Braunschweig. Im Dezember würdigt das Anton-Ulrich-Museum den 300. Geburtstag des großen Braunschweiger Landschaftsmalers - und macht schon mal Appetit.

Braunschweig beherbergt im Herzog-Anton-Ulrich-Museum (HAUM) eine der bedeutendsten und traditionsreichsten Gemäldegalerien für Alte Meister in Deutschland. Aber wirklich große Kunstmaler hat das Herzogtum selbst nicht hervorgebracht. Eine Ausnahme ist Pascha Johann Friedrich Weitsch (1723-1803). Der Geburtstag des Wegbereiters der romantischen Landschaftsmalerei jährt sich am 16. Oktober zum 300. Mal. Im Dezember will das HAUM sein Lebenswerk mit der Sonderausstellung „Naturtalent“ würdigen.

Ausblicke darauf gibt es häppchenweise schon vorab. Und das Interesse ist groß: Eine Führung, die zeigen sollte, wie große niederländische Landschaftsmaler à la Jacob van Ruisdael Weitsch inspiriert haben, war am Sonntag hoffnungslos überbucht. Dr. Silke Gatenbröcker, Leiterin der Gemäldesammlung, setzte spontan einen Zusatztermin am späteren Nachmittag an.

Friedrich Georg Weitsch (1758-1828): Porträt des Vaters Pascha Johann Friedrich Weitsch, Gemäldegalerie des Herzog-Anton-Ulrich-Museums.
Friedrich Georg Weitsch (1758-1828): Porträt des Vaters Pascha Johann Friedrich Weitsch, Gemäldegalerie des Herzog-Anton-Ulrich-Museums. © Museum

Eindrucksvolles Nachtstück

Drei Weitsch-Gemälde haben in der Dauerausstellung des HAUM einen Stammplatz. Und zwei Weitsch-Porträts auch - gefertigt von seinem Sohn Friedrich Georg Weitsch, der ebenfalls eine Laufbahn als Maler einschlug, ohne der Bedeutung des Vaters gleichzukommen. Wenngleich das eindrucksvollere seiner beiden Porträts, ein Nachtstück, gekonnt gemacht ist: Es zeigt den bereits über 70-jährigen Pascha Weitsch im Schein einer Kerze am Zeichentisch. „Es ging Friedrich Georg darum, den Fleiß und die nimmermüde Hingabe des Vaters an die Arbeit herauszustellen“, erläutert Silke Gatenbröcker.

Pascha Weitsch war ein Selfmademan, ein Autodidakt, der aus einfachen Verhältnissen seinen Weg machte. Er stammte aus Hessen am südöstlichen Rand des Herzogtums. Sein Vater war Dachdecker, die Mutter starb früh. Sein Vorname habe übrigens keine osmanischen Bezüge, sondern sei eine damals gängige Kurzform von Pascal bzw. Paschalis, erklärte Gatenbröcker. In der Schule habe sich Paschas Fleiß noch in Grenzen gehalten, stattdessen sei er schon als Junge gerne durch die Natur des Vorharz‘ geschweift.

Pascha Johann Friedrich Weitsch: Motiv aus dem Querumer Eichenwald. 
Pascha Johann Friedrich Weitsch: Motiv aus dem Querumer Eichenwald.  © Herzog Anton Ulrich-Museum, Brau | Kathrin Ulrich

Karrierebeginn der Porzellanmanufaktur Fürstenberg

Als junger Mann verdingte Weitsch sich als Schreiber und später möglicherweise auch Kartograf beim braunschweigischen Militär, wo sein zeichnerisches und malerisches Talent auffiel. Vorgesetzte hätten ihn beauftragt, Gemälde für sie zu kopieren, und 1756 stellte Karl I. ihn schließlich als Porzellanmaler in der kurz zuvor gegründeten herzoglichen Manufaktur in Fürstenberg an. „Furore“, so Gatenbröcker, machte eine Serie mit heimatlichen Ansichten aus dem Herzogtum, das der Maler dafür zwei Jahre mit einem Klemmbrett für Skizzenblätter durchwanderte - von der Weser bis auf die Gipfel des Harzes. Allein fünf Mal habe Weitsch den Brocken erklommen, wie das Gästebuch der damaligen Wirtsleute belege.

Zwei Grundzüge in Weitschs Schaffen sind damit schon umschrieben: die Konzentration auf Motive aus der Heimat, und das „aus der direkten Anschauung der Natur heraus“, wie Gatenbröcker hervorhebt. Damit sei der Maler auf der Höhe seiner Zeit gewesen. Das Gedankengut der Aufklärung begann sich durchzusetzen, der Vorrang eigener Erfahrung vor dem Nachbeten von Dogmen und dem Ausbuchstabieren von Traditionen. In der Malerei hieß das etwa: sich abzuwenden von italienischen Ideallandschaften, wie sie in den großen Akademien gelehrt wurden.

Jacob van Ruisdael (1628/29-1682): Hügellandschaft mit großer Eiche, Gemäldegalerie im Herzog-Anton-Ulrich-Museum.
Jacob van Ruisdael (1628/29-1682): Hügellandschaft mit großer Eiche, Gemäldegalerie im Herzog-Anton-Ulrich-Museum. © HAUM | B.P. Keiser

Die „heidnische Mittelgebirgslandschaft“ als Bildmotiv

Weitsch, der dem Halberstädter Aufklärer Johann Wilhelm Gleim und seinen Kreisen freundschaftlich verbunden war, setzte stattdessen 1769 die steil abfallende Felswand der Rosstrappe bei Thale in Szene. „Das war schon etwas Besonderes: die heidnische Mittelgebirgslandschaft zum Bildmotiv zu machen“, betont Gatenbröcker. Als massiver, spröder Riegel schließt sie das Gemälde kantig ab, versperrt den Blick ins Weite. Sechs Jahre später fasste der Braunschweiger Maler den Brocken in Öl, erhaben im Bildhintergrund thronend, vom Großen Fallstein aus gesehen.

Weitsch verfiel auf diese Motive nicht ohne Vorbilder. Er war ein eifriger Besucher der herzoglichen Gemäldegalerie, die sich im damaligen Schloss Salzdahlum befand. Herzog Karl Wilhelm Ferdinand ernannte ihn 1789 schließlich auch zum Galerie-Inspektor. Und bereits zuvor hatte sich Weitsch auch um Ankäufe von Gemälden gekümmert - zweimal sei er dafür etwa in die Niederlande gereist, erzählt Gatenbröcker.

Jacob Isaacksz van Ruisdael (1628/29-1682): Wasserfall mit Wachtturm, Gemäldegalerie des Herzog-Anton-Ulrich-Museums.
Jacob Isaacksz van Ruisdael (1628/29-1682): Wasserfall mit Wachtturm, Gemäldegalerie des Herzog-Anton-Ulrich-Museums. © HAUM | B.P. Keiser

Hoch im Kurs: Jakob van Ruisdael

Hoch im Kurs bei den Herzogen standen zeitgenössische holländische Landschaftsmaler wie Jakob van Ruisdael (1628-1682). Und auch die suchten sich neue, raue, nördliche Motive: In der Gemäldegalerie gibt es etwa einen dramatisch dahinstürzenden Wasserfall van Ruisdaels (gemalt um 1660-65), eine wilde schwedische Gebirgslandschaft Allaert Pietersz van Everdingens (um 1647) oder eine „Hügellandschaft mit großer Eiche“ wiederum von Ruisdael (um 1665). Und Eichenwälder wurden auch ein Vorzugsmotiv des späten Pascha Weitsch: Am berühmtesten ist sein „Querumer Eichenwald“ (1792), ebenfalls in der Gemäldegalerie des HAUMs zu sehen. Feinmalerisch grandios sind Blatt- und Astwerke gearbeitet, meisterhaft die Flucht der Bäume komponiert.

Weitschs Kunst weist auf die Romantik voraus. Allerdings wirken seine „Rosstrappe“ und sein „Brocken“ nicht so schroff und mystisch nebelumflort wie etwa Werke Caspar David Friedrichs, sie sind vielmehr in noch fast südlich warmes Licht getaucht. Und seinen Eichenwald bevölkern freundliche Hirtenfiguren wie die Ideallandschaften des Barock. Bezüge wie diese wird die große Schau „Naturtalent“ noch stärker herausarbeiten. Und sie wird nicht in der Dauerausstellung vertretene, teils frisch restaurierte Gemälde Weitschs erstmals seit langem wieder zeigen, ebenso wie Beispiele seiner Porzellanmalerei und seiner Zeichenkunst, die im Kupferstichkabinett lagern.

Bindung an die Heimat

Bei Röntgen-Untersuchungen im Zuge der Restaurierungen habe sich übrigens gezeigt, dass Weitsch sich auch an maritimen Szenen wie seine niederländischen Vorbilder versucht habe, erzählt Gatenbröcker. Er habe sie dann aber wieder mit heimatlichen Motiven übermalt. Offensichtlich habe er eine starke Bindung zum Herzogtum verspürt. Eine Berufung zum Professor an die neu gegründete Düsseldorfer Kunstakademie habe er ausgeschlagen, „obwohl ihm dort das Zehnfache seines Gehalts als Salzdahlumer Galerie-Inspektor geboten wurde“, so Gatenbröcker. Freilich sei er da auch schon ein recht betagter Herr gewesen. Weitsch starb am 6. August 1803 im Alter von 79 Jahren in Salzdahlum.

Die Sonderausstellung „Naturtalent“ ist vom 8. Dezember bis 7. April 2024 geplant.