Braunschweig. Das Staatstheater Braunschweig zeigt Berlioz’ Oper „Béatrice et Bénédict“ als unterhaltendes Reenactment aus der Shakespeare-Zeit.

„Um elf Uhr Schlacht“ steht auf dem Schild. Na, das kann ja heiter werden. Tatsächlich treten die Kontrahenten vorm etwas heruntergekommenen Vereinsheim – Badezimmerfliesen mit Kiosk und Bällebad – in historischen Kostümen der Shakespeare-Zeit an, und schon sind wir mitten im neudeutschen „Reenactment“ eines wie immer völlig nutzlosen Krieges, dessen Sieg dann von allen Beteiligten fröhlich im Garten des Lokals begossen wird, möge das nun in Messina, Mascherode oder Meine stehen.

Regisseurin Franziska Severin kann mit diesem Trick Hector Berlioz’ komische Oper „Béatrice et Bénédict“ in Benita Roths üppiger Ausstattung am Staatstheater Braunschweig als schönen Historienschinken spielen und doch an entscheidenden Stellen, die Mitwirkenden sind ja von heute und lassen manchmal ihre Sneakers und Ballonseide sehen, Distanz halten. Um den Krieg geht es ja schon bei Berlioz und in Shakespeares Vorlage nicht, sondern um die heute auch nicht mehr so bewegende Frage, wer wen wann heiratet.

Kindertreckerrennen und Polonaise

Bei Héro und Claudio ist das sofort klar, sie setzen ihr Reenactment in weißem Festkleid und goldnen Pluderhosen gleich noch vorm Notar fort. Bei ihren Freunden Bénédict und der als langbeiniger Page gekleideten Béatrice herrscht dagegen intellektuelle Spiegelfechterei mit erotischer Unterspannung. Aber alle wollen sie aufs übliche Gleis bringen, da können sie zuletzt nicht widerstehen.

Ehrlich gesagt, das kommt im ersten Teil schwer in Gang. Einen ganzen prächtig singenden Chor in individuelle Typen zu verwandeln, ist nicht leicht, und im Brustton sprechende Opernsänger wirken auch nie natürlich. Leider hatte sich Berlioz ja für Sprechtexte entschieden, die in Braunschweig auf Deutsch gegeben werden, wohingegen man auf Französisch singt. Die Intrige zur Vereinigung Béatrices und Bénédicts findet nach Feierabend des Schlachten-Reenactments statt und bräuchte quasi Privatsprech. Aber Erwachsene beim Kindertreckerrennen und Honoratioren, die jedesmal einen Schluck nehmen, wenn sie „Bénédict“ sagen, entfalten eher behäbige Albernheit.

Von Berlioz komponierte Einlage eines Komponistenschicksals: Samarone (Maximilian Krummen) hat Erfolg mit einer Polonaise, seine Kantate war gescheitert.
Von Berlioz komponierte Einlage eines Komponistenschicksals: Samarone (Maximilian Krummen) hat Erfolg mit einer Polonaise, seine Kantate war gescheitert. © Thomas M. Jauk/StagePicture | Thomas M. Jauk/Stage Picture

Auch Bénédict schmeißt sich beim Horchen zunächst mal arg slapstickhaft hinter die Hecken. An sich ist Matthew Peña aber ein charmanter Spieler, dessen Bénédict das Aufkommen zarterer Gefühle mit seiner geistigen Perzeption des Konventionellen zu vereinen lernt. Peña hat sich in Charakterrollen wie Wagners Mime und zuletzt als strahlender Narraboth in „Salome“ ausgezeichnet, für die lyrischen Bögen des Bénédict fehlt es an Weichheit, da klingt sein prägnanter Tenor gerade in der Höhe oft zu grell.

Schöne Poesie mit steigenden Luftballons

Mit den Frauen geht die Regisseurin fantasievoller um, und vor allem: Sie kann Poesie. Wenn sich Hero und ihre Freundin Ursule zum nächtlichen Duett auf die Liebe vereinen und mit der alten Gartenschaukel langsam abheben, dann geht einem das Herz auf. Auch Romantik braucht Reenactment, und wenn dann noch die weißen Luftballons aufsteigen, Shakespeare-Figuren wie Hamlet und ein Ballerino die Bühne leise entern, dann feiert sich das Theater selbst als Ort des romantischen Zaubers.

Victoria Leshkevich bringt als Héro nicht nur einen zauberhaft lyrischen Sopran mit, der sich in der Arie zuvor koloraturgespickt immer noch eine Runde höher in Begeisterung treibt, sondern fügt sich auch wunderbar mit dem schönen weichen Mezzo von Anna Alàs i Jové ins Duett. Zachariah N. Kariithi singt mit sattem Bariton ihren Geliebten Claudio.

Prickelnde Musik mit dem Staatsorchester

Als Béatrice gestaltet Milda Tubelytė mit ihrem runden, seit langem herrlich füllig leuchtenden Mezzo farbenreich die große Selbstbefragungsarie, spielerisch wandelt sie selbstbewusst androgyn zwischen rhetorischer Brillanz und erotischer Neugier. Also, da kommt dann der Bénédict mit seinen ähnlich gemischten Gefühlen durchaus in Frage. Sie unterschreiben den Ehevertrag, Volk und Libretto sind befriedigt.

Aber vor dem Vorhang zerreißen sie ihn wieder – war auch bloß ein Reenactment, ihr Abenteuer wird frei und offen laufen. Wozu passend alle Mitwirkenden unter dem roten Vorhang hervorwinken, alles Theater, immer – ein herrlich shakespearscher Schluss.

So spritzig abenteuerlustig das endet, so begann es auch in der Ouvertüre. Mino Marani dirigiert mit allen Finessen, Lust am Volkstümlichen und Freude am Lyrisch-Melodiösen, wie es Berlioz höchst abwechslungsreich erfunden hat, teils auch fantasievoll instrumentiert mit Gitarre und Tambourin zum Chor. Unter Marani prickelt es im Staatsorchester, wird dann aber auch weich und warm und liebevoll. Großer Applaus, da war der etwas zähe Regie-Beginn schon vergessen. Eine schöne Repertoireentdeckung.

Wieder am 21. Februar, 1., 8., 16. März, 13., 19., 21. April, 1., 8., 17. Mai.
Karten: (0531) 1234567 oder www.konzertkasse.de.