Derneburg. Eben wurde Kiefer mit dem Nationalpreis geehrt. Schloss Derneburg, Wolfsburgs Kunstmuseum und Goslars Mönchehaus zeigen seine Werke.

Es ist das Zerfurchte, Aufgewühlte, Rohe, das einen an Anselm Kiefers Bildern und Installationen immer sofort packt. Seine Gemälde sind pastos mit Farbe bedeckt, mit Schlieren und Schreibschrift überzogen, lassen die oft erst zusammengefügten Bildträger aus Textil, Pappe, Papier erkennen. Gern mischt er Glasscherben, Sand, Erde, Asche bei, nutzt Blei, Stofffetzen, angebranntes Holz und ganze Pflanzen für seine dreidimensionalen Collagen.

Es sind Werkstoffe mit Geschichte, mit hoher Assoziationskraft, und so gehört Anselm Kiefer, der in diesem Jahr den Deutschen Nationalpreis erhielt, zu den Nachkriegskünstlern, die sich der speziell deutschen Geschichte, der Gefährlichkeit von Mythen und Romantik immer provokant gestellt haben. Und zwar nicht in wohlfeiler moralischer Überhebung, sondern indem er sich selbst dieser Gefahr aussetzte, die Wirkung dieser Traditionslinien an sich erprobte und sich mit den Verheerungen dieser Rezeption konfrontierte.

Den Abgrund des Faschismus durchleben

Anselm Kiefers „Brünhilde“ von 1981 ähnelt mit den flammenähnlichen Haarsträhnen vor dem Scheiterhaufen einem Medusenhaupt. Es ist an diesem Wochenende noch einmal zu sehen in der Hall-Collection auf Schloss Derneburg.
Anselm Kiefers „Brünhilde“ von 1981 ähnelt mit den flammenähnlichen Haarsträhnen vor dem Scheiterhaufen einem Medusenhaupt. Es ist an diesem Wochenende noch einmal zu sehen in der Hall-Collection auf Schloss Derneburg. © Andreas Berger | Andreas Berger

Der Nationalpreis wird heute für Leistungen bei der Wiedervereinigung und im europäischen Ausgleich vergeben. Er könnte keinem Besseren gelten als diesem nun im französischen Barjac lebenden Provokateur, aber eben auch Tiefenpsychologen des Deutschen, dessen kathartische Bedeutung die Kritiker in Frankreich und Amerika eher erkannten als die verschreckten Landsleute. Schloss Derneburg präsentiert noch einmal an diesem Wochenende seine reichhaltige Sammlung gerade der frühen Werke Anselm Kiefers, im Kunstmuseum Wolfsburg und im Mönchehaus Goslar, wo er 1990 den Kaiserring erhielt, sind dauerhaft Werke der Reifezeit zu sehen.

Der 1945 Geborene posierte in den 60ern im Wehrmachtsmantel seines Vaters und mit parodiertem Hitlergruß vor europäischen Monumenten. In seinen Serien „Heroische Sinnbilder“ und „Für Jean Genet“, die in Derneburg gezeigt werden, dokumentiert er diese Aktionen, die einerseits den an der Verdrängung durch Wirtschaftswunder arbeitenden Deutschen eine Auseinandersetzung mit dem Gewesenen aufzwangen. Und mit denen er andererseits auch sich selbst überprüfte. „Ich wollte hinter dem Erscheinungsphänomen Faschismus, hinter seiner Oberfläche erkennen, was der Abgrund Faschismus für mich selbst bedeutet, denn diese Geschichte ist ja Teil jeder Wirklichkeit, auch meiner Selbstfindung ..., ich wollte das Unvorstellbare in mir selbst abbilden.“

Labyrinthe zwischen Geist und Gefühl

Spannend ist, wie sich Kiefer den germanischen Mythen und der deutsche Geistestradition aussetzt, wie er in die Wälder der Hermannsschlacht jene „Wege der Weltweisheit“ einschreibt, die Porträts von Kant bis Fichte, von Friedrich dem Großen bis Carl Maria von Weber, von Kleist bis Rilke labyrinthisch verbinden. Ein individuelles Rezeptionsgeflecht, das zwischen Geist und Gefühl reinste Ideen und höchste Kunstgenüsse verspricht, aber immer auch ins Weltgefährliche abstürzen kann, wie Thomas Mann sagte. Auch er schrieb einst den Aufsatz „Bruder Hitler“, um sich der peinlichen Verwandtschaft zu stellen.

In Derneburg ist die „Hermannsschlacht“ ebenso zu sehen wie Kiefers grandiose Auseinandersetzung mit dem Brünnhilden-Mythos in Wagners Erzählung. Es sind sichtbar zusammengefügte Holzschnitte, sogar der Mythos vom deutschen Holzschnitt wird so gleich noch modern gebrochen und zugleich ironisch geborgen. So wie Brünnhilde selbst, die wie ein Medusenhaupt das Bild füllt, die Haarsträhnen wie Flammen ihres eigenen Scheiterhaufens über die Holzmaserungen und gedruckten Feuerstrukturen gemalt. So geht sie in Flammen auf und bildet sich zugleich neu als Menetekel, als Votivbild, das zur Besinnung mahnt. Schließlich verbrennt da die Weltesche und damit die ganze Natur.

Auf der hemdförmigen Holzschnittcollage „Brünhilde Grane“ wirken die schwarzen Flammen, die aus dem orangeglühenden Schimmelreiter-Pferdegerippe aufsteigen (Brünnhilde ist nur noch als Schriftzug vertreten), wie die verkohlten Äste des Weltenbaums.

Das Aquarell „Stefan!“ von 1975 zeigt den Kopf des Dichters Stefan George unter rotglühender Abendsonne an seinem Exilort am Lago Maggiore. Zu sehen in der Hall-Collection auf Schloss Derneburg.
Das Aquarell „Stefan!“ von 1975 zeigt den Kopf des Dichters Stefan George unter rotglühender Abendsonne an seinem Exilort am Lago Maggiore. Zu sehen in der Hall-Collection auf Schloss Derneburg. © Andreas Berger | Andreas Berger

Dre Mythos vom deutschen Wald brennt

Zugleich erinnern die liegenden Scheite immer auch an verbrannte Städte, Brand erzeugt Asche. Der Mythos vom deutschen Wald verbrennt auch in Buchenwald, jede Romantik ist fortan von Asche übersät, in Fontanes märkischer Erde steckt Blut. Kiefers Aquarell „Margarete-Sulamith“ zeigt bezugnehmend auf Celans „Todesfuge“ goldene Felder mit brennenden Panzern oder Dörfern im Hintergrund. „Dein goldenes Haar Margarete, dein aschenes Haar Sulamith“.

Die Erde wird wieder fruchtbar sein. Der Mythos von Kampf und Untergang und Neuanfang bewahrheitet sich. Kiefers „Teufelsaustreibung mittels Affirmation“, wie Kunstwissenschaftler früher kritisierten, benennt klar die Wunden, fordert Bekenntnis, lässt niemanden entkommen, Geschichte und Mythen brennen in uns weiter. Die Frage ist, was man aus diesen Wahrheiten macht, wie man die heulenden Wölfe in sich zügelt, wie man die Gesellschaft auf den Wegen der Weisheit aus romantischer Sensibilität und visionärer Achtsamkeit hält, die ja gerade Wagners Brünnhilde als anti-heroische Frauenfigur in der Nachfolge Antigones verkörpert.

Blühender Wunder-Farn

Manchmal muss man dazu symbolkräftig in den Keller steigen. Wie im Mönchehaus-Museum Goslar, wo der Rückblick auf eine Miniatur-Kriegslandschaft, die Hoffnung auf zur Johannisnacht erblühenden Wunder-Farn und ein goldschillernder Bleifluss an griechische, germanische und jüdische Mythen knüpft.

In seiner Wolfsburger Installation „20 Jahre Einsamkeit“ von 1991 hat Kiefer seine damaligen Enttäuschungen als einen Stapel verworfener Bilder inszeniert, eingerollte Leinwände, kaputte Gemälde, Erde, Staub, Blei und verdorrte Sonnenblumen. Ein wunderbar haptisches, berührendes Werk, das über die Jahre in sich zusammenbricht. Der Stapel ist fragil!

Dagegen legt Kiefer den konservativ-romantischen, vor den Nazis geflohenen Dichter Stefan George auf einem Derneburger Aquarell in milder Geste unters Abendrot des Lago Maggiore, „aller Tage Abend, aller Abende Tag“, eine Konfiguration des Todes, die den tröstlichen Impuls des romantisch-idealistischen Kunstschaffens erstaunlich glühend aufgreift. Stellt euch den Mythen, ihr könnt ihnen – so oder so – nicht entkommen!

Schloss Derneburg Sa./So. 11-18 Uhr.
Kunstmuseum Wolfsburg Di.-So. 11-18 Uhr.
Mönchehaus Goslar Di.-So 11-17 Uhr.