Braunschweig. Theater mit Kind: Was bleibt für die Kleinen eigentlich hängen? Im Braunschweiger Theater Fadenschein probieren wir es aus.

„Wann geht der Film endlich los?“, fragt mein noch-nicht-ganz-Vierjähriger. Wir sitzen zusammen in der zweiten Reihe im Theater Fadenschein, gleich soll es losgehen. Theater für Kinder: Ich fand das schon immer super, so unmittelbar und spielerisch. Seit ich selbst Kinder habe, frage ich mich aber immer öfter, ob das überhaupt gutgehen kann. Getraut habe ich mich bis jetzt noch nicht, mit Nachwuchs in eine Vorstellung zu gehen. Bis heute.

Die Premiere von „Der Bär, der nicht da war“, ist ausverkauft. „Hast du die Tickets eingepackt?“, hat mich mein Sohn vor dem Losgehen mahnend gefragt. Überreden brauchte ich ihn nicht besonders, er wäre zwar lieber schwimmen gegangen, aber dieses neue Abenteuer nimmt er auch gerne an. Im Kino war er ja schon mal – schon zwei mal. Und das hier ist ja sowas Ähnliches (damit habe ich ihn gelockt).

Faszination Zahlen und Buchstaben

Jetzt sitzen wir also, es ist voll, und mein Sohn ist ganz ungewöhnlich ruhig. Erst interessierte er sich noch rege für die Zahlen auf den Stühlen (Zahlen und Buchstaben sind sein Ding). Jetzt wirkt er ein bisschen eingeschüchtert von der neuen Situation. „Die Kinder erleben durch das Theaterspiel, dem sie folgen, ganz andere ästhetische Reize“, hallt es in meinem Kopf nach. Diese Worte hat mir Bernd Upadek mal gesagt, Leiter des Jungen Theaters in Wolfsburg. Man solle seine Kleinen ruhig mal mit diesem Neuen konfrontieren und sie statt über distanzierte Medien, die einen Bildschirm benötigen, eine Geschichte mal hautnah erleben lassen.

Okay, also los. Das Stück beginnt. Sorge hatte ich im Vorhinein vor zwei Dingen: Dass mein Sohn sich völlig danebenbenimmt, lauthals schreit, rumrennt oder sowas; und, dass er mit dem Gezeigten so gar nichts anfangen könnte und nach drei Minuten raus möchte. Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Der Kleine sitzt zwar ziemlich bedröppelt, ganz eingefaltet auf seinem Stuhl, wirkt aber ansonsten ausgeglichen.

Glucksendes Kinderlachen als Soundtrack

Konzentration also nach vorne gerichtet. Das Staatstheater Braunschweig arbeitet für diese Produktion mit dem Theater Fadenschein zusammen, Schauspieler Roman Konieczny und Puppenspielerin Miriam Paul erzählen auf der Bühne gemeinsam, jeweils in ihrem eigenen und dem Metier des anderen, ihre Geschichte. Moritz Wappler ist als Klangkünstler mit dabei.

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Das Ergebnis: Ziemlich atmosphärisch. Musik, Schauspiel und Bühnenbild interagieren ziemlich intuitiv, das ist sehr anregend, und auch die Erzählung vom Bären ist so assoziativ, dass die potenziell kurze Aufmerksamkeitsspanne der kleineren Zuschauenden nicht überfordert wird. Die finden in der episodenhaften Handlung immer wieder Situationskomik. Glucksendes Kinderlachen, eine bessere Untermalung gibt es ja eigentlich gar nicht.

Geschichte nichts für Erwachsenenlogik

Inhaltlich geht es um…. Ja, worum eigentlich? Eine halbe Stunde ins Stück hinein mal eben beim Nachwuchs nachfragen: Gefällt es dir bisher? Stummes Nicken. Alles ok bei dir? Stummes Nicken, er kuschelt sich an. Das heißt wahrscheinlich, dass ich die Klappe halten soll.

Also: Wenn Sie mich fragen, geht es inhaltlich um einen Bären, der aus einem mittelgroßen Juckreiz entsteht und dann nicht so genau weiß, wie er da hingekommen ist. Ja, das ist rätselhaft, aber hier braucht man mit erwachsener Logik überhaupt nicht anzusetzen, in diesem Stück ist die intuitive Herangehensweise von Kindern gefragt. Ist halt einfach so, da ist er nun.

Lehrreiche Erlebnisse mit den Waldtieren

Aber wer ist er eigentlich, wo gehört er hin, und überhaupt? Diese Fragen geben den Rahmen für die kleine Entdeckungsreise des Bären. Er trifft andere Tiere des Waldes, die ihn anleiten, erforscht die Geschosse des Waldes (hier ist Platz für eine kleine Lehrstunde), zählt Blumen mit Zahlen und Adjektiven, fährt Taxi auf einer blechernen Schildkröte und findet dabei ganz nebenbei heraus, dass er ein netter Bär, ein glücklicher Bär und ein hübscher Bär ist. Ach ja, und sein Zuhause, das findet er auch.

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Langweilig ist das auch für Erwachsene nicht. Es gibt viel zu sehen und zu hören: Immer wieder werden Blumenmeere oder Blätterwelten auf das Bühnenbild projiziert, und die Klangkunst von Moritz Wappler hat einen ähnlichen Effekt: Bereitwillig öffnet sich die Fantasie für die wundersame Geschichte des Bären.

Viel Spaß beim Applaudieren

Und das Kind? Sitzt mittlerweile auf meinem Schoß. Eine Stunde hat er keinen Ton gesagt. Das muss irgendein Rekord sein. „Ist es jetzt zu Ende?“, fragt er, nachdem das letzte Lied gesungen ist und ein musikalischer Schlusspunkt sich andeutet. Ja, antworte ich ihm, und dann, eine unerwartete Überraschung: „Was ist das denn?“

Nun ja, die Menschen applaudieren. Das kennt der Kleine nicht. Ich zeige ihm, wie das geht, und die Begeisterung ist groß. Draußen gibt es noch Kuchen, auch da sagt er nicht nein. Hat es ihm gefallen? „Ja.“ Und was hat ihm gefallen? „Das Klatschen.“ Und worum ging es in der Geschichte? „Um einen alten Bären, der nicht zählen kann, weil er keine Zähne hat.“ Ach so! Dann wissen Sie jetzt auch Bescheid.

Das Stück wird in der kommenden Spielzeit wieder aufgenommen.