Braunschweig. Dirigent Harry Ogg unternimmt in Braunschweigs Staatstheater eine ungewohnt untragische Interpretation von Tschaikowskys 5. Sinfonie.

Für Peter Tschaikowsky war seine Homosexualität Schicksal. Es gab keine Chance, sie im damaligen Russland frei zu leben, und das wäre im heutigen womöglich nicht anders. „Zweifeln, Klagen, Vorwürfe wegen xxx“, so seine chiffrierte Selbstanalyse, hat er nach eigener Angabe auch der 5. Sinfonie eingeschrieben, die durchzogen ist von jenem erst zaghaft-nebulös auftauchenden, später durch verschiedene Aggregatzustände geführten Schicksalsthema.

Der junge Düsseldorfer Kapellmeister Harry Ogg als Einspringer für den erkrankten Marc Minkowski unternahm jetzt mit dem Staatsorchester Braunschweig eine weniger tragische Interpretation. Bei ihm gewinnt das Motiv im 1. Satz eine fast tänzerische, verheißungsvoll-träumerische Note, die nicht so sehr die gesellschaftliche Oppression als Tschaikowskys eigene Wünsche und Möglichkeiten aufzurufen scheint. Aus dem Getümmel der Welt, wo er seine wahren Gefühle stets verbergen musste, sehnte sich der Erfolgskomponist in Ruhe und Frieden, wie er ihn im 2. Satz u.a. mit dem wunderschön traurigen Hornsolo ausbreitet. Ogg wählt hier ein betont langsames Tempo, entwickelt melancholische Traumbilder, die immer wieder durch zackige Attacken des Gesamtorchesters zerstört werden. Dazwischen das breite, überkonventionelle Schwelgen, das nicht seines sein darf; zuletzt ein leises Schwelgen, das sich Tschaikowsky allenfalls zugesteht.

Erstrebtes Glück und stolzer Trotz

Auch der Walzer ist Konvention, ist das Glück der Blonden und Blauäugigen, wie Thomas Mann es nannte, das er gern geteilt hätte, aber als bloße Norm auch stolz ablehnte. Ogg nimmt ihn duftig, als hätte Tschaikowsky ihn genossen. Man könnte ihn auch ausstellen als das zu oberflächliche Glück, das man insgeheim doch begehrt.

Denn der Komponist steht unglücklich, aber auch stolz auf seinem Außenseiterposten. So trotzt er der breiten Masse wie sein Thema der Brandung des Orchesters im 4. Satz. Dort wird es erst nochmal breit ausgestrichen, von den Bläsern übernommen, bis Ogg mit einem zackigen Marsch wie Hagelschauer dazwischenfährt, unter den lichteren Wellen von Flöte und Geigen das Orchester in die Beschleunigung treibt und das Motiv durch alle Instrumentengruppen hetzt. Diese Seele findet in dieser Welt keine Ruhe.

Freundlich-helle Selbstfindung

Das Staatsorchester folgt Ogg hellwach und in gespannter Exzellenz in dieser vielfach aufgehellten, noch im Tumult durchhörbaren Interpretation. Andererseits haben wir bei Srba Dinic Tschaikowsky mit schärferen Bläsern und Kontrasten gemarterter, zerrissener erlebt. Und so geht denn auch der alte Streit um die Coda bei Ogg zugunsten einer schwelgenden, fast freundlich-hellen Selbstfindung aus, während einem Bläser und Pauken das Einschwenken auf die Konvention auch hart in Herz und Ohren meißeln könnten. Oggs energisch konsequentes, mit bloßen Händen geformtes Dirigat wurde im ausverkauften Großen Haus bejubelt.

Eingangs erklang Beethovens noch umkämpferisch-erfreuliche 1. Sinfonie passend „in Ordnung und Licht“, wie ein Zeitgenosse urteilte.

Nochmal heute, 20 Uhr. Karten unter Telefon (0531) 1234567 und www.konzertkasse.de