Braunschweig. Ausverkauftes Haus. Der Starpianist spielt Brahms, Wagner, Liszt, eindringlich und introvertiert. Und legt bei der Zugabe ein Geständnis ab.

Nach längerer Zeit mal wieder ein ausverkauftes klassisches Konzert im Großen Haus des Staatstheaters. Dabei ist es ein reiner Klavierabend, programmatisch eher unspektakulär. Doch der Pianist ist eine Berühmtheit, nicht nur seiner bemerkenswerten künstlerischen Qualität wegen. Igor Levit tritt auch politisch in Erscheinung, spielt Klavier in vom Autobahnausbau bedrohten Wäldern und Flügel bei Protesten gegen eine Versammlung des AfD-„Flügels“ in Potsdam. Er ist Mitglied der Grünen und arbeitet virtuos mit den sozialen Medien. Weithin bekannt wurden etwa seine per Twitter übertragenen Hauskonzerte während der beklemmenden Frühlingsmonate des ersten Corona-Lockdowns 2020.

Daraus resultierte sein Album „Encounter“, auf dem der heute 36-Jährige innerliche, zunehmend meditative Klavierstücke von Bach über Brahms bis zu den frei schwebenden Impressionen Morton Feldmanns versammelte.

Magisch, sanft, fließend

Am Samstagabend in Braunschweig spielt er daraus Brahms’ Choralvorspiele, ursprünglich für Orgel geschrieben, als übrigens letzte Werke des Künstlers, nun in einer Pianofassung von Ferruccio Busoni. Es sind kurze, in sich gekehrte Stücke. In Erinnerung bleibt vor allem die magische, sanft wie ein Bach (Wortspiel!) fließende zweite Variation von „Herzlich tut mich verlangen“.

Shenandoah“ heißt ein amerikanischer Folksong, wie ein Fluss in Virginia, oder auch der indigene Name für „Tochter der Sterne“. Der US-Jazzpianist Fred Hersch (68) hat auf Bitten Levits Variationen darüber geschrieben. Ein bisschen erinnert die Melodie an „Weißt du wie viel Sterne stehen“. Die ersten Versionen klingen offen, klar, weit, amerikanisch, eher folkig als jazzig, allerdings in abstrahierender, harmonisch offener Form. Für kurze Zeit wird’s kraftvoll-emotional, dann wieder lyrisch, sphärisch, doch noch etwas jazzy. Keine Offenbarung, aber ein entspannter Genuss, von Levit konzentriert, teils versunken gestaltet, auf Strukturen und Phrasierung, überhaupt nicht auf Effekt bedacht.

Woran es dem „Tristan“ fehlt

Die Klavierfassung von Wagners Vorspiel zu „Tristan und Isolde“ ist jetzt, ehrlich gesagt, kein echter Zugewinn. Dem Klavierklang eignet gerade in leisen Passagen doch immer etwas Vergeistigtes, Distanziertes. Die Glut des Streicher-Gesangs, für „Tristan“ essenziell, kann er nicht ersetzen. Daran gebricht es auch Levits Darbietung, bei aller Gestaltungstiefe, die er hineinlegt.

Grandios dann die Liszt-Sonate h-Moll, in die der Hannoveraner Musik-Professor übergangslos eintaucht. Sie beginnt mit düsteren Bass-Schlägen, stellt ein erstes auf- und absteigendes Thema vor. Bei rasanten Achtel-Stakkato-Schlägen mit beiden Pranken über die gesamte Klaviatur gibt Levit erstmals seiner Virtuosität Raum. Schon wird die Textur wieder brüchig, dann verspielt, ein zweites, hymnisches Thema fließt ein. Levit ist am wunderbar resonierenden Steinway & Sons-Flügel ein exzellenter Gestalter von Stimmungen, da ist sein Spiel mitreißend farbenreich. Der Liszt endet nach einiger Dramatik wieder mit dunklen Bass-Schlägen. Begeisterter Applaus.

Bescheidenes Lächeln

Der Künstler, medial durchaus markant im Erscheinungsbild, tritt in Braunschweig sehr zurückhaltend auf, ganz der Musik zugewandt, in einer weiten anthrazitfarbenen Jacke, schwarzer Lederhose und Shirt. Ins Piano scheint er teils zu versinken mit tief gebeugtem Rücken, die Nase dicht über der Tastatur. Im ersten Teil des Konzerts nutzt er ein Tablet als Notenblatt, den „Tristan“ und den Liszt spielt er auswendig.

Beim „Tristan“ vergisst Levit sieben Takte, wie er im lang anhaltenden Schlussapplaus gesteht. „Eigentlich würde ich die am liebsten als Zugabe spielen“, sagt er. Gibt dann aber Schumanns „Der Dichter spricht“ aus den „Kinderszenen“. Bescheidenes Lächeln, reichlich Beifall.

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