Braunschweig. Die vergangene Spielzeit war die erste wieder ohne Corona-Regeln. Das Publikum kehrt langsam zurück. Welche Stücke kamen am besten an?
Wenn man augenblicklich ins Theater geht, ist fast alles ziemlich voll, beim Tanzstück zu Orffs „Carmina Burana“ oder den Sinfoniekonzerten sogar ausverkauft. Deshalb guckt Braunschweigs Generalintendantin Dagmar Schlingmann auch lieber auf die Auslastungszahlen der laufenden Saison. Aber wie lief 2022/23, die erste Saison, die nicht mehr von Corona-Einschränkungen wie Sitzabständen betroffen war.
150.011 Zuschauer wurden erreicht, vom Einführungsgespräch bis zum Weihnachtsmärchen, vom Wagner-Kegeln bis zur „Götterdämmerung“, vom Konzertgastspiel in Celle bis zu Cluesos Gastspiel im Großen Haus. Das ist deutlich weniger als bei unserer letzten Statistik vor Corona 2019, als mehr als 200.000 Besucher verzeichnet werden konnten. Allerdings handelt es sich um eine Saison, in die keine der beiden Burgplatz-Produktionen fiel: „Aida“ im Sommer 2022 zählte noch zur vorhergehenden, „Tosca“ im Sommer 2023 schon zur jetzt laufenden. Die stets gut besuchten Openair-Opern bringen meist rund 25.000 Zuschauer. Selbst mit einem Burgplatz würde aber das Vor-Corona-Niveau 22/23 nicht erreicht.
Zurückhaltung des Publikums beim Ausgehen inzwischen überwunden
„Die Anlaufschwierigkeiten hatten eigentlich alle Theater, und nicht nur die“, erklärt Schlingmann. „Es gab eine große Zurückhaltung beim Publikum, und auch so ein Theaterapparat musste erst seine alte Routine wiederfinden. Inzwischen stelle ich aber wieder eine große Lust der Menschen fest, auszugehen und eben auch ins Theater oder Konzert zu gehen.“
An den Besucherzahlen der Sinfoniekonzerte, die inzwischen im Großen Haus stattfinden müssen, lässt sich das erkennen, wo es ab Frühjahr 2023 aufwärtsgeht und oft nahe der 100 Prozent schrammt. Das wäre doch die Chance, die Nachfrage mit einem dritten Aufführungsabend pro Konzert weiter anzufeuern? Die Intendantin macht da erstmal keine Hoffnung: „Sinfonie- und Meisterkonzerte engen natürlich unsere Spielräume für das Repertoire im Großen Haus erheblich ein. Als das Staatsorchester noch in der Stadthalle spielte, konnten wir ja im Großen Haus parallel Schauspiel, Tanz oder Gastspiele anbieten. Da muss ich schauen, dass ich unser Gesamtprogramm in der Balance halte und insgesamt auf eine ausreichende Vorstellungsanzahl komme.“ Unbefriedigend. Das Publikum für ein künftiges Haus der Musik muss schon jetzt aufgebaut werden.
Gute Stückauswahl, Probleme bei der Vermittlung
Im Großen Haus bringt die Wiederaufnahme des Opern-Klassikers „Die Zauberflöte“ die meisten Besucher, gefolgt von zwei Familienstücken des Kinder- und Jugendtheaters: dem Musical „Annie“ mit dem Staatstheater-Jugendchor und der Weihnachtsproduktion „Robin Hood“. Gleich danach die Wiederaufnahme des von Tom Waits aufgerockten Büchner-Schauspiels „Woyzeck“. Ansonsten liegt das Große Haus auch bei Klassikern wie Wagners „Götterdämmerung“ oder Storms „Schimmelreiter“ bei halb bis ein drittel gefüllten Vorstellungen, während vor Corona Wagners „Der fliegende Holländer“ oder Lessings „Nathan der Weise“ zwei Drittel des Hauses füllten.
Im Kleinen Haus ist der Trend dagegen 2022/23 besser, da kommen die komödiantischen Produktionen von Oscar Wildes „Idealer Mann“ und „Stolz und Vorurteil oder so“ sogar über 200 Zuschauer pro Vorstellung, während diese Marge 2018/19 von keinem Stück dort geknackt wurde. Problematischer ist dagegen, dass gelungene Produktionen wie „Professor Mamlock“, ein Schauspiel über den aufkommenden Nationalsozialismus in der Weimarer Republik, ebenso wie „Dog Days“, eine Rockoper über dystopische Zustände in Amerika, offenbar nicht genügend vermittelt werden konnten. Das waren eigentlich die richtigen Stücke, auf die Schulen und Jugendgruppen eingehen sollten. Genauso wie ein kulinarisch orientiertes Publikum die süffige Ausstattungsoper „Dante“ offenbar zu spät für sich entdeckte. Fürs Bühnenbild gab es jüngst den Oper!-Award.
Enttäuschende Besucherzahlen beim Mehrsparten-„Ring“-Projekt
Viel überregionales Lob fuhr auch der erste Mehrsparten-„Ring“ ein, „so ein bundesweites Echo ist natürlich schön für ein Haus“, betont Schlingmann. Ein Publikumserfolg war er freilich in allen Sparten nicht. Während zur selben Zeit Kassel und Oldenburg versuchten, mit Wagners Opern-Vierteiler Visionen für eine Weltgemeinschaft zu entwickeln, und ausverkaufte Häuser erzielten. In Kassel etwa war der auf der Bühne agierende Bürgerchor ein wichtiger Transmissionsriemen in die Stadtgesellschaft, wohingegen in Braunschweig das Motto von der „Ausweitung des Ringgebiets“ nicht in Fahrt kam. Im Jugendtheater sogar konterkariert wurde. Im Tanztheaterstück „Siegfried“ gelang es dagegen, Wagners Intentionen sogar ohne Wagners Musik umzusetzen. Die Tanzsparte hat auch gleich nach Corona wieder ihre alten Zahlen erreicht. Mit „Carmina Burana“ dürfte sie das in dieser Saison noch deutlich toppen.
Dagmar Schlingmann hat jedenfalls für 2023/24 die 200.000er-Marke wieder im Visier: „Bislang läuft es sehr gut, und Zugstücke wie die ,Dreigroschenoper’ kommen ja erst noch!“
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