Braunschweig. Die Countryrocker plaudern bei einem exklusiven Dachterrassenkonzert in Braunschweig mit Fans und aus dem Nähkästchen.

Vor ziemlich genau 20 Jahren kamen zwei Berliner Freunde, Designer und Musiker auf die Idee, Pop- und HipHop-Hits im Country-Stil zu covern. Mittlerweile spielen The BossHoss in großen Hallen vorwiegend eigene Songs. Gerade ist ihr zehntes Album „Electric Horsemen“ erschienen, auf der Tournee dazu schlagen sie am 6. Oktober auch in der Braunschweiger Volkswagen-Halle auf. Ein Selbstläufer sind Großkonzerte seit der Corona-Krise nicht mehr, wie die Bandfrontmänner Alec „Boss Burns“ Völkel und Sascha „Hoss Power“ Vollmer (beide 51) offen sagen. Also rühren sie auf ihre Art die Werbetrommel - beispielsweise mit einem exklusiven Kurz-Konzert am Montagabend auf der Dachterrasse des Konzertveranstalters Undercover am Waller See. Rund 30 Musikfans aus der Region hatten Karten dafür gewonnen, darunter auch Leserinnen und Leser unserer Zeitung.

Meet & Greet: BossHoss bei Undercover

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    Völkel und Vollmer heizten im Abendrot mit halbakustischer Gitarre, Fuß-Trommel und ihrem charakteristischen, bassig-volltönenden Wechselgesang ein. Nach kurzer Aufwärmphase - „jetzt bitte mal alle aufstehen hier“ - klatschte und sang die kleine Publikumsschar zu Titeln wie „Jolene“ und „Don‘t Gimme That“ gelöst mit. Die 51-jährigen Musiker, bekannt auch als Juroren und Gastgeber von TV-Shows wie „Voice of Germany“ und „Sing meinen Song“, zeigten sich locker und nahbar - aber auch ein bisschen gefährlich: „Ihr wisst, ihr kommt hier nicht weg ohne Tickets für unsere Show in Braunschweig. Unten steht ein großer Mann, der kontrolliert, ob ihr welche gekauft habt“, scherzten sie.

    Warum The BossHoss die deutsche Nationalhymne mögen

    Vorab erzählten Völkel und Vollmer im Gespräch mit unserer Zeitung über die Bandgeschichte, ihre Version des amerikanischen Traums - und ihre Gefühle beim Singen der Nationalhymne zum Bundesliga-Auftakt.

    The BossHoss beim Dachterrassenkonzert für Fans und Leser und Leserinnen unserer Zeitung am Waller See.
    The BossHoss beim Dachterrassenkonzert für Fans und Leser und Leserinnen unserer Zeitung am Waller See. © Braunschweig | Rüdiger Knuth

    Vor dem ersten Spiel der neuen Saison - Bremen gegen Bayern - habt ihr im Weserstadion die Nationalhymne gesungen. Habt ihr sofort zugesagt, als die Anfrage kam?

    Alec: Ja, wir mussten nicht lange nachdenken.

    Mittlerweile haben das schon so einige Popstars gemacht. Vor 20 Jahren hätte man sich das als Rockmusiker vielleicht noch länger überlegt. Für euch war das überhaupt nicht problematisch?

    Sascha: Nein. Wir haben da keine Berührungsängste. Es ist das Land, in dem wir leben, uns geht es gut, es ist ein tolles Land und eine geile Hymne, und Fußballfans sind wir auch.

    Alec: Es ist die Hymne der Bundesrepublik. Das ist eine großartige Demokratie, dazu können wir stehen. In anderen Ländern ist das ein erhabener Moment, weil die Leute stolz auf ihr Land sind. Es geht um die Gesellschaft, in der wir leben. Das ist nichts von außen Aufgezwungenes. Das sind wir selbst. Für uns ist das absolut okay.

    Die Demokratie gerät derzeit unter Druck, weil immer mehr Stimmen nach rechtsaußen zu wandern scheinen. Manche sind darum in Sorge - ihr auch?

    Sascha: Ein bisschen Sorge ist schon da, angesichts dieser Bewegung. Aber eine gefestigte Demokratie muss damit umgehen und es ertragen können - sonst wäre es keine. Ich denke, das ist eine Zeiterscheinung, weil gerade vieles zusammenkommt. Die Corona-Nachwehen, ein Krieg in Europa, Inflation, ein vielleicht zu breit gefächertes Regierungsteam. Das veranlasst viele Leute, mal kurze Zeit zu zweifeln, einen Schwenker nach rechts zu machen - wobei ich nicht unterstelle, dass die wirklich rechts sind.

    Country gilt als eher konservatives Genre. Wolltet ihr das ein bisschen umkrempeln, als ihr 2004 mit The BossHoss angefangen habt?

    Sascha: Es gibt viele Spielarten von Country. Deutschsprachiger Country hatte damals eher so einen Schlager-Nischen-Charakter. Aber uns war immer klar, dass Country viele Facetten hat: Blues, Americana, Johnny-Cash-Coolness. Das Cash-Biopic „Walk the Line“ kam damals gerade ins Kino, und alle hatten wieder Lust, „Ring of Fire“ zu hören. Wir hatten damals aber nicht die Ambition, im deutschen Mainstream durchzustarten. Wir hatten einfach Bock auf Country, so wie wir ihn hören wollten, neu interpretiert, mit Einflüssen aus noch ganz anderen Genres. Damit haben wir offenbar einen Nerv getroffen.

    Alec: Aus einer Bierlaune heraus. Dass Countrymusik in den USA in den konservativen Strukturen des Bible Belt sehr populär ist, spielte für uns keine Rolle. Es ging um den Spaß an der Musik. Wir kannten uns schon ein paar Jahre, hatten immer mal wieder an Songs in Saschas Dachbodenstudio gebastelt - und kamen dann auf die Idee, Titel, die eigentlich ganz weit weg von Country sind, von Eminem oder Britney Spears, in diesem Stil zu bringen. Es sollte so klingen, als wären die Coverversionen die eigentlichen Originale.

    The BossHoss mit Leserinnen und Lesern unserer Zeitung, die Karten für das Dachterrassenkonzert bei Undercover gewonnen hatten.
    The BossHoss mit Leserinnen und Lesern unserer Zeitung, die Karten für das Dachterrassenkonzert bei Undercover gewonnen hatten. © Rüdiger Knuth | Rüdiger Knuth

    Hat das vor allem Countryfans angesprochen?

    Sascha: Nein, das war eher ein subkulturelles Berliner Phänomen. Wir wurden zum Talk of Town, die hippen Leute aus dem Prenzlauer Berg und Mitte kamen zu unseren Partys und dachten anfangs, wir wären gestrandete Amis. Wir haben erst nur Englisch auf der Bühne gesprochen. Der Sport war nicht nur, die Musik so authentisch wie möglich zu machen, sondern uns auch so zu benehmen, zu sprechen und zu kleiden.

    In Braunschweig hat gerade die Band The Twang ihr 25-jähriges Bestehen gefeiert, die ein ähnliches Countryfizierungs-Konzept hat wie ihr damals. Kennt ihr sie?

    Alec: Klar, wir sind uns öfter mal begegnet, auch wenn das jetzt schon länger her ist. Klasse Band.

    Sascha: Geile Instrumentalisten, coole Jungs. Schön, dass es die immer noch gibt.

    Ihr habt dann bald begonnen, auch eigene Songs zu schreiben und sie mit Rock und Beats aufzupeppen. Wie kam es dazu?

    Sascha: Auf der ersten Platte „Internashville Urban Hymns“ war der Fokus das Covern, weil die Leute uns dafür gefeiert haben. Auf der zweiten Platte wollten wir uns nicht einfach wiederholen, also haben wir die Hälfte der Songs selber geschrieben. Und so ging das weiter, die Band wurde größer, aus einem Drummer, der nur mit Besen spielte, wurde ein richtiger Schlagzeuger. Beats haben wir dann erst ab „Liberty of Action“ 2011 dazugenommen, später auch Bläser dazugeholt, auch mal Streicher - wir wollten nie stehenbleiben. Das Spektrum ist breiter geworden, aber der rote Faden zieht sich immer durch.

    Ihr produziert eure Alben weitgehend in Eigenregie, bis hin zu Outfits und Design. Seid ihr euch dabei immer einig?

    Alec: Wir haben offensichtlich den gleichen Geschmack, sonst hätten wir nicht so früh zueinander gefunden und das so lange gemeinsam durchgezogen. Wir haben auch mal unterschiedliche Meinungen, aber es ist selten so, dass jemand etwas einbringt, bei dem der andere sagt: Das geht gar nicht. Das gilt auch für die Ästhetik: Wir sind beide ausgebildete Grafik-Designer. Das, was man hört, muss auch gut aussehen, und umgekehrt. BossHoss ist nicht nur Musik, es ist ein Gesamtpaket, ein Lebensgefühl, eine Marke. Großstadtcowboys. Bei Cowboys aus Deutschland sagt jeder: BossHoss. Die mit den Boots, mit den Harleys, mit den Muscle-Cars. Der American Dream in Germany.

    Meint ihr das ganz ernst?

    Sascha: Ja. Wir könnten nichts öffentlich leben, was wir privat nicht gut finden. Wir haben Harleys und Muscle-Cars und stehen auf diese Musik und den amerikanischen Stil. Natürlich sind wir im Showbusiness und überspitzen das ein oder andere. Aber unser Produkt nehmen wir schon ernst - wenn auch nicht bierernst.

    Alec: Wir greifen uns das aus dem amerikanischen Spirit heraus, was wir cool, ansprechend und ästhetisch finden. Aber nicht eins zu eins. Wir bleiben Berliner Jungs.

    Gerade in Berlin wird die Woke-Bewegung immer stärker, die den amerikanischen, konsumorientierten Lebensstil in Frage stellt. Ist euer Projekt noch zeitgemäß?

    Alec: Nicht alles, was man gut findet, muss zeitgemäß sein.

    Sascha: Wir haben schon ein paar Jahre auf dem Buckel und unseren Weg und Stil gefunden. Natürlich hinterfragt man auch mal das ein oder andere, und man muss Kritik zulassen - völlig okay. Die Welt ist im Wandel, wir auch. Aber ein Oldtimer und eine Harley von 1970 sind auch Kulturgüter. Die machen die Welt nicht schlechter, wenn sie ein paar Mal im Jahr über die Straßen rollen. Die Südstaaten-Ideologie, Trump und die Republikaner - das ist nicht unser American Dream. Vielmehr die Idee, dass man Träume erreichen kann, wenn man authentisch ist und daran festhält. Vom Tellerwäscher zum Millionär oder vom Grafiker zum BossHoss-Musiker.

    Ihr seid die Köpfe der Band - wie ist das mit den anderen Musikern? Dürfen die auch mitreden?

    Sascha: Ja, wir sind alle Freunde. Wir haben das Baby erfunden, klar. Aber wir spielen seit 2007 in derselben Besetzung, und die meisten Musiker waren sogar von Anfang an dabei.

    Die Corona-Krise mit ihren massiven Einschränkungen scheint mittlerweile ferne Vergangenheit. Fühlen sich eure Konzerte wieder so an, wie es vor 2020 war?

    Alec: Die Konzerte selber ja, aber die Branche hat sich noch nicht erholt von dem Debakel. Die Leute sind zurückhaltender, dazu kommt eine Gemengelage aus Sorgen um Inflation, Energiekosten...

    Sascha: .... kommt im Winter doch Corona zurück, was wird aus dem Krieg in der Ukraine? Die German Angst ist da. Die Leute sind selektiver und zögerlicher bei Ticketkäufen. Aber wenn sie da sind, feiern sie.