Braunschweig. Sinfoniekonzerte des Staatsorchesters sind häufig ausverkauft. Ein Gespräch über Zusatztermine, offene Stellen und das Haus der Musik.

Wer in Braunschweig Sinfoniekonzerte hören will, muss sich ranhalten, immer öfter sind die zweimal im Monat angebotenen Termine des Staatsorchesters ausverkauft. Und zwar restlos ausverkauft, inclusive Stehplätzen, wenn wie im Juni Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ oder wie im September Beethovens 9. Sinfonie mit dem Freuden-Chor auf dem Programm stehen. Damals verfolgte eine stattliche Anzahl Fans das Konzert sogar per Außenübertragung auf dem Theatervorplatz.

Nun gibt es ja nichts Schöneres, als Musik in vollem Haus zu genießen. Es gibt nicht nur bei Pop und Rock ein Gemeinschaftserlebnis, auch in der Klassik stiftet das gemeinsame Warten auf den Beginn, sorgen das Einstimmen des Orchesters auf der Bühne, das Wiedererkennen der schönsten, besonders emotionalen Stellen, das Entdecken eigenwilliger Interpretationen für ein Gefühl der Verbundenheit.

Konzerte sonntags zur Hälfte ausabonniert

Und das Staatsorchester, dessen Musikerinnen und Musiker in dieser Stadt und Region leben, hat natürlich eine oft auch persönliche Verbindung zu seinem Publikum. Seit die Sinfoniekonzerte wegen der Schließung der Stadthalle ins Große Haus verlegt werden mussten, übersteigt allerdings die Nachfrage nun schon seit Monaten deutlich das Platzangebot. Statt 2300 Plätzen pro Konzert stehen nun nur noch 900 zur Verfügung.

Sicher, die Stadthalle war in den letzten Jahren oft nicht mehr voll besetzt. Trotzdem ist der Abonnenten-Stamm gerade für die zehn Sinfoniekonzerte noch immer hoch, so dass nun eigentlich pro Konzert sonntags nur noch die Hälfte der Karten, montags zwei Drittel im freien Verkauf zur Verfügung stehen, und nicht immer die besten. Müsste man also nicht längst ein drittes Konzert disponieren, damit man sein Publikum auch ausbauen kann? Wenn irgendwann wirklich ein Haus der Musik mit Konzertsaal fürs Staatsorchester in Braunschweig mit angedachten 2000 Plätzen steht, sollte man doch auf einen möglichst großen Publikumsstamm bauen können.

Orchestermanagerin Julia Schoch und GMD Srba Dinić . 
Orchestermanagerin Julia Schoch und GMD Srba Dinić .  © Theater | Theater

Orchestermanagerin Julia Schoch freut sich natürlich über die große Nachfrage, die auch bei den ersten Konzerten dieser Saison angehalten hat, wo nach Tschaikowskys aufwühlender 5. Sinfonie durchaus weniger populäre Werke von Mozart und Schostakowitsch folgten. „Klar, dass wir auch darüber nachdenken, ob man jedes Sinfoniekonzert nicht nur zweimal, sondern sogar dreimal spielt, um mehr Menschen zu erreichen. Wir dürfen allerdings auch nicht am Bedarf vorbeiplanen. Wenn das dritte Konzert dann halb leer bleibt, macht das auch wieder einen traurigen Eindruck.“

Großes Haus auch mit Bühnenproben anderer Sparten belegt

Das Ganze sei eine große hauspolitische Frage. Denn die Termine im Großen Haus seien eng gesteckt. Würde man etwa am Dienstagabend ein drittes Konzert spielen, hätte das Auswirkungen auf die Probenmöglichkeiten der anderen Sparten, denn die Bühne stehe ja am Dienstag nicht leer, selbst wenn keine Aufführungen stattfinden. Es gebe dann Bühnenproben von Oper, Tanz oder Schauspiel, „und die klagen ohnehin schon, dass sie mehr Proben direkt auf der Bühne bräuchten. Die Probenspielstätten können die Originalsituation nicht ersetzen“, so Schoch. Insofern müsse das Orchester auch auf die anderen Sparten Rücksicht nehmen. „Im Übrigen würde ein drittes Konzert zusätzliche Kosten bereiten, wenn mit Gastsolisten oder -dirigenten gearbeitet wird. Und diese Künstlerinnen und Künstler müssten auch erstmal für einen weiteren Abend zur Verfügung stehen.“

Nun sind zurzeit wieder erfreulich viele junge Leute im Publikum zu sehen, die sich sichtlich hübsch machen, um ein großes Orchester und die ganz große Klassik zu erleben. Gerade Studierende von TU und HBK können im Rahmen ihres Semestertickets ab drei Tage vor der Vorstellung kostenlose Karten bekommen. Wenn dann nicht immer schon alles voll wäre, kämen vielleicht noch mehr? Muss man da nicht etwas auf Zulauf planen? Julia Schoch bekräftigt: „Natürlich würde sich das Orchester über einen dritten Aufführungsabend freuen.“ Im Augenblick würden aber aus genannten Rücksichten keine Anstalten getroffen, künftig mit einem dritten Konzerttermin zu planen.

Jedesmal neu einspielen auf die Schallsegel

Überlaufen sind übrigens nicht nur die Konzerte selber, sondern auch die Einführungsveranstaltungen. Sie fanden in Martin Wellers Amtszeit als Orchesterdirektor im Publikumsraum des Großen Hauses statt. Inzwischen wurden sie in die Hausbar im 3. Rang verlegt, wo deutlich weniger Platz ist, es herrscht da drangvolle Enge. Teilweise mussten zwei Einführungen hintereinander angeboten werden. Warum der Wechsel? „Es war der dringende Wunsch des Orchesters und des Generalmusikdirektors Srba Dinić, dass sich die Musikerinnen und Musiker direkt vor dem Konzert in Ruhe auf der Bühne einspielen können. Währenddessen darf das Publikum zwar schon im Saal sein, aber eine Einführungsveranstaltung mit Wortbeiträgen kann da natürlich nicht gehalten werden“, sagt die Orchestermanagerin.

Eben wegen der dichten Belegung der Bühne des Großen Hauses stehe auch dem Orchester eine Bühnenprobe weniger zur Verfügung als früher. „Und das ist bei den schwierigen akustischen Bedingungen im Großen Haus besonders heikel. Es kommt da alles darauf an, dass jedes Pult an der richtigen Stelle steht, je nachdem, wie die Schallsegel hängen, das muss direkt vorm Konzert nochmal ausprobiert werden.“ Jeder Musiker habe das Recht, sich vor dem Konzert einzuspielen. „Für uns hat klare Priorität, dass sich die Musiker optimal vorbereitet fühlen.“

Haus der Musik mit Konzertsaal dringend benötigt

So oder so, das Große Haus platzt. Die Hoffnungen des Staatsorchesters richten sich ganz auf das neue Haus der Musik, dessen Finanzierung noch offen und dessen Bau daher umstritten ist. Konzeptionell ist man offenbar schon weiter. „Wir hatten ausführliche Workshops zu den Anforderungen, die das Haus als Gemeinschaftsort für Städtische Musikschule und Staatsorchester erfüllen soll“, erzählt Schoch. Sie findet es super, dass so viel darüber gesprochen werde. Oberstes Ziel müsse eine tolle Akustik im Konzertsaal sein. Daher sei es wichtig, genaue Vorgaben zu machen, die die Architekten dann mitdenken müssen. „Es wird zurzeit sehr kreativ gedacht, und wir müssen hoffen, dass sich dann auch das Geld dafür findet.“ Das gelte auch für die Gesamtanmutung und das Umfeld, dessen Bebauung bei den in den Workshops beratenden externen Fach-Kollegen sehr kritisch gesehen wurde. Spannend sei es, mit welchen neuen Formaten man im neuen Haus gemeinsam mit der Musikschule auf ein neues Publikum werde zugehen können.

Das Staatsorchester erlebt derweil auch selbst einen Generationswechsel. Viele verdiente Kollegen haben aufgehört, darunter waren auch die beiden Konzertmeister Johannes Denhoff und Joachim Heimbrock. Ein Ersatz ist noch immer nicht angekommen, dabei haben Probespiele stattgefunden. „Wir wollen natürlich das hohe Niveau des Staatsorchesters halten, und bei der Auswahl solcher Spitzenkräfte stehen wir dann in anspruchsvoller Konkurrenz“, erklärt Julia Schoch. Viele junge Musikerinnen und Musiker wollten doch lieber in ein Rundfunkorchester ohne Operndienst im Graben oder in die Metropolen wie München oder Berlin. „Wir waren beim Ersten Konzertmeister schon sehr hoffnungsvoll, aber es hat dann doch nicht geklappt. Auch im Orchesterbereich gibt es einen Fachkräftemangel.“