka Scheyer.

Galka Scheyer: „Dame im Lehnstuhl“ aus der Schau „Galka Scheyer und die Blaue Vier“ im Städtischen Museum Braunschweig.
Galka Scheyer: „Dame im Lehnstuhl“ aus der Schau „Galka Scheyer und die Blaue Vier“ im Städtischen Museum Braunschweig. © Andreas Berger | Andreas Berger

Wobei nicht das bürgerliche Milieu und die Geschichte der jüdischen Familie nachgezeichnet werden: Der Zwangsverkauf der Firma zur Zeit des Nationalsozialismus, die von Galka vermittelte Ausreise der Brüder, während es für die Mutter dann nicht mehr gelang, auch das Herausschmuggeln der verfemten Gemälde in Wäschebergen werden nur in einem Exkurs erwähnt. Das hätte man doch noch mehr veranschaulichen sollen.

Emmy wird Renée wird Galka

Dagegen nimmt Galkas künstlerische Entwicklung in Braunschweig und mit den hiesigen Künstlerfreunden auf Reisen u.a. nach München und Italien dankenswert großen Raum ein, indem viele der Gemälde aus jener Zeit präsentiert werden. Sieht man etwa das nächtliche Münchner Rathaus, wie es ihr Lehrer Charles Palmié in spätimpressionistischer Düsternis auf die Leinwand gepixelt hat, so erinnert das natürlich an Monets Kathedralenserie, bringt aber eine melancholischere Variante ins Spiel. Nicht zu unterschätzen aber auch das liebermannsche Interieur ihres Freundes Gustav Lehmann, sein Sonnenflimmern am Gardasee oder die fröhlich getupfte Strandszene am Lünischteich in Riddagshausen von ihrer Freundin Käthe Evers.

Galkas Jugendfreund: Gustav Lehmann: „Mittagssonne am Gardasee“, 1911, aus der Ausstellung „Galka Scheyer und die Blaue Vier“ im Städtischen Museum Braunschweig.
Galkas Jugendfreund: Gustav Lehmann: „Mittagssonne am Gardasee“, 1911, aus der Ausstellung „Galka Scheyer und die Blaue Vier“ im Städtischen Museum Braunschweig. © Andreas Berger | Andreas Berger

Galka wirkt da immer schon etwas kühner, ihre Farben sind satter, trotziger und bald schon klar expressionistisch eingesetzt, wie die großartige Komposition einer ziemlich offenherzigen Dame im Lehnstuhl offenbart, die an Kirchner erinnert. Spannend auch das teils ausgekratzt wirkende Spiegelbild einer Dame am Frisiertisch. Noch heißt sie Emmy, wie zur Geburt, signiert hier schon mit Renée, der Wiedergeborenen, und wird dann in Amerika auch offiziell Galka, die Dohle, wie sie Jawlensky auf Russisch nannte.

Gemäldeschau auf Partys

Wohl auch weil die schwarzhaarige Schöne sehr energisch, eloquent und durchsetzungsfähig war. 1924 schließt sie den Vertretungsvertrag mit den Künstlern der Blauen Vier, ihre eigene Künstlerinnenkarriere verfolgt sie nicht mehr weiter. „Sie wollte künstlerisch nicht hinterherhinken“, erläutert Museumsdirektor Peter Joch, „sie war eine Powerfrau, aber künstlerisch fühlte sie, dass sie nicht die Avantgarde darstellen würde, da hat sie sich lieber für die anderen eingesetzt.“

Wassily Kandinsky: „Kühle Streifen“, 1930, lässt sich gegenständlich deuten, die Formen nähern sich der Abstraktion.
Wassily Kandinsky: „Kühle Streifen“, 1930, lässt sich gegenständlich deuten, die Formen nähern sich der Abstraktion. © Andreas Berger | Andreas Berger

Ihre Methoden dabei waren vielfältig und sehr amerikanisch, unterstreicht Ausstellungskuratorin Bianca Strauß. So lädt sie regelmäßig in ihre Villa über den Hügeln von Los Angeles ein, wo Künstler und Society von Hollywood bei Partys mit den expressionistischen Gemälden vertraut gemacht werden. Greta Garbo kann sie immerhin vom Impressionismus abbringen. Galka gibt auch Malkurse für Kinder aller Schichten, in der Jugend liege die Zukunft der Kunst, findet sie. Die Gemälde ihrer Blauen Vier hängt sie gern auf verschiedene Höhen, als tanzten sie über die Wand, und zofft sich dafür mit den Galeristen.

Einsamer Tod in Hollywood

Und es gibt ja auch diese tanzenden abstrakten Figuren auf Kandinskys eher rhythmischen Kompositionen, bei Feininger die stürzenden Architekturlinien, bei Klee diese kinderhaften Krakeleien. Vielleicht hätte man ihre Bilder, aus internationalen Sammlungen entliehen, nun auch in Braunschweig mal so wild hängen sollen. Statt sie nicht immer einleuchtenden Themeninseln zuzuordnen.

Alexej von Jawlensky: „Mystischer Kopf (Bildnis Emmy Scheyer), 1917. 
Alexej von Jawlensky: „Mystischer Kopf (Bildnis Emmy Scheyer), 1917.  © Städtisches Museum Braunschweig | Städtisches Museum Braunschweig

Am meisten entzieht sich Jawlensky mit seinen auf wenige Farbstriche reduzierten Geistköpfen dem in Amerika angesagten Pop: Von innen nach außen will er das Menschliche entfalten. Er ist eigentlich Galkas Liebling, aber auch am schwersten zu verkaufen. Sein „Mystischer Kopf“ zeigt ihr Porträt mit der charakteristischen Nase, kecken Farben, aber irgendwie etwas traurig wirkenden Augen. Dieser Künstler wusste seiner äußerlich so lebhaften Dohle tiefer ins Gemüt zu schauen. Namentlich nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird die finanzielle Situation Galkas schwierig, kaum einer hat mehr Geld für Kunst. Im Dezember 1945 stirbt sie an Krebs – inmitten ihrer Bilder.

Der Braunschweiger Dramaturg Gilbert Holzgang hat für die Ausstellungsvorbereitung den Nachlass gesichtet, seine inzwischen erschienene ausführliche Biografie Galka Scheyers findet sich jetzt in der Sonderschau quasi live bebildert. Lebendige Kunstgeschichte.

Bis 19. Mai Di.-So. und feiertags (außer Karfreitag) 11-17 Uhr.
Hauptsponsor Volkswagen Financial Services.
Umfangreiches Begleitprogramm mit Vorträgen, Konzerten und Solostück unter www.braunschweig.de/museum.