Wolfsburg. Der britische Schmuse-Popstar überzeugt 7000 Fans mit Charme, starker Stimme und Ehrlichkeit. Musikalisch könnte mehr kommen.

Das trägt auch zum Ruhm bei: ein Hit, der gern bei Trauungen und Hochzeitsfeiern gespielt wird. Dem britischen Sänger Calum Scott ist das mit der romantischen Ballade „You Are The Reason“ gelungen. Er würde jeden Berg besteigen und durch jeden Ozean schwimmen, um bei dem Menschen zu sein, der der Grund ist, dass er noch atmet, singt er. Er würde ihn jede Stunde beschützen und dafür sorgen, dass das Licht die Dunkelheit besiegt.

Daraus wird allerdings wohl nichts. Denn die Ballade ist tatsächlich ein Song mit bittersüßer Melancholie. Es ist aus. Bekäme er noch eine Chance, würde der Protagonist alles wiedergutmachen, was er zerstört hat. Wofür auch immer der Song geschätzt wird, missverstanden oder nicht – eine Milliarde Mal wurde er bereits in Musikportalen gestreamt. „Das sind 1000 Millionen“, erläutert Scott am Samstag beim Sommerfestival der Autostadt, um seine Fassungslosigkeit zu verdeutlichen. Die Ballade sei der Titel, den er am liebsten singe, berichtet der 34-Jährige dann den 7000 Zuschauern – und verbindet das Lied mit dem Appell, dem oder der Liebsten („das kann auch der Hund sein“) zu sagen, wie wichtig sie für das eigene Leben sind.

Wie Calum Scott sich von Suizidgedanken befreite

Zum Tanzen und zum Weinen bringen: Das Ziel hat sich Calum Scott gesetzt, sagt er zur Begrüßung. Nach dem fünften Song eröffnet er die „Crying Corner“. Auf einem Barhocker sitzend, begleitet von Cello und Klavier, singt er zwei Balladen, die tatsächlich nahegehen. „Bridges“ handelt von der dunkelsten Zeit in seinem Leben. Da stand er mit Suizidgedanken auf Brücken und wog ab: Ist der Schmerz, mit dem ich lebe, schlimmer? Oder der Schmerz, den mein Tod verursachen würde?

Als er über die Zeit erzählt und darüber, wie Worte seiner Mutter und eine Therapie ihm halfen, kommen ihm die Tränen. Heute sei er auch dankbar für Berichte von Fans, die von eigenen Krisen erzählen – und wie sein Song ihnen half. „Ich habe eine Botschaft: Wenn die Dunkelheit euch umgibt – bitte redet mit jemandem.“ Der Song endet mit dem Satz: „Heute gehe ich über Brücken, um die andere Seite zu erreichen.“

Der zweite berührende Song ist seine Coverversion von Greg Holdens „Boys In The Street“: über einen Vater, der die Homosexualität seines Sohnes nicht akzeptiert und sie abfällig kommentiert. Auch das ein Lebensthema: Er erzählt über sein eigenes schwieriges Coming-out und über Freunde, die ihn fallen ließen, nachdem er sich ihnen anvertraut hatte. Wie er den Songtext mal aufbrausend, mal weich singt – sehr eindringlich.

Fans von Calun Scott beim Sommerfestival der Autostadt.
Fans von Calun Scott beim Sommerfestival der Autostadt. © regios24 | Lars Landmann

So einige empfindsame Balladen

Es gibt noch so einige andere empfindsame Balladen im Programm. Calum Scott singt sie gefühlvoll, ohne Theatralik und unangenehmes Pathos. Einen Sänger zeichnet auch das aus, was er nicht macht. Auch die Wechsel in die sichere Kopfstimme sind angenehm.

Der größte Teil der Songs ist effizient komponiert, ohne Soli, Bridges und Ausflüge in Nebenstraßen. Die Reduziertheit hat ihren Reiz – im Gros wünschte man sich indes ein wenig mehr Entwicklung und Schmuck. Der Gospelchor (eingespielt) im hymnischen „Biblical“ etwa ist so eine willkommene Steigerung. Textlich ist auch noch viel Spielraum für Individualität. Im Zentrum steht das Auf und Ab in der Liebe. Schöpferische Formulierungen sind dabei rar.

Der Sänger und sein Gitarrist.
Der Sänger und sein Gitarrist. © regios24 | Lars Landmann

Bekannt durch „Britain’s Got Talent“

Calum Scotts Bühnenpräsenz kompensiert das gelegentlich nur Durchschnittliche. Der Sänger, der 2015 durch die Show „Britain’s Got Talent“ einer großen Öffentlichkeit bekannt wurde, erzählt warmherzig über seine Songs und sein Leben und macht deutlich, wie viel ihm der Zuspruch bedeutet. Der ermöglichte ihm, seinen Job in einer Personalabteilung zu beenden und einen Traum zu leben: „Ohne euch wäre es nur ein Hobby.“ Auf die Bühne geworfene Fangeschenke zeigt er gerührt in die Kamera, die das Geschehen auf zwei Leinwände überträgt. Ein Armband streift er sich gleich über. Er trägt bereits drei Ketten, drei Ringe und zwei Armbänder. Im braunen Anzug steckt ein Einstecktuch. Er macht was her.

Das Konzert mit einem aufmerksamem Publikum aus drei Generationen hat Eleganz, auch durch die ruhige Lichtgestaltung mit meist nur einer Farbe pro Song. Das Versprechen, zum Tanzen zu bringen, hält Calum Scott aber ebenfalls ein. Beim eingängigen Dance-Pop-Hit „Whistle“ geht es rund. Höhepunkt ist seine groovende Version von Maroon 5s „This Love“, die Ballade, Soul und Pop kombiniert. Da lässt er dann auch die Hüfte kreisen. Vor seiner Solokarriere war der Musiker, der als Schlagzeuger begann, in einer Maroon 5-Tribute-Band. Die nannte sich, weil sie zu viert waren, Maroon 4, erzählt er.

Kusshände ins Publikum

Das rund 90-minütige Konzert endet nach starkem Beifall mit der Zugabe „Dancing On My Own“, seiner Coverversion des Robyn-Hits, die dafür sorgte, dass Juror Simon Cowell 2015 auf den goldenen Buzzer drückte und kommentierte: „Du bist mehr als ein Sänger, du bist ein Künstler.“ Calum Scott wirft zum Abschied in Wolfsburg Kusshände ins Publikum und fasst sich ans Herz. Schöner Abend.

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