Hannover. Große Vielfalt und wieder mehr politische Positionen beim Internationalen Choreographiewettbewerb in Hannover – Braunschweiger Tänzer im Finale.

Opposition in Tansania ist nicht ungefährlich. Tanz kann da eine wichtige politische Haltung sein, die ihrerseits gefährdet ist. Dabei flattern die beiden Tänzer mit wehenden Hemden einerseits fröhlich und energiestrotzend über die Bühne des hannoverschen Aegi-Theaters, strotzend auch von Selbstgestaltungswillen. Da klingt auch noch das Stampfen und die große Gebärde des alten Afrikas an.

Und andererseits absolvieren sie eine Phase mit Pflaster vorm Mund. Aus dem Off werden Politikerkarrieren gepriesen, erklingt die Wohlfühlmischung aus Rap und Werbung, die sich heute viele gern zu eigen machen. Aber dann kommt das fiktive Gewehr in Anschlag, einer fällt, der andere wird ihn davontragen, mit erneuter Power drehen sie auf und gehen dann stumm der roten Sonne Afrikas entgegen, die blutig scheint und doch visionär.

Getanzte Opposition aus Afrika

Abdullah Mwinyimkiuu und Joslain Richard aus Tansania haben ein Stück Empowerment geschaffen, eine wichtige politische Visitenkarte aus einem Land, in dem Tanz noch viel weniger gefördert ist als in Europa. Und auch ein Beleg für die Wichtigkeit der internationalen Ausrichtung des renommierten, zum 37. Mal von der Ballettgesellschaft Hannover ausgetragenen Choreographiewettbewerbs unter der künstlerischen Leitung des Braunschweiger Tanzdirektors Gregor Zöllig.

Tanzpremiere in Braunschweig- Menschen im Sturzflug

Der 1. Preis der Fachjury des 37. Choreographiewettbewerb Hannover ging an „False Memories“ von und mit Tu Hoang und Hiro Murata aus Vietnam und Japan.
Der 1. Preis der Fachjury des 37. Choreographiewettbewerb Hannover ging an „False Memories“ von und mit Tu Hoang und Hiro Murata aus Vietnam und Japan. © Choreographiewettbewerb Hannover | Ralf Mohr

Traurig: Die beiden Choreographen bekamen kein Künstlervisum, zwei Tänzer aus Kamerun und Gabun sprangen sein. Kulturminister Falko Mohrs hatte im Grußwort zuvor angeboten, „im Notfall“ zu helfen, hatte dabei wohl an die Finanzierung gedacht, aber vielleicht könnte man ihn auch mal um solche Visaklärung bitten. Immerhin bekamen die Tansanier den Publikumspreis (1000 Euro), und auch wir in der Kritikerjury fanden diese Farbe des getanzten Protests preiswürdig (1500 Euro) in einem erfreulich stil- und themenreichen Jahrgang auf hohem auch tänzerischen Niveau.

Freundschaft und falsche Familienehre

Stark etwa auch, was Kwame Asafo-Adjei als Auseinandersetzung zwischen Vater und Tochter über Familienehre mit einer Hand- und Ellenbogenchoreographie auf den Tisch brachte. Oder die ukrainische Tänzerin Daria Koval zu ihren Gedanken am Meer des Exils performte. Auch die Braunschweiger Arbeit „Place to be“ von Dor Mamalia und Staatstheater-Tänzer Dariusz Nowak, getanzt von Nowak, Joshua Haines und Jin Young Won, schaffte es mit ihrer Bewegungsexplosion zu Debussys „Clair de Lune“ ins Finale!

Zwei Braunschweiger Tänzer choreographieren Stück in Hannover

Die Fachjury vergab den 1. Preis (6000 Euro) an Tu Hoang und Hiro Murata (Vietnam/Japan), die ein sehr dichtes Freundschafts-Duo tanzten. Den 2. Preis (3000 Euro) bekam Marioenrico D’Angelo für ein spannendes Duo zu Wagners Lohengrin-Vorspiel, das den Gralsgedanken helfender Nähe mit klaren, ungekünstelten Bewegungen umsetzte. Der 3. Preis (2000 Euro) ging an Min Kims Trio streitender Tänzer die mit löwenhaft aufgerissenen Mündern ihre Wut am Tisch auskämpften.

Workshop statt Revolution

Vielleicht ließe sich ja nächste Saison eine Preisträger-Gala in Braunschweig organisieren, es wäre ein starker Einblick in die aktuelle internationale Tanzproduktion.