Wolfsburg. Im September wäre der berühmte Architekt 130 Jahre alt geworden. Wolfsburg hat er nicht ein Denkmal hinterlassen, sondern zwei. Was sie auszeichnet.

Zusammen mit Alvar Aalto, Zaha Hadid und anderen hat Hans Scharoun die Identität der Stadt Wolfsburg geprägt: In diesen Tagen wäre der Architekt des Scharoun-Theaters 130 Jahre alt geworden. Sein Vermächtnis thront bis heute auf dem Klieversberg, der höchsten Erhebung in Wolfsburg; die Eröffnung seines einzigen realisierten Theaterbaus erlebte er allerdings nicht mehr. Der am 20. September 1893 geborene Bernhard Hans Henry Scharoun starb 1972 mit 79 Jahren in Berlin.

Mit dem Theater hat Scharoun der Stadt ein Juwel hinterlassen. Hier führt er vor, wie organische Architektur funktioniert: Nämlich aus der Idee des Gebäudes heraus. Das Gebäude wird nicht erst hingestellt und dann mit Leben gefüllt, sondern das Gebäude ergibt sich aus seiner späteren Funktion heraus. Das Scharoun-Theater ist kein komprimierter Theaterklotz, in dem die Zuschauer gleich hinter dem Eingang über Treppenhäuser auf ihre Plätze geschickt werden. Vielmehr verdeutlicht es Scharouns Vision des Theaters als demokratische Institution, in der sich die Stadtgesellschaft auf Augenhöhe begegnet.

Das Foyer im Scharoun-Theater Wolfsburg bietet Raum zum Austausch

Bezeichnend dafür ist das weitläufige Foyer, in dem das Publikum vor und nach dem Theaterbesuch sowie in der Pause zusammenkommt. Über etwa 80 Meter bietet es Raum zum Austausch und bietet dabei einen Panoramablick auf die Stadt, die so immer präsent bleibt. In diesem Theater geht es nicht um Fürsten und Könige, sondern um das Leben der Bürger der Stadt, scheint sich darin auszudrücken. Gleichzeitig markiert der Bau den Übergang von Stadt zu Landschaft, indem es sich an den Klieversberg anschmiegt.

Blick in den Zuschauerraum: Ursprünglich war ein Mittelgang zwischen den Reihen geplant. 800 Gäste finden hier Platz.
Blick in den Zuschauerraum: Ursprünglich war ein Mittelgang zwischen den Reihen geplant. 800 Gäste finden hier Platz. © regios24 | Darius Simka

Weniger prominent, aber auch als Denkmal geschützt, ist Hans Scharouns zweiter Bau in Wolfsburg: Die Stephanus-Kita I, die 1965 fertig gestellt wurde. Auch sie ist die einzige ihrer Art, die Scharoun verwirklicht hat. Damals war es neu, eine Kita aufzubauen wie ein Wohngebäude: Jeder Gruppe gab er einen eigenen Bereich, eine eigene Toilette, einen eigenen Essbereich. Mittlerweile ist diese Gestaltung in Kindergärten normal geworden; damals war sie unüblich. Durch den Entwurf der inneren Form ergab sich in Scharouns Bauten erst die äußere Form des Gebäudes; das ist der Grund, warum seine Gebäude – wie andere Beispiele der organischen Architektur – oft asymmetrisch sind und damit ihren besonderen ästhetischen Reiz bieten.

2017: Stadt Wolfsburg entscheidet sich, ihr Theater nach seinem Architekten zu benennen

Das architektonische Vermächtnis Scharouns für Wolfsburg zu würdigen, ist das eine. Das andere ist die Anerkennung der Bedeutung, die das Theater für die Identität der jungen Stadt hatte und beibehält. Das Theater repräsentiert als geistiges Zentrum der Stadt zugleich die Erinnerung, den Zeitgeist und die Ideale seiner Bewohner. Hans Scharoun setzte sich intensiv mit dem Theater als in seinen Augen wichtigste Bildungsinstitution auseinander – durch seine Entwürfe sollte der Schein dem Sein begegnen; Publikum und Bühnengeschehen sich zwanglos gegenüberstehen, ja sogar berühren.

Im sächsischen Löbau entwarf Hans Scharoun das Einfamilienhaus, das heute als Haus Schminke bekannt ist. Das Haus wurde 1933 fertig gestellt.
Im sächsischen Löbau entwarf Hans Scharoun das Einfamilienhaus, das heute als Haus Schminke bekannt ist. Das Haus wurde 1933 fertig gestellt. © picture-alliance/ dpa/dpaweb | Matthias Hiekel

Um diesen Gedanken auch inhaltlich zu würdigen, benannte sich das Theater Wolfsburg im Jahr 2017 in Scharoun-Theater um –eineinhalb Jahre nach Abschluss der umfassenden Sanierungsarbeiten, die mehr als 30 Millionen Euro kosteten und selbst auch eine Würdigung des Theaters und seines Architekten darstellten. Zu Scharouns weiteren, herausragenden Bauten gehören das Haus Schminke in Löbau (1933), die Philharmonie in Berlin (fertiggestellt 1963) und das Bremer Schifffahrtsmuseum (1975).