Braunschweig. Das Schauspiel „Stolz und Vorurteil“ nach Jane Austens Roman ist eine unterhaltsame Erziehung des Herzens und launige Rache an Shakespeare.

Oha, es scheint so, als hätte unser Staatstheater endlich mal wieder einen Knaller im Schauspiel: Standing Ovations nach drei unterhaltsamen, aber auch nicht ganz unermüdenden Stunden „Stolz und Vorurteil (oder so“) im Kleinen Haus. Eine launige Neuerzählung des berühmten Romans von Jane Austen aus dem Jahr 1813 von der britischen Gegenwartsautorin Isobel McArthur, inszeniert von der jungen Julia Prechsl.

Es geht quicklebendig, sehr beweglich, zuweilen unbekümmert ulkig zu. Garniert ist das Ganze musicalhaft mit Live-Musik, toll gesungenen Liedern und hübschen Regieideen, etwa einem wildromantischen Liebesritt mit rosa Pferdekopf, Fön und Konfetti. Die Geschichte von Jane Austen wird zwar sprachlich modernisiert und pointiert, aber getreu erzählt.

Also: Wer wollte da groß in die Suppe spucken? Also: ich. Wenigstens ein bisschen. Roman und Stück spielen im Hause einer Mutter von fünf Töchtern der unterer Mittelschicht. Aufgrund von patriarchalischen Erbschaftsregelungen in good old England muss sie die Töchter (mindestens eine) unter die Haube bringen, um ihrer Familie den Besitz zu erhalten.

Lauter Dienstmädchen

Isobel McArthurs Grundidee ist, die Handlung von den Dienstmädchen der Familie nachspielen zu lassen. Nun geht es los mit dem Suppespucken: Die Sinnhaftigkeit oder gar Notwendigkeit dieses Nachspielens erschließt sich nicht. Nicht so wie etwa in Jean Genets Kammerspiel „Die Zofen“, wo es sich zu einem subtilen Machtkampf zuspitzt. Und auch sonstwie nicht.

Hier kann man eher auf die Idee kommen, dass es McArthur einfach nur darum ging, mehr, um nicht zu sagen: nur Frauen auf der Bühne zu haben. Die wesentliche Personnage: eine Mutter, fünf Töchter, eine bornierte High-Society-Lady – und vier Männer. Alles Dienstmädchen, die oft in Windeseile Rollen und Kostüme wechseln. Fünf Schauspielerinnen, eine Musikerin (Thari Kaan). Die Autorin dreht also den Spieß um: Waren im elisabethanischen Zeitalter alle Rollen ausschließlich mit Männern besetzt, so eben jetzt nur mit Frauen. Späte Rache an Shakespeare.

Klischeehaft

So geraten die Männer allesamt zu klischeehaften Knallköppen. Überhaupt nicht attraktiv für kluge, hübsche junge Frauen (aber trotzdem heiß begehrte Handelsware, darum geht es ja). Der reiche Arrogantling Darcy ist in der Gestalt von Saskia Taeger ein verklemmter Junker Bleichenwang. Sein Freund Bingley in Gestalt von Juli Niemann ein eher prolliger Gute-Laune-Bär.

Hinzu kommen: ein Typ von überragender emotionaler Intelligenz (laut Selbsteinschätzung), der sich von der eigenen Sensibilität durch stundenlange Wannenbäder im Kerzenschein erholen muss (Nora Schulte): die Karikatur eines hippiemäßigen Blenders.

Fast schon ärgerlich: Saskia Taeger als heiratswütiger, bällewerfender Verwandter – eine nervig überdrehte Knallcharge.

Heiraten müssen

Nicht ganz unanstrengend ist der Abend auch deshalb, weil das Problem mit dem Heiraten-Müssen arg redundant durch den Wolf gedreht wird. So spaßig es ist, wie die Mutter (Saskia Petzold) in ihrer durchaus anrührenden Mischung aus diktatorischer Matronenhaftigkeit und echter Existenzangst die Garde ihre Töchter abschreitet wie ein Feldwebel oder ihnen einbläut, wie sie bei Bällen Komplimente zu verteilen haben, so denkt man doch irgendwann: Jaha! Wir haben verstanden!

So schwebt der Abend phasenweise in der Gefahr der sich dehnenden Verflachung. Er ist auch einfach zu lang.

So, Nun aber genug gespuckt. Denn jetzt kommen wir endlich zum Wesentlichen. Zur Wesentlichen: zu Nina Wolf als aufmüpfiger Tochter Elisabeth. Sie ist wunderbar herzhaft. Wie sie ihre Mutter anzischt, sich den stockfischigen Darcy mundgerecht zurechtlegt, wie sie seine dreist verletzende Dünkelhaftigkeit rhetorisch filetiert, ihn abkanzelt und, horribile dictu: abweist!!! Wie sie das mit dem redlichen, gänzlich unverstellten Mut der Verzweiflung und dem Furor einer wahren Liebhaberin angeht, das wärmt einem beim Zuschauen das Herz.

Die Widerspenstige

Um noch einmal Shakespeare umzudrehen: Die Widerspenstige zähmt sich den blasierten Blödmann zurecht. Es ist eine Art Erziehung des Herzens. Und wenn dann am Ende… Ja, das macht dann auch Saskia Taeger sehr schön, das Zerbrechen des Schutzpanzers der Arroganz, aller gesellschaftlicher Konventionen, die Unbezwingbarkeit der wahren Empfindung bei Darcy… schluck.

Na gut. Standing Ovations.