Braunschweig. Im inklusiven Vorzeige-Quartier St. Leonhard eröffnet das LOT eine zweite Bühne samt Gastronomie und erweitert seine Theaterschule.

Bei Unternehmen würde man von rasantem Wachstum sprechen. Bei diesem Theater kann man das auch. Vor 14 Jahren übernahmen Stefani Theis und Martin von Hoyningen Huene die Leitung des LOT, Braunschweigs Spielstätte für freie Theatergruppen in der Kaffeetwete am westlichen Rand der Innenstadt. 1996 war das Haus auf Initiative einer damals sehr aktiven Gruppe namens „La Otra Orilla“ hin eröffnet worden - daher auch der Name LOT. Gefördert von Stadt, Land und Stiftungen, bietet es seitdem freien Theatermachern aus der Region und ganz Niedersachsen eine Bühne.

Beziehungsweise zwei - denn Theis und Hoyningen Huene haben seit Beginn ihrer Ägide nicht nur die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von zwei auf rund 20 verzehnfacht und neben der Spielstätte eine Art Theaterschule aufgebaut, das Theaterpädagogische Zentrum (TPZ). Sie haben auch die Standorte des LOT verdoppelt - und wie: Seit dem Frühjahr hat das Theater eine zweite Bühne, eine eigene Gastronomie und neue Räumlichkeiten für das TPZ, die maßgeschneiderter kaum sein könnten. Sie liegen in einem jungen Braunschweiger Vorzeige-Quartier St. Leonhard.

Blick aufs Quartier St. Leonhard mit dem  nördlichen Theatergebäude (hinten), in dem sich u.a. die Gastronomie und der neue Saal befinden.
Blick aufs Quartier St. Leonhard mit dem  nördlichen Theatergebäude (hinten), in dem sich u.a. die Gastronomie und der neue Saal befinden. © LOT | Oliver Schirmer

St. Leonhard - Vorzeige-Quartier für inklusives Wohnen, Lernen und Arbeiten

Nach den Sommerferien soll es dort so richtig losgehen mit dem Spiel- und Übungsbetrieb. Theis und von Hoyningen Huene führen vorab spürbar stolz und happy durch die so funktional wie hochwertig ausgebauten 1200 Quadratmeter Theater-, Funktions- und Gastronomieräume in zwei historischen Gebäuden gegenüber der Stadthalle. Bis 1978 hatte sie die Reiterstaffel der Polizeidirektion Braunschweig genutzt, dann lagen sie brach, wie das gesamte frühere Domänen-Gelände in Bahnhofsnähe.

Drei gemeinnützige Träger – die Richard-Borek-Stiftung, die Evangelische Stiftung Neuerkerode (ESN) und das Christliche Jugenddorfwerk Deutschland (CJD) - haben die Brache in den vergangenen Jahren in ein Vorzeige-Quartier für inklusives Wohnen, Lernen und Arbeiten verwandelt. Es umfasst reguläre Wohnungen sowie Appartements und eine Tagesförderung für Menschen mit Beeinträchtigungen, eine Kita und ein Internat, sowie eine Tagespflege- und Suchthilfeeinrichtung.

Rüdiger Becker vermittelte den Kontakt

Zwei frühere Stallgebäude, die das Quartier zur Straße hin abschließen, sollten ursprünglich auch vom CJD genutzt werden, erzählt von Hoyningen Huene. Aber dann habe dieses doch weniger Raumbedarf gehabt. Und da habe Rüdiger Becker, der damalige, zu früh verstorbene ESN-Direktor den Kontakt zum LOT hergestellt. Man kannte sich gut aus gemeinsamen, inklusiven Theaterprojekten wie der Gruppe „Endlich“ und dem Festival „Wechselblick“. Und das LOT brauchte Platz.

„Die Nachfrage freier Gruppen nach Auftrittsmöglichkeiten ist groß“, betont die künstlerische Leiterin Stefani Theis. Um eine Projektförderung des Landes zu erhalten, müssten Gruppen mindestens zehn Vorstellungen landesweit organisieren. Die wenigen freien Theaterhäuser in Niedersachsen könnten dem Bedarf nur schwer genügen. Und angesichts der Termindichte im „alten“ LOT hätten die Gruppen zu wenig Zeit, ihre Stücke dort professionell für Premieren einzurichten - „beispielsweise um ein Lichtkonzept zu erarbeiten, das unter anderem für den zeitgenössischen Tanz ganz entscheidend ist“, sagt Theis.

Modern eingerichtet in alten Mauern: Blick in den neuen Schwingboden-Probesaal des Theaterpädagogischen Zentrums.
Modern eingerichtet in alten Mauern: Blick in den neuen Schwingboden-Probesaal des Theaterpädagogischen Zentrums. © LOT | Moritz Geneit

Kulturministerium finanziert Machbarkeitsstudie

Problematisch sei auch die Raumsituation des Theaterpädagogischen Zentrums gewesen, das Theis und LOT-Geschäftsführer von Hoyningen Huene 2013 gegründet hatten. Es biete Spiel- und Tanzclubs für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, koordiniere aber auch theaterpädagogische Aktivitäten etwa in Schulen, erläutert Leiterin Kathrin Simshäuser. In den vergangenen Jahren war das TPZ in der sogenannten Kunstmühle beheimatet, einem früheren Industriegebäude im westlichen Ringgebiet. Gerade für inklusive Projekte war es nur bedingt geeignet, sagt Simshäuser.

„Wir haben eine Machbarkeitsstudie durchgeführt, die von der Braunschweigischen Stiftung, der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und dem Kulturministerium finanziert wurde“, berichtet von Hoyningen Huene. Ergebnis: Die Nachfrage nach Auftrittsmöglichkeiten im LOT und Angeboten des TPZ werde hoch bleiben - und dafür brauche es mehr Platz. Aber auch: Ein Ausbau des Stammgebäudes in der Kaffeetwete sei nicht möglich. „Und genau in dieser Situation kam der Kontakt zu den Machern des inklusiven Quartiers St. Leonhard zustande“, erzählt von Hoyningen Huene.

Die neue Bühne des LOT-Theaters im Quartier St. Leonhard. Der Saal bietet Platz für rund 80 Zuschauer. 
Die neue Bühne des LOT-Theaters im Quartier St. Leonhard. Der Saal bietet Platz für rund 80 Zuschauer.  © LOT | Moritz Geneit

Alles behindertengerecht

Die hätten die Theaterleute als Gewinn für das soziale Konzept des Quartiers angesehen. „Die Borek Immobilien GmbH war in der gesamten Bauphase sehr kooperativ und konnte sich auf die Anforderung eines Theaterbetriebs gut einstellen“, betont Stefani Theis. In der Coronakrise habe man zudem einiges Fördergeld aus dem Bundesprogramm Neustart Kultur akquirieren können, um damit Technik und Inventar zu finanzieren.

So sind im Quartier St. Leonhard ideale Bedingungen für den Theaterbetrieb und das TPZ entstanden: ein Saal für rund 80 Zuschauer mit neuester Bühnentechnik etwa, zwei Proberäume mit Schwingboden und Akustikdecke, ein Aufzug, mit dem auch Bühnenelemente transportiert werden können, modern ausgestattete Büros, schöne Sanitärräume - alles behindertengerecht in einem hochwertigen Mix aus sanierten Ducksteinmauern, Stahl, Glas und Holz. Hinzu kommen drei Apartments im Quartier, in denen Künstlerinnen und Künstler während ihrer Projekte am LOT-Theater wohnen können.

Theatergastronomie „4. Revier“ ist das letzte Puzzleteil

Nicht zu vergessen das Café-Restaurant „4. Revier“, das letzte Puzzleteil im Konzept: „Wir erhoffen uns Einnahmen aus dem Betrieb, es soll aber auch eine zentrale Begegnungsstätte für das gesamte Quartier sein“, sagt von Hoyningen Huene und weist auf die große Terrasse: „Man kann gerne, aber man muss nicht konsumieren.“ Um das in jeder Hinsicht ausgewachsene Theaterzentrum stringent zu organisieren, haben die als Vereine organisierten TPZ und LOT-Theater die gemeinnützige Freie Spielstätten Braunschweig gGmbH gegründet. Stadt und Land förderten das LOT-Theater jährlich mit circa 280.000 Euro, so Geschäfsführer von Hoyningen Huene. Hinzu kämen weitere Projektförderungen durch verschiedenen Stiftungen.

„Langfristig wird das nicht reichen, wenn wir das, was wir hier aufgebaut haben, erhalten wollen“, sagt Theis. Die künstlerische Leiterin verweist darauf, dass das LOT 2021 für „herausragende künstlerische Programmarbeit“ mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet wurde. Und nach der Theaterpause soll es in den neuen Räumen erst richtig losgehen.