Braunschweig. Der international gefeierte Bassist Franz Hawlata singt in Braunschweigs „Götterdämmerung“ den Finsterling Hagen.

Man muss sich Franz Hawlata als fröhlichen Menschen vorstellen, auch wenn er die Partitur von Wagners endzeitlicher „Götterdämmerung“ vor sich auf dem Tisch liegen hat. Aufgeschlagen natürlich die Szene, als der despotische Zwerg Alberich seinen Sohn Hagen noch einmal einschwört auf sein Lebensziel: die im Ring des Nibelungen symbolisierte Macht wiederzuerlangen. Hagen, das ist Hawlatas Rolle im Braunschweiger „Ring“, der sich am Sonnabend mit dem vierten Teil, der „Götterdämmerung“, schließen wird.

Der international gefragte Bassist gehört zu jener Sängergeneration, die offen ist für neue Regiekonzepte. Bei den Bayreuther Festspielen interpretierte er in Katharina Wagners Regie einen Hans Sachs, der sich vom freundlichen Volksfreund zum gefährlichen Demagogen entwickelt. In Barrie Koskys knallbunter „Schweigsamen Frau“ von Richard Strauss in München verkörperte er den Sir Morosus, dem alle Musik zu laut ist. Und er war der skurrile Doktor in Bergs „Wozzeck“ in der New Yorker Carnegie Hall. Gerade hat er in Stuttgart den Räuber Hotzenplotz gesungen, eine Figur, die dem kräftigen Bayern auf den Leib geschrieben scheint.

Erfahrungen auch als Chefgott Wotan

Den Hagen singt er erst zum zweiten Mal. Bislang war vor allem Chefgott Wotan seine Partie im „Ring“. „Vor fast 20 Jahren habe ich Hagen im ,Ring’ der Festspiele Erl gemacht, da gab es nur zwei Vorstellungen. Und das war eigentlich auch zu früh. Für diesen Weltverneiner kann man Reife und Lebenserfahrung brauchen“, sagt der 59-Jährige bei unserem Gespräch. Wagners Musik sei hier besonders finster, der Text gedankenschwer.

In der Braunschweiger Inszenierung kam Hagen schon als Knabe im „Rheingold“ vor. Hawlata hat sich ein Video davon angesehen und kann den Regieansatz von Isabel Ostermann gut nachvollziehen. „Es geht ja um die zu Machtzwecken missbrauchten Kinder. Hagen soll einlösen, was Vater Alberich nicht erreicht hat. So wie Wotan seiner Lieblingstochter Brünnhilde seine Ideen aufdrängen will“, erläutert er. Knabe Hagen wirkte eher verschüchtert. Und nun in der „Götterdämmerung“ ist so ein stattlicher Mann daraus geworden. Einer, der alles daransetzt, den gegenwärtigen Ring-Besitzer Siegfried auszuschalten. Ein Intrigant und zuletzt auch Mörder. Eigentlich immer die unsympathischste Figur im „Ring“.

Wagners psychologische Vielschichtigkeit

„Die Rolle hat schon einen Subtext. Hagen wurden alle Gefühle abtrainiert, denn kein Mensch ist ja aus sich selbst heraus böse. Ich glaube schon, dass er leidet unter seiner Emotionslosigkeit. Wenn er zum Beispiel in der Verbrüderungsszene zwischen Siegfried und Gunther singt, dass er sein stockendes Blut nicht dazumengen kann, dann schwingt da vielleicht doch etwas Sehnsucht nach solcher Freundschaft mit. Und er bewundert Siegfrieds ungestüme Art, ist sicher auch neidisch darauf, dass er nicht so sein kann“, sagt Hawlata.

Götterdämmerungs-Probe am Staatstheater- Tanz den Wagner

Wenn er die „freien Söhne“ wie Siegfried besingt, dann sei das nicht unbedingt Spott, sondern auch Traurigkeit. „Das ist das Große an Wagners Musik, dass sie diese psychologische Vielschichtigkeit hat.“

In der Traumszene mit Alberich werde freilich deutlich, wie tief dessen Einflüsterungen in ihm sitzen. „Er führt den Mord an Siegfried professionell aus. Aber dann bricht er zusammen. Wenn er am Ende dem Ring in die Rheinfluten nachstürzt, ist das der pure Selbstmord. Er weiß, dass er darin umkommen wird, und er will es“, meint der Sänger. Wagners Werk sei da die ideale Warnung an alle Diktatoren, ob Kim oder Putin: „Selbst wenn sie durch Nachkommen ihre Macht verewigen wollen: Nichts bleibt.“

Dilemma: Liebe statt Macht oder Liebe an die Macht?

Hawlata kennt als langjähriger Wotan-Sänger die „Ring“-Welt aus beiden Perspektiven und betont: „Wotans Zivilisationsidee ist eine Utopie, auch wenn sie schrecklich scheitert, aber er erstrebt eine gute Ordnung. Alberichs und Hagens Gegenentwurf ist von vornherein eine Dystopie, ist Nihilismus. Und da war Wagner eben doch Humanist: Jeder Versuch einer Utopie ist besser als ihre Verneinung.“

Hawlata denkt dabei auch über die aktuellen Bezüge nach. „Bei Wagner heißt es, wer der Liebe entsagt, bekommt die Macht, und die sieht er als Freund des Anarchisten Bakunin kritisch. Aber muss dann, wer aus Liebe handelt, auf Macht verzichten? Denken wir an die Klimabewegung, die Liebe muss ja wirksam werden“, so der Sänger.

Sängerfreundlicher Dirigent

Nun war für Wagner im 19. Jahrhundert die Auflösung der Adelsherrschaft als Machtsystem natürlich ein Fortschritt. „Heute, in der Demokratie muss man schauen, wie man der Liebe zur Macht verhelfen kann, wie das etwa die Hippiebewegung in den 60er-Jahren versucht hat.“ Für Hawlata jedenfalls ist klar, dass die letzten zwanzig Takte der „Götterdämmerung“ mit dem Liebesmotiv eine Utopie verkünden, eine, die auf alte Machtstrukturen und den Ring verzichtet.

Braunschweigs Staatsorchester huldigt dem Gesang der Insekten

Der Sänger hat die Partitur nun zugeklappt und muss in die Garderobe für die Hauptprobe. Er freut sich, mit dem Staatsorchester unter Leitung von Srba Dinic zu musizieren. „Dinic geht wunderbar auf die Sänger ein, führt das Orchester mit ruhiger Hand, das ist bei einem so komplexen, langen Werk wichtig.“

Vom Chorknaben zum Opernsänger

Es wundert auch nicht, dass ein Sänger, der so tief in die Philosophie eines Werkes eintaucht, sich Rollen wie den aus Leiden weisen Erzähler Gurnemanz in Wagners „Parsifal“ wünscht. Wo findet er noch solche Welthaltigkeit wie bei Wagner? „In Bergs ,Wozzeck’ und Brittens War Requiem“, antwortet er schnell. Ansonsten will er sich weiter den reiferen Charakteren widmen: König Philipp, der noch einmal Liebe und Freundschaft erlebt, in Verdis „Don Carlos“ oder den an seiner Macht verzweifelnden Zaren in „Boris Godunow“.

Sänger geworden ist er ja, weil er schon als katholischer Chorknabe gern Laientheater gespielt hat. Und weil nachher der Klavierlehrer anstrengend, der Gesangslehrer aber sympathisch war, ist er dessen Vorschlag zum Opernstudium gefolgt. „Das war die beste Entscheidung meines Lebens.“ Und da blitzt wieder das fröhliche Lachen auf.

Vorstellungen am 3., 10., 18. und 24. Juni. Karten: (0531) 1234567 und www.konzertkasse.de