Wolfsburg. Spannende Erkenntnisse lieferten die Gäste der „Art x Tech“-Konferenz im Wolfsburger Scharoun Theater. Ein Künstler stach besonders hervor.

Der Digitalkünstler Roman Lipski tunkt mit einem großen Pinsel in einen Eimer mit pinkroter Farbe und malt zwei Längs- und einen Querstrich auf ein weißes Blatt Papier. Dabei steht er auf einer Bühne im Eingangsbereich des Scharoun-Theaters in Wolfsburg. Gleich will er demonstrieren, wie künstliche Intelligenz (KI) ihm dabei hilft, seine Kunstwerke auf ein neues künstlerisches Level zu heben.

Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des ScharounTheaters in Wolfsburg veranstaltete die Volkswagen Group eine „Art x Tech“-Konferenz mit öffentlichen Expertengesprächen. Die Rolle von KI in der Welt von Kunst und Kultur wurde diskutiert. Neben der DJ-Legende Westbam sprachen auch Künstler Roman Lipski, Dr. Nadim Samman und Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Forschungsabteilungen von Volkswagen mit Moderator und Kurator Matthias Röder.

Chancen von künstlicher Intelligenz in der Kunstwelt

Der Fokus der Diskussion liegt auf den Chancen von KI, stellt Röder am Anfang der Diskussionsrunde klar. „Ich will beginnen mit dem Mann, mit dem heute Abend auch alles endet“, sagt Röder und meint den großen Vertreter der deutschen Rave- und Technoszene – Maximilian Lenz, besser bekannt als Westbam. Später wird er noch im Theater mit seiner Inszenierung „Westbam meets Wagner“ zusammen mit der Mendelssohn-Orchesterakademie des Gewandhausorchesters Leipzig auftreten. Was wenige wissen: Westbam kommt ursprünglich aus der Malerei. Seine Eltern waren Künstler, er sollte auch Kunst studieren, wurde von der Kunsthochschule jedoch abgelehnt. „Nun bin ich Geräuschemaler“, sagt er und lacht. Er probiere gerne neue Technik aus und schaue, wie die „Dinge an ihren Platz fallen“. Dabei komme meist etwas Besseres raus, als man es sich im Vorfeld erdacht hätte, erzählt Westbam von seinen Erfahrungen mit KI.

Westbam zitiert Seneca und fasst damit die vierstündige Diskussionsrunde passend zusammen: „Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es.“ Kunst komme auch vom Entscheiden. Er wolle neue Technologien zwar nutzen und ausprobieren, sagt Westbam, aber das letzte Sagen wolle er auch haben. So bleibe die Autorenschaft bei ihm.

KI kann helfen, Mal- oder Schreibblockaden zu überwinden

Ein Höhepunkt ist der Auftritt des polnischen Malers und Digitalkünstlers Roman Lipski. Er sieht sich selbst als „KI-Botschafter in der Kreativwelt“. Der 54-Jährige ist einer der Pioniere der „Quantum Blur“-Kunst. Quantum Blur ist ein Verfahren zur Bildmanipulation. Ein Bild wird mit Quantensoftware verändert. Dadurch können sich die verschiedenen Teile des Bildes ausbreiten und neue Varianten des ursprünglichen Bildes entstehen. Lipski ist hierzu eine Kooperation mit dem Technologiekonzern IBM eingegangen. Der in Polen geborene Maler, der in Berlin lebt, nutzt KI schon seit 2019 als Inspiration für seine Kunstwerke. Er hat nach eigener Aussage zusammen mit dem Datenwissenschaftler Florian Dohmann „die erste künstliche-Intelligenz-Muse in der Welt der Kunst“ erschaffen. „Ich hatte eine kreative Krise. Ich wollte nicht mehr gegenständlich malen, sondern abstrakt“, erzählt Lipski.

Kuratoren und Sammlerinnen und Sammler seiner Bilder wollten immer das Gleiche von ihm, er wollte aber seinen Malstil ändern. Doch er schaffte es nicht allein. Dohmann erschuf ihm eine für seine Zwecke zugeschnittene KI, die Lipski trainierte. Er lud Scans seiner Bilder in die Software hoch, sodass die künstliche Intelligenz seine Art zu Malen erlernen konnte. Nach vielen Trainingsrunden war es dann soweit: Lipski befahl seiner Muse, abstrakte Bilder in seinem Stil auf dem Computer anzuzeigen. „Das bin ich“, entfuhr es ihm, als er die ersten künstlich generierten Bilder sah. Um so zu malen, bräuchte er zwei oder drei Leben, ist der Maler überzeugt. Er nimmt die von der KI erzeugten Bilder als Ideen, um an seiner Kunst weiterzuarbeiten. Er sieht KI in der Kunst als Hilfe in Krisen an, als Chance, Mal- oder Schreibblockaden zu überwinden.

Ich bin KI-Botschafter in der Kreativwelt.
Digitalkünstler Roman Lipski

Roman Lipski führt in Wolfsburg seine künstliche Intelligenz vor

Lipski hat an diesem Nachmittag seine Muse mitgebracht und zeigt ihr Können. Er malt drei Striche auf ein Flipchart, die ein Auto darstellen sollen. Nach einigen Klicks auf seinem Laptop zeigt die KI innerhalb von Sekunden ein Dutzend Farbkompositionen im Stile Lipskis an: grelle, abstrakte Bilder.

Lipski sieht die Aufgabe seiner KI nicht darin, perfekte Bilder zu malen. Nein, sie solle nur eine Hilfestellung sein, damit Künstler angefüttert mit neuen Ideen weitermalen könnten. Einen Kritikpunkt spricht Lipski selbst an – würde jemand Zugriff auf seine Muse haben, könnte jeder so malen wie er. Datendiebstahl würde so eine neue Dimension mit einer weitreichenden Auswirkung bekommen. Das Potenzial von KI überwiege aber seine Bedenken, sagt Lipski. Sammler hätten ihn inzwischen verlassen und Kunstkollegen sich von ihm abgewandt, mit dem Argument, KI sei nicht kunstkompatibel. Lipski sieht das anders – die Technik könne Künstler unterstützen, mit ihrer Hilfe Ideen viel schneller umzusetzen. „Ich brauche keine Krise, um inspiriert zu werden, die KI inspiriert mich“. Und sei nun eine weitere Inspirationsquelle für ihn neben der Natur, Literatur und Musik.

Künstler Roman Lipski im Gespräch mit Moderator Matthias Röder bei der „Art x Tech“-Konferenz in Wolfsburg zum 50-jährigen Jubiläum des Scharoun Theaters.
Künstler Roman Lipski im Gespräch mit Moderator Matthias Röder bei der „Art x Tech“-Konferenz in Wolfsburg zum 50-jährigen Jubiläum des Scharoun Theaters. © Braunschweig | Philipp Gladsome

Kurator will mehr Künstler in KI-Instituten einsetzen

Nadim Samman ist Kurator von Ausstellungen und Kunstfestivals. Er fasst KI als „das bekannte Unbekannte“ auf. Samman plädiert dafür, mehr Künstler in Instituten für maschinelles Lernen einzusetzen. Ihre Art zu arbeiten und den Regeln nicht immer zu folgen – das Unkonventionelle – sei gut für die weitere Entwicklung von KI, ist er sich sicher.