Wolfsburg. Die neue Ausstellung nimmt den Menschen in einer immer stärker automatisierten Arbeitswelt ins Visier. Sie könnte intuitiver vorgehen.

Spätestens nach fünf Minuten fängt die Mimik an zu zittern. Die Gesichtsmuskulatur zuckt ein bisschen, die Augen werden trocken, die Lider klimpern hektisch. Dann juckt auch noch die Nase, schnell mal kratzen. Den Stand korrigieren, weiter geht‘s: Lächeln, bitte!

Das Begrüßungskomitee der neuen Ausstellung im Kunstverein Wolfsburg, „Workers Forum“ von Anna Witt, besteht aus einer Gruppe Menschen, die aussehen, wie ein typisches Vorstandsfoto. Die Frauen in Hosenanzug oder Kostüm, die Männer im korrekten Anzug, in Posen, die wie einstudiert wirken. Nur, dass die lebensgroß projizierte Darstellung kein Foto, sondern ein Video ist. „Sixty Minutes Smiling“ heißt die Installation, wir sehen darin Schauspieler, die eine Stunde lang versuchen, als repräsentatives Foto dazustehen.

Anna Witt entwickelt ihre Kunstwerke in der Gruppenarbeit

Und als wäre das nicht unangenehm genug (für die Darstellenden), zeigt die zweite Projektion Nahaufnahmen der Porträtierten. Da sieht und fühlt man die nachlassende Muskelkraft, Motivation und Spritzigkeit noch ein bisschen deutlicher. Das muss irre weh getan haben, aber so deutlich sieht man das nicht. Es geht darum, die Fassade aufrechtzuerhalten, auch, wenn der Körper nicht mehr will. Einer von mehreren Aspekten des Arbeitslebens, die Anna Witt in ihrer Ausstellung in den Fokus nimmt.

„Sixty Minutes Smiling“: Nach spätestens fünf Minuten fängt das Lächeln an, zu zittern.
„Sixty Minutes Smiling“: Nach spätestens fünf Minuten fängt das Lächeln an, zu zittern. © regios24 | Darius Simka

„Das Thema Arbeit zieht sich wie ein roter Faden durch mein Werk“, sagt Anna Witt. Die Künstlerin strahlt eine zurückgenommene Ruhe aus, spricht lange und elaboriert, aber auch sehr verkopft über ihre Kunst. Es gehe ihr nicht so sehr darum, ihre eigene Meinung abzubilden. Der Dialog, die Auseinandersetzung mit anderen sei ihr Thema, sie wolle „einen alternativen Denkraum öffnen“. Die Arbeit sei dafür als Stoff gut geeignet, weil sie fast jeden betreffe und weil sie gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse widerspiegele.

Bei Toyota befragte Anna Witt Fließbandarbeiter zu ihrem Verhältnis zur Arbeit

Die Kunst, die Anna Witt im Kunstverein zeigt, ist das Ergebnis von Gruppenarbeiten. Die posierenden Schauspielerinnen und Schauspieler bilden die Ausnahme, weil sie im Vergleich zu den anderen Arbeiten fast statisch wirken. Dafür wohnt der Installation „Sixty Minutes Smiling“ eine Unmittelbarkeit inne, die es ermöglicht, auch ohne Begleittext eine Ahnung davon zu erhalten, worum es hier geht. Die Fassade bröckelt eben sehr sichtbar, und ihr wohnt eine gewisse tragische Komik inne.

Die weiteren Installationen sind da spröder. In der japanischen Stadt Toyota hat Witt etwa Mitarbeitende der dortigen Autofirma selben Namens zum Gespräch gebeten. Ihr Video zeigt die Gruppe im Gespräch über den Stellenwert von Arbeit und darüber, was es für sie als Menschen bedeuten würde, wenn die durch die Automatisierung von Arbeitsprozessen wegfiele. „Ich mag Musik, vielleicht würde ich anfangen, Gitarre zu spielen“, sagt einer. „Ich mag meinen Job nicht, aber ich habe jetzt auch nichts anderes, was ich gerne machen würde“, sagt ein anderer.

Installationen im Wolfsburger Kunstverein bleiben nicht bloß dokumentarisch

Zum Glück gelingt es Anna Witt, dass ihre Installationen nicht bloß dokumentarisch bleiben. Klar, der Austausch zwischen den Mitarbeitenden regt zum Reflektieren über das eigene Verhältnis zur Arbeit an. Aber wollten Sie schon mal einen Film über eine Gruppendiskussion sehen? Eben. Deshalb lässt Anna Witt ihre Protagonisten aus ihren Überlegungen Kunst machen. Zum Beispiel im Ausdruckstanz, den sie aus Elementen ihrer eigenen Arbeitsabläufe choreografieren (und sich dabei zum Teil das Lachen verkneifen müssen).

Japanische Fließbandarbeiter tanzen ihre Arbeitsabläufe nach.
Japanische Fließbandarbeiter tanzen ihre Arbeitsabläufe nach. © regios24 | Darius Simka

Dass die Fließbandarbeiter in dieser Körperlichkeit sehr gelöst, geradezu erlöst wirken, schafft einen schönen Kontrast zu den vergeistigten Debattenabschnitten. Der ist bei den japanischen Arbeitern deutlicher zu spüren als bei den Wolfsburger Berufsschülern der Carl-Hahn-Schule. Eine Klasse aus angehenden Fachlageristen zeigt Witt in „Bücken Heben Einlagern“ (den Titel wählten die Schüler selbst). Mithilfe von Exoskeletten mimen sie ihre zukünftigen Arbeitsabläufe in einer reduzierten und von minimalistischen Soundeffekten begleiteten Choreografie und reflektieren damit das Zusammenspiel von Mensch und Maschine als gemeinsamen Akt, anstatt als Rivalität.

Ausstellung im Kunstverein: Das Thema Arbeit passt nach Wolfsburg

Die Frage, wie viel Mensch die Arbeitswelt der Zukunft noch braucht, und inwieweit das auch eine ideologische Frage ist, verbindet die Videoarbeiten aus Toyota und Wolfsburg. Beide sind als Autoindustriestandorte nicht zufällig gewählt. Effizienzsteigerungen, auf unternehmerischer Seite als Profit steigernd gesehen, machten den Mitarbeitenden das Leben manchmal eher schwerer als leichter, sagt Witt. Die Toyota-Fließbandarbeiter befinden sich in dem Zwiespalt, sich zum einen vor einer Zukunft zu sorgen, in der sie durch Automatisierungsprozesse entbehrlich(er) werden, zum anderen aber auch ein Leben mit weniger Arbeit reizvoll zu finden.

Keine Frage, das Thema passt nach Wolfsburg. Die Frage nach dem Wert des Faktors Mensch in der Arbeit, vor allem eben da, wo es um den Körpereinsatz geht, wird am besten in einer Stadt gestellt, die die Auswirkungen dieser Überlegungen unmittelbar zu spüren bekommen wird. Die künstlerische Herangehensweise dürfte aber ruhig intuitiver sein. Anna Witt bemüht sich zwar um einen Anteil an Sinnlichkeit in ihren Werken, aber ihre Beiträge bleiben insgesamt sehr abstrakt.

Ausstellung „Workers Forum“ im Kunstverein fordert Gäste geistig

Das gilt auch für „Bond“, eine Videoinstallation, in der Jugendliche des Bremer Stadtteils Gröpelingen über ihr Gastarbeiter-Erbe sprechen. Zusammen sichten sie Archivmaterial aus den 1970er Jahren, das ihre Vorfahren etwa beim Gastarbeiterstreik zeigt. Anna Witt lässt die jungen Menschen reflektieren, was sich für sie heute geändert hat (sie mischen sich zum Beispiel mehr und bleiben nicht untereinander), und lässt sie sich zu dem Archivmaterial verhalten, etwa wiederum im Tanz. Auch hier gibt es das ästhetische Moment: Aber es wird von der intellektuellen Diskussion überlagert. Das macht die Ausstellung im Ganzen anstrengend: In etwa so, als posiere man eine Stunde lang lächelnd für ein Vorstandsfoto.

Die Ausstellung „Workers Forum“ von Anna Witt ist bis 4. Februar im Kunstverein im Schloss Wolfsburg zu sehen. Die Eröffnung findet am Donnerstag, 23. November, um 19 Uhr statt.