Braunschweig. Dystopischer Blick auf die Vergangenheit der Zukunft: Die Ausstellung von Dennis Siering zeigt Plastik in Wasser, Sand und Organismen.

Von drauß’ vom trüben Winter schneit man rein in die Villa. Und wähnt sich plötzlich in einer Kapelle. Sakrale Anmutung jedenfalls. Überirdisch. Mitten in der schummrigen Rotunde ein Gefäß mit leuchtend blauem Wasser. Darin scheint ein Stein zu schweben. Umkreist von einem Lichtstrahl. Wie eine Reliquie.

Bei näherem Hinsehen erkennt man: Der Stein wird von einem Faden mitten im Wasser gehalten. Aber von unten. Sonst würde er darauf schwimmen. Rätselhaft.

Fundstücke vom Meeressaum

Die ganze Ausstellung des Frankfurter Künstlers Dennis Siering im Kunstverein Braunschweig ist, tja: schön. Da liegen abgeschliffene Kiesel in hügeligem Sand, da sind Fundstücke vom Meeressaum auf unterleuchteten Glasflächen ausgelegt wie archäologische Kostbarkeiten im Museum. In einem Video werden solche Fundstücke zu feierlich dräuender Klangkulisse von Licht und Wasser umflutet.

Eine Skulptur aus Sand mit Fundstück, geformt wie ein archäologisches Gräberfeld.     
Eine Skulptur aus Sand mit Fundstück, geformt wie ein archäologisches Gräberfeld.      © fm | Jasper

Fast könnte man sich im Heimatmuseum Husum wähnen, wo schlichtes Strandgut liebevoll drapiert wird, um Meeresromantik hervorzurufen. Doch spätestens bei einem Block aus gehärtetem Sand, der erkennbar von Plastikbehältern abgeformt wurde, dämmert dem Betrachter das raffinierte Spiel des Künstlers. Die „Sandburg“, in der wiederum Steine liegen, sieht aus wie ein archäologisches Ausgrabungsfeld en miniature.

Jedes zehnte Sandkorn ist eigentlich Plastik

Im Sand sind bunte kleine Körner zu entdecken. Plastik ist das Thema. Siering, ein ökologisch sehr kenntnisreicher Künstler, kreist in seiner Arbeit um Nano-, Mikro- und Pyroplastik. Er kennt Strände, an denen aufgrund von Flussmündungen und Meeresströmungen eine besonders hohe Konzentration davon herrscht. Er weiß, dass im Schnitt etwa jedes zehnte Sandkorn in Wirklichkeit aus Kunststoff ist, dass jährlich rund 400 Millionen Tonnen produziert werden, dass Plastikteile sich überall, auch im menschlichen Körper auszubreiten beginnen. „Die Folgen sind noch völlig unklar“, sagt er.

Ein Video im Spiegelsaal mit einem Tau aus dem Meer. 
Ein Video im Spiegelsaal mit einem Tau aus dem Meer.  © fm | Jasper

Und er weiß, dass Teile, die beim Verbrennen von Kunststoff entstehen, sich zu sogenanntem Pyroplastik verklumpen. Die Klumpen nehmen im Meer und am Strand allmählich die Formen und Färbungen von Steinen an. Und enthalten Gifte, die beim natürlichen Abschleifen freigesetzt werden. Diese „Steine“ können schwimmen. Und sukzessive auch töten.

Nun ist dies freilich keine naturwissenschaftliche Ausstellung mit apokalyptisch mahnendem Zeigefinger. Sondern: Hier wird Kunststoff zum Kunst-Stoff. Wie wird das Massenprodukt Plastik allmählich zum Bestandteil der Natur?

Per KI dramatisierter Wirbelsturm

Mehr noch: Indem Siering seine Plastiksteine in sandige Ausgrabungsstätten, auf Leuchttischen oder in „arte“-hafter Video-Ästhetik präsentiert, wirft er einen artifiziellen Blick in die Vergangenheit der Zukunft: Was werden künftige Forscher, wenn es sie noch geben sollte, an unkaputtbaren Resten entdecken, wenn sie unsere Zivilisation dereinst ausgraben? So gesehen erscheint der schwebende Reliquienschrein in der Rotunde als fataler Fetisch. Ein hochästethisches und zugleich makabres Spiel.

Freilich variiert die Ausstellung „Unnatural Territories“ im wesentlichen diesen einen Gedanken. Aber auch zwei andere Exponate umkreisen das Phänomen des Anthropozäns, also der menschengemachten Umwelt. Zum einen das riesige, per KI malerisch dramatisierte Foto eines Wirbelsturms: Schön. Stark, aber eben auch aufgrund des Klimawandels zunehmend zerstörerisch.

Und zwei schmale Zylinder, die an Geräte zur Tiefenbohrung erinnern. Darin jedoch – durch Glasspalten zu sehen – nicht nur Erde und Wurzeln, sondern auch Aluminium, Stahl, Beton, Kabel, Kunstharz. Hier scheint als künstlerisches Menetekel noch mehr als die kunststoffliche Durchdringung der Natur auf: das Ende der Natur.

Bis 25. Februar, Di.-Fr. 12-18 Uhr, Do. 12-20 Uhr, Sa./So 11-18 Uhr.