London. „Nothing Compares 2 U“ machte die spröde Irin über Nacht zum Weltstar. Sie blieb unangepasst und verletzlich, bis zu ihrem frühen Tod.

Sie war eine der bemerkenswertesten, talentiertesten, mutigsten, aber auch zerrissensten Künstlerinnen der jüngeren Popgeschichte. Ihre klare, helle, kühle Stimme ging unter die Haut, weil sie fast überirdisch schön war, aber auch Emotionen eindringlich übertrug - vor allem Trauer, Wut, Verzweiflung. So wurde Sinead O‘Connors Version der Prince-Ballade „Nothing Compares 2 U“, die dem Schmerz über das Verlassenwerden aus soften Streichersounds heraus sich stetig steigernden Ausdruck verleiht, 1990 ein Welterfolg. Da war Sinead O‘Connor, eine Sängerin aus der Dubliner Subkultur, gerade einmal 24 Jahre alt und plötzlich eine internationale Berühmtheit.

Das lag auch an ihrer ungewöhnlichen Erscheinung. Auf dem markanten Video zu „Nothing Compares 2 U“ ist nur O‘Connors bleiches Gesicht beim Singen vor schwarzem Hintergrund zu sehen, am Ende tränenüberströmt, madonnenhaft schön. Aber jeden Anflug von Lieblichkeit unterläuft die Künstlerin bewusst durch den kahlrasierten Schädel, der ihr Markenzeichen wurde. Die Irin wollte keine Mainstream-Pop-Schönheit sein, sie verstand sich als Rebellin, als Außenseiterin, als Stimme der Unterdrückten und Verlorenen.

Die junge Sinead O‘Connor im Video zu „Nothing Compares 2U“.
Die junge Sinead O‘Connor im Video zu „Nothing Compares 2U“. © picture alliance / Photoshot | picture alliance / Photoshot

„Black Boys On Mopeds“ - eine Abrechnung mit Margaret Thatcher

Auf ihrem zweiten Album „I Do Not Want What I Haven’t Got“, das in zahlreichen Ländern auf Nummer 1 ging, finden sich neben dem Prince-Cover viele eigene Titel, darunter auch die Ballade „Black Boys On Mopeds“. Zu sanften Gitarren-Harmonien entwickelt sie sich als scharfer Angriff auf die britischen Konservativen unter Margaret Thatcher. Ausgehend von zwei Vorfällen, bei denen schwarze Jugendliche bei Polizeieinsätzen ums Leben kamen, schildert O‘Connor das aus ihrer Sicht ungeheuer kalte soziale Klima in Großbritannien. „England ist nicht das mythische Land der Madame George und der Rosen / Es ist die Heimat von Polizisten / die schwarze Jungs auf Mopeds erschossen.“ O‘Connor wirft Thatcher vor, sie handele ähnlich repressiv wie das chinesische Regime, das gerade die Studierendenproteste in Peking brutal niedergeschlagen hatte, und kündigt an, England mit ihrem ersten Sohn zu verlassen: „Wenn sie mich hassen / werden sie auch dich hassen“.

O‘Connor polarisierte. Ihre Kindheit und Jugend im damals noch erzkatholischen Irland waren hart. Die Eltern trennten sich früh, durften sich aber nicht scheiden lassen. O‘Connor wächst zunächst bei ihrer Mutter auf, die sie misshandelt, wie die Sängerin erzählte, zuletzt in ihrer vor zwei Jahren erschienenen Autobiografie „Rememberings“. Später wird sie der Schule verwiesen, beim Ladendiebstahl erwischt und schließlich in ein Internat katholischer Ordensschwestern geschickt. Auch dort sei sie misshandelt worden, versichert O‘Connor. Tatsächlich wurden seit den 90er Jahren mehrere Fälle von Gewalt und Kindesmissbrauch in den Einrichtungen des Ordens bekannt. Das Ventil der jungen Frau wird die Musik, 1987 veröffentlicht sie ihr erstes Album „The Lion And The Cobra“.

Rasierter Schädel als Zeichen der Verletzlichkeit und der Rebellion - Sinead O‘Connor bei einem Auftritt 1988.
Rasierter Schädel als Zeichen der Verletzlichkeit und der Rebellion - Sinead O‘Connor bei einem Auftritt 1988. © Getty Images | Independent News and Media

Tausende buhen den provokanten Star im Madison Square Garden aus

Nach ihrem Welterfolg mit dem zweiten Album weigert sie sich bei Konzerten in den USA aufzutreten, wenn vorher die Nationalhymne gespielt wird. Einen Grammy nimmt sie nicht an, und bei einem Gesangsauftritt im Oktober 1992 in der populären TV-Show „Saturday Night Live“ zerreißt sie vor laufender Kamera ein Bild von Papst Johannes Paul II., offenbar um auf Kindesmissbrauchsbrauchsfälle in der katholischen Kirche aufmerksam zu machen.

Einige Wochen später hat sie einen Auftritt bei einem Konzert zahlreicher US-Stars zu Ehren Bob Dylans im New Yorker Madison Square Garden. Die große Mehrheit der rund 20.000 Fans buht die zarte, kahlgeschorene Frau gnadenlos aus, als sie die Bühne betritt. O‘Connor lässt das scheinbar reglos über sich übergehen, minutenlang. Sie gebietet ihrer Band zu schweigen. Und singt schließlich solo in den Wut-Orkan hinein, ebenso wütend, wie schon bei „Saturday Night Live“ Bob Marleys Titel „War“, eine Kampfansage gegen Rassismus‘, in die sie erneut das Wort „child abuse“, Kindesmissbrauch, mit einflicht.

Psychische Probleme und ein schwerer Schicksalsschlag

Amerikanische Radio- und TV-Sender boykottieren sie zeitweise, und mit kontroversen Äußerungen, unter anderem Sympathiebekundungen für die IRA, macht sie sich auch in Großbritannien weitere Feinde. An den kommerziellen Erfolg ihrer ersten Alben kann sie nicht mehr anküpfen. 2002 bringt sie ein Album mit traditionellen irischen Folksongs heraus, 2005 ein Reggae-Album, 2007 das Album „Theology“ mit spirituellen Liedern über das alte Testament. Ihr letztes Studioalbum „Im Not Bossy, I‘m The Boss“ erscheint 2014. Live spielt sie nun in kleineren Hallen und Clubs. Auf Youtube kann man sehen, dass es dabei immer noch magische Momente von mitreißender Intensität gibt, in denen ihre Stimme Schmerz, Verletzlichkeit, Sehnsucht in kühle Klangschönheit transzendiert.

O‘Connor ist psychisch angeschlagen, leidet an einer Borderline-Störung, aber auch an posttraumatischen Belastungen aus ihrer Kindheit und Jugend. 2012 bricht sie eine Tournee wegen psychischer Probleme ab. Sie berichtet in Interviews von Versuchen, sich das Leben zu nehmen, und von Therapien. Sie ist auf der Suche nach tieferen Wahrheiten, zieht sich mehrfach aus dem Musikgeschäft zurück, studiert kurzzeitig Theologie und Operngesang. 2018 tritt sie zum Islam über. Sie bekommt vier Kinder von verschiedenen Männern und heiratet viermal - die letzte Ehe wird nach 16 Tagen geschieden. Der schwerste Schicksalsschlag trifft sie vor einem Jahr, als sich ihr 17-jähriger Sohn Shane das Leben nimmt. „Seitdem lebe ich als untote Nachtkreatur. Er war die Liebe meines Lebens, die Lampe meiner Seele“, wird sie danach zitiert.

Am 26. Juli fand die Polizei sie leblos in ihrer Londoner Wohnung. Die Todesursache ist noch unklar. Sinead O‘Connor wurde 56 Jahre alt. Sie hinterlässt drei Kinder und einige zeitlos schöne, berührende Lieder. „Nothing Compares 2 U“ ist das berühmteste.