Braunschweig. Die Hannoveraner Kultband gibt ein gut aufgelegtes Open-Air-Konzert vor 5000 Fans und zahllosen tanzenden Mücken.

Christof Stein-Schneider schwant Blutiges. „Sagt mal, was hier im Scheinwerferlicht so rumfliegt - sind das alles Mücken?!“, fragt der rotblondgelockte Gitarrist von Fury in the Slaughterhouse. Zwei Songs später mit konsterniertem Blick auf seinen bloßen Unterarm am Ende der hochgekrempelten, silberfarbenen Rockerjacke: „Fünf Stiche. Der wird schon ganz dick!“

Auch Frontmann Kai Wingenfelder nimmt zum Mückenangriff Stellung, Freitagabend vor 5000 Fans auf der Brawo-Bühne am Raffteichbad. Ausgerechnet bei einem Anti-Kriegs-Lied, „vielmehr ein Pro-Friedenssong - wir denken positiv“, wie er bemerkt. „Aber diese Mücke hier - muss jetzt sterben!“

„So Are You“ - emotionsschwere Ballade

Das ist lustig, und so eine kleine ironische Brechung fehlt der pathetischen Ballade „So Are You“ vom aktuellen Fury-Album „Hope“. Allerdings wurde sie auch am Abend des Beginns der russischen Invasion in die Ukraine geschrieben. Nicht von Kai, sondern von Volker Rechin, einem guten Freund der Band aus Wolfsburg, wie der Fury-Frontmann erzählt. „Volker sitzt in seiner kleinen Wohnung unterm Dach mit zwei gelben Sesseln. Und manchmal schreibt er ein Lied, von dem er denkt, das könnte zu Fury passen. Und dann schickt er es mir, und manchmal denke ich: Das könnte zu Fury passen. Dann singe ich es der Band vor, und dann meint die: Das könnte zu Fury passen.“

Volker Rechin ist mit Gitarre dabei, als seine Freunde das erst akustikballadige, dann bedeutungsschwer aufbrandende Lied mit der schlichten Friedensbotschaft spielen. Und er hat den Abend auch eröffnet, zu früherer Stunde, auf einem gelben Sessel vorne an der Bühnenkante, mit Songs seiner Band „3 Miles to Essex“. Allerdings allein, da die anderen Mitglieder verhindert seien. Seine unprätentiöse Art kommt an.

Kerniger Gitarrenrock wie vor 30 Jahren

Zurück zu Fury. Die spielen jetzt, so in der Mitte des Konzerts, ein paar belanglosere Songs. „Don‘t Give Up“ etwa. „When times get tough / Don’t give up / If the wind blows in your face / Don’t give up.“ Oder so. Haben das am Vorabend nicht schon Santiano auf Deutsch gesungen? Dazu, jetzt wieder Fury: kerniger, geradliniger Gitarrenrock wie vor 30 Jahren.

Die sieben Musiker Anfang 60 kokettieren ganz gerne mit ihrem biblischen Rockbandalter von 36 Jahren. Da haben sie natürlich schon einen Haufen Songs rausgehauen, auch ein paar richtige Hits, wie „Radio Orchid“ oder „Time To Wonder“ oder „Won‘t Forget These Days“, die sie Freitagabend natürlich auch alle spielen, zur Freude der Fans. Ansonsten liegt ein Schwerpunkt auf „Mono“, einem ihrer stärksten Alben, das vor genau 30 Jahren herauskam. Und auf Titeln ihrer beiden jüngsten Werke „Now“ und „Hope“, die das Comeback der Band nach neunjähriger Pause 2017 manifestieren.

Brüder in Fury: Sänger Kai, Gitarrist Thorsten Wingenfelder.
Brüder in Fury: Sänger Kai, Gitarrist Thorsten Wingenfelder. © Rüdiger Knuth | Rüdiger Knuth

Was Fury von The Pogues übernahmen

In den langen Jahren ihres Zusammenspiels haben Fury einen satten, aber lebendigen und gut durchhörbaren Sound entwickelt. Oft bereichern sie ihn mit Folk-Instrumenten wie Mandoline, Akkordeon, auch Lap-Steel-Guitar. Das sei auch Folge einer Tour, die sie in den 90er Jahren im Vorprogramm der kultig chaotischen Iren The Pogues absolvierten, erzählt Kai Wingenfelder. Sie bringen dann eine schöne Troika folkiger Nummern, die ins kraftvolle Cover „When I‘m Dead And Gone“ vom „Mono“-Album mündet, mit dem die Band 1993 einen klassischen Radio-Hit landete.

Stark ist auch der mit elektronischen Beats startende Song „Dancing In The Sunshine Of The Dark“, eine coole, pumpende Nummer zu Videos von Hühnern (!) und Tänzern auf der großen Projektionsfläche im Hintergrund. Beim Fury-Hit „Every Generation Got It‘s Own Desease“ laufen Klimakatastrophen-Schlagzeilen weiß großbuchstabig über schwarzen Hintergrund. Juli weltweit der heißeste Monat seit Beginn von Messungen. Nordatlantik so warm wie noch nie. CO2-Ausstoß steigt stetig. Himalaya-Gletscher schmelzen.

Trommeln für das Freibad Clenze

Sonst hält sich die Band mit politischen Statements zurück, trommelt allerdings dafür, den Becherpfand für den Erhalt des Freibades im wendländischen Clenze zu spenden. Das werde von einem tapferen Verein unterhalten, während sich der Staat zurückziehe und Steuern bei Reichen senke, moniert Gitarrist Stein-Schneider. Karten für das Fury-Konzert kosteten an der Abendkasse übrigens 83 Euro, 88 für einen Sitzplatz auf der neuen, rund 1000 Zuschauer fassenden Tribüne linkerhand der Bühne.

Die Band präsentiert sich dafür zwei Stunden spielfreudig, gut aufgelegt und glaubhaft vermittelnd, glücklich über das Comeback zusammen auf der Bühne zu stehen. Die Fans sind zufrieden. Mehrere Zugaben.

Starkes Front-Duo: Sänger Louie, E-Geiger Rainer Tacke im Fury-Vorprogramm im Raffteichbad.
Starkes Front-Duo: Sänger Louie, E-Geiger Rainer Tacke im Fury-Vorprogramm im Raffteichbad. © Rüdiger Knuth | Rüdiger Knuth

Silent Radio überzeugen und geben Zusatzkonzert

Eine durfte sogar die zweite Vorband des Abends geben. Silent Radio um Sänger und Gitarrist Louie und E-Geiger Rainer Tacke schaffen es, die Aufmerksamkeit der schon reichlich anwesenden Zuschauer auch im hellen Abendsonnenschein auf sich zu ziehen, mit einem gut aufgebauten Cover-Programm romantischer Pop-Hits überwiegend aus den 80ern. Die Arrangements sind interessant, Rainer Tackes Geigenspiel gibt die besondere Note. Frohe Werbebotschaft der Band: Zusatzkonzert am 15. Dezember zur bereits ausverkauften Show am 16. Dezember im Braunschweiger Westand gerade bestätigt.