Braunschweig. Rossinis Opern-Hit begeistert im Staatstheater als prickelnder Klamauk. Warum das Klasse hat und wer im Großen Haus Publikumsliebling ist.

Wenn man den richtigen Figaro zur Hand hat, wird am Ende schon alles gut werden. Das Staatstheater Braunschweig setzt bei der Premiere von Rossinis komischem Opern-Evergreen „Il Barbiere di Siviglia“ auf Zachariah N. Kariithi. Die Kostümbildnerinnen Linda Schnabel und Katharina Leu haben dem kenianischen Publikumsliebling für die Neuinszenierung ein schillerndes Outfit verpasst, das zwischen barocker und Popstar-Anmutung changiert.

Schon nach seiner ersten Bravour-Arie, einem Hit der Opernliteratur und sprudelndem Klassiker des Eigenlobs ­­– „ich bin der Cicero der Barbiere, das Faktotum der schönen Welt, Figaro, Figaro, Figaro“ – erntet der Bariton jubelnden Zwischenapplaus. Kariithi stemmt die rasanten Koloraturen so kraftvoll wie süffig wie nonchalant, ohne sich dabei in Spielfreude und Grimassieren stoppen zu lassen. Es ist ein kesses, unbeschwertes Spektakel, wie der gesamte Premierenabend am Samstag im Großen Haus, das nach den schwierigen Corona und Nach-Corona-Jahren mal wieder richtig gut besucht ist. Knapp drei Stunden gehobener Klamauk auf musikalischem Top-Niveau stehen an, und man spürt: Das Publikum hat Lust darauf.

Worin geht es im „Barbier von Sevilla“? Um Geld

Regisseur Felix Seiler versetzt das hanebüchene Verwirrspiel um den Grafen Almaviva, seine Flamme Rosina, ihren eifersüchtigen ältlichen Vormund Bartolo und den umtriebigen Barbier, der Almaviva mit immer neuen Verkleidungstricks hilft, Rosina näherzukommen, in die Epoche des Frühkapitalismus und der beginnenden Industrialisierung – also etwa die Zeit, in der der damals erst 23-jährige Gioacchino Rossini (1792-1886) seinen Opernhit komponierte.

Statt Handwerkern sind es bei Seiler Fabrikarbeiter, die Almaviva verdingt, ihn beim Ständchen zu unterstützen, mit dem er die angebetete Rosina erstmals auf sich aufmerksam machen will. Während der Chor der Arbeiter singend seine Großzügigkeit preist, lässt Seiler den abgerissenen Haufen den Grafen auf der Bühne bedrängen, ein paar Münzen mehr herauszurücken. Der wahre Treibstoff dieser romantischen Posse, macht der Regisseur in vielen szenischen Details deutlich, ist das Geld. Auch der Barbier, Almavivas Helfer, hält immer wieder die Hand auf, sein Gegenspieler Don Basilio aufseiten Rosinas Bewacher und Möchtegern-Gatten Bartolo ebenso. Freundschaft, Gefälligkeit, Moral – wer glaubt schon ernsthaft daran?

Graf Almaviva (Leonardo Ferrando) überredet Arbeiter, ihn beim Ständchen für die angebetete Rosina zu unterstützen - dafür muss er zahlen.
Graf Almaviva (Leonardo Ferrando) überredet Arbeiter, ihn beim Ständchen für die angebetete Rosina zu unterstützen - dafür muss er zahlen. © Thomas M. Jauk/StagePicture | Thomas M. Jauk

Kapitalismuskritik und Pop-Phänomene

Bühnenbildner Hartmut Schörghofer hat mitten in Bartolos Heim, in und vor dem die gesamte Handlung spielt, ein riesiges eindrucksvolles Stahlrad als Symbol der Industrialisierung installiert. Der schnelle Puls des beginnenden Maschinenzeitalters scheint ja auch Rossinis rasant vorwärtsdrängender Musik bei allem melodischem Überschwang eingeschrieben.

Rossinis Rosina als Luxusgeschöpf

Die Inszenierung verrennt sich allerdings nicht darin, aus den irrwitzigen Liebeshändeln des „Barbiere“ ernsthafte Kapitalismuskritik herauslesen zu wollen. Sie lässt sich vom Drive der Musik vielmehr zu einer prallbunten, aber weitgehend schlüssigen Comic-Ästhetik voller origineller szenischer Einfälle inspirieren. Historisierende Kostüme und Einrichtungen mischen sich mit Pop-Phänomen wie irrwitzigen Haartollen, hochhackigen Schaftstiefeln und strassverzierten Entertainer-Anzügen. Nur Stillstand ist tabu.

Die Rosina tritt in diesem Setting nicht als schmachtende, hilflose Edeldame auf, Milda Tubelyte gibt sie als selbstbewusstes, kesses Luxusgeschöpf. Sie versalzt ihrem Vormund Bartolo frech die Suppe, zieht ihm den Stuhl unterm dicken Hintern weg, sagt aber auch nicht nein, wenn er sie mit Schmuck und Gourmetkost umschmeichelt. Michael Mrosek macht das mit viel Körpereinsatz und komischem Talent mit. Das gesamte Opern-Ensemble präsentiert sich an diesem temporeichen Abend ungemein spielfreudig und schwungvoll, weitgehend ohne dass die musikalische Qualität darunter litte, bis zum schnell geschnitzten Finale, bei dem sich alle Irrungen und Wirrungen pflichtbewusst auflösen.

Zachariah N. Kariithi beschwätzt als Barbiere die Rosina (Milda Tubelytė) im imposanten Bühnenbild von Hartmut Schörghofer.  
Zachariah N. Kariithi beschwätzt als Barbiere die Rosina (Milda Tubelytė) im imposanten Bühnenbild von Hartmut Schörghofer.   © Thomas M. Jauk/StagePicture | Thomas M. Jauk

Donnernder Applaus für Zachariah N. Kariithi

Leonardo Ferrando gefällt als liebestoller Almaviva mit feiner, leuchtender Tenorstimme, anfangs noch mit etwas starkem Tremolo. Milda Tubelyte meistert ihre Rosina-Koloraturen souverän, mit klangvollem, üppigem Mezzosopran, frei von Schärfen, aber mit dem ein oder anderen Späßchen auch in der musikalischen Gestaltung. Rainer Mesecke tritt als markig volltönender Don Basilio hervor, Sebastian Matschoß steht ihm als Almavivas Diener Fiorillo kaum nach.

Veronika Schäfer nimmt als Bartolos enervierte Haushälterin Berta mit fein konturiertem wie temperamentvollen Sopran für sich ein. Michael Mrosek ist als Bartolo stets präsent, bei seinen fliegenden Bass-Cavatinen präzise, im Timbre allerdings etwas blass. Den donnerndsten Applaus erntet Zachariah N. Kariithi als Barbiere für seinen fulminanten Buffo-Bariton.

Furios: Mino Marani und das Staatsorchester

Zurecht gefeiert werden auch Kapellmeister Mino Marani und das Staatsorchester, die Rossinis rasante Musik nicht nur rhythmisch konzise, sondern auch dynamisch fein auf die Sänger abgestimmt zum Glänzen bringen. Marani ist dabei zusätzlich als Continuo-Cembalist gefordert – Chapeau. Ein amüsanter Opern-Abend mit Klasse, der trotz der üppigen Länge von drei Stunden Spaß macht und prickelt.