Berlin. Als Minister hatte zu Guttenberg einst verbrannte Erde hinterlassen. Nun versuchte er bei RTL alles, um witzig und locker zu sein.

"Menschen, Bilder, Emotionen" – das klingt dynamisch. Dennoch beginnt der Abend beim RTL-Jahresrückblick irgendwie steif. Da stehen sie, der "Wetten, dass..?"-Moderator Thomas Gottschalk im Nadelstreifen und der Ex-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg im salopp sitzenden Anzug mit Freundschaftsarmbändern ums rechte Handgelenk und Schuhen mit modisch weißer Sohle. Da stehen sie und versuchen, witzig zu sein. Geht schief.

Es beginnt mit einem Gehampel um zu Guttenbergs Vielzahl an Vornamen. Zu Guttenberg bietet Gottschalk an, auf "Karl-Theodor“ zu verzichten. "KT" reiche. Ist nicht lustig. Noch ein paar Späße, warum Günther Jauch die Sendung nicht mehr moderiert. Man habe sich verjüngen wollen. Ist auch nicht lustig. Wie soll man das bis kurz vor Mitternacht ertragen?

Aber "KT" ist ja nicht dumm. Er weiß schon, was die Menge gerne hört. Bei der Art Vorstellung des Moderatoren-Duos nennt er Gottschalk den "Silberrücken" des deutschen Fernsehens. Eine banale Floskel. Aber – jetzt kommt der Eisbrecher. Zu Guttenberg sagt über sich selbst: "Mich kannten Sie mal früher als politischen Lackaffen." Ja, das gibt Applaus.

RTL-Jahresrückblick: Zu Guttenberg will das "Lackaffen"-Image unbedingt loswerden

Lackaffe. Das waren Zeiten, als Karl-Theodor zu Guttenberg, 50, nach sechs Monaten im Amt als Bundesverteidigungsminister am 1. März 2011 zurücktrat. Er hatte alle getäuscht und enttäuscht. Seine in großen Teilen abgeschriebene Doktorarbeit war ein Skandal. Zusammen mit Ehefrau Stephanie und den Töchtern Anna und Mathilda suchte er sein Glück in den USA. Da witterte er schnell wieder Morgenluft, wurde Berater für Unternehmen und saß in Aufsichtsräten.

Jetzt aber will zu Guttenberg das "Lackaffen"-Image unbedingt vermeiden: Sein blauer Anzug wirkt sehr casual, dazu ein blaues Hemd, oben offen natürlich. Er trägt einen dieser Akademikerbärte, drei Tage oder fünf oder sieben. Doch eins ist klar: Dieser Mann hat nichts dem Zufall überlassen. Er ist bestens vorbereitet. Gut, das Politische hat er ja sowieso drauf. Aber "KT" switcht an diesem Abend fast souverän zwischen Politikern, Krebskranken, Kriegsopfern und Fußballerinnen hin und her. Und Gottschalk?

Karl-Theodor zu Guttenberg (links) und Thomas Gottschalk beim RTL-Jahresrückblick
Karl-Theodor zu Guttenberg (links) und Thomas Gottschalk beim RTL-Jahresrückblick "Menschen, Bilder, Emotionen" 2022 © RTL / Stefan Gregorowius

Der Ex-Minister spielt nicht die Rolle von Michelle Hunziker bei "Wetten, dass..?"

Wo ist Gottschalk? Überall nur zu Guttenberg. Der Ex-Minister spielt hier nicht die Michelle Hunziker von "Wetten, das...?". Hier steht der Fernsehguru Gottschalk fast ein wenig im Abseits. Während Gottschalk, 72, mehr für den Showanteil zuständig ist und mit Marius Müller-Westernhagen, 74, über alte Zeiten plaudert, ist zu Guttenberg auf die Politik angesetzt.

Doch vorher muss er sich mit Ramin Juhnke unterhalten. Der junge Mann ist mit dem 9 Euro-Ticket in Deutschland rauf und runter gefahren. Da kommen die Floskeln wieder zum Einsatz: "Sie haben das 9-Euro-Ticket also in vollen Zügen genossen?", fragt zu Guttenberg. Immerhin sagt er diesmal selbst, dass es ein Kalauer war.

Doch zu Guttenberg verliert nach und nach seine Nervosität und damit auch den Hang zur klischeehaften Formulierung. Schon im Gespräch mit Vitali Klitschko über die Lage in Kiew spürt man die politische DNA des Ex-Ministers. Auch wenn die Fragen nicht immer präzise sind: "Odessa, ohne Strom, ohne Elektrizität" – na ja, ist ja irgendwie dasselbe. Aber wir wollen ja nicht kleinlich sein.

RTL-Jahresrückblick: Zu Guttenberg und Christian Lindner auf Du und Du in roten Sesseln

Kurz drauf hat "KT" Oberwasser. Nach dem "Lackaffen"-Witz kommt noch so ein Knaller aus der Kiste der Selbstreflexion. Zu Guttenberg, der die Vorhaben von Bundesfinanzminster Christian Lindner (FDP) vorstellen will, sagt, dass er das jetzt mal doch besser ablesen wird, weil das Publikum ja wisse, dass er beim Zitieren vorsichtig sein müsse. Natürlich klatscht da das Publikum. Schwamm drüber über alles, was mal war.

In roten Sesseln sitzen sich die beiden gegenüber. Ex-Minister und Minister. Sie bleiben beim Du. Man kennt sich. Und zu Guttenberg will von Lindner wissen, wo wir in einem Jahr stehen. Er möchte eine Antwort des Menschen Christian Lindner, nicht des Politikers. Was dann kommt, ist das, was man kennt. Mensch oder Politiker, das macht anscheinend keinen Unterschied. Vielleicht mit ein paar menschelnden Zügen. "Schulden machen wir ja nicht aus Jux und Dollerei", sagt Lindner.

Das war ja schon mal ein richtiger Plausch. Über die Dynamik von Politik. Dass heute alles anders ist als gestern. Es sei nicht einfach, so Lindner, "in diesen dynamischen Zeiten den Überblick zu behalten".

Karl-Theodor zu Guttenberg (links) und Christian Lindner beim RTL-Jahresrückblick
Karl-Theodor zu Guttenberg (links) und Christian Lindner beim RTL-Jahresrückblick "Menschen, Bilder, Emotionen" 2022 © RTL / Stefan Gregorowius

Zu Guttenberg als beim RTL-Jahresrückblick das krasse Gegenteil von Thomas Gottschalk

Ansonsten bleibt zu Guttenberg immer ein bisschen brav oberschülerhaft. Negativ ausgedrückt: Ihm fehlt das Lockere. Positiv ausgedrückt: Er nimmt seine Gegenüber ernst. Er fällt keinem ins Wort und macht sich über niemanden lustig. Also das Gegenteil von Gottschalk. Zu Guttenberg zeigt für die vielen Menschen mit ihren schweren Schicksalen so viel Interesse und Empathie, dass man sich nicht vorstellen kann, dass dieser Mensch schon so viele Skandale hinter sich hat.

Der Unterhaltungsfaktor ist beim Ex-Minister eher mittel. Aber er kann noch nachlegen: Im Gespräch mit Sahra Wagenknecht (Linke) dreht er förmlich auf. Geradezu angriffslustig fragt er sie, was sie denn von den Klimaklebern halte. Wagenknecht legt erwartungsgemäß los. Spricht davon, dass diese Aktivisten den Leuten "auf die Nerven" gehen. Sie würden ihrem Anliegen mehr schaden als nützen, weil sie die falschen Leute mit ihren Aktionen bestrafen. "Sie sollen sich doch vor Habecks Minsterium ankleben", sagt Wagenknecht.

So nimmt zu Guttenberg Sahra Wagenknecht in die Zange

Ihn würde mal interessieren, ob Wagenknecht durch das Politikgeschäft – weil es ihm vor vielen Jahren ja mal ähnlich gegangen war – kühler oder emotionaler geworden sei, fragt zu Guttenberg die Linken-Poltikerin. Auch hier erzählt sie viel, wenn auch am Thema vorbei. Wagenknecht klagt, dass sie ständig missverstanden wurde. Dass man nichts mehr sagen könne, ohne gleich in die falsche Schublade zu geraten.

Sahra Wagenknecht (Linke) beim RTL-Jahresrückblick
Sahra Wagenknecht (Linke) beim RTL-Jahresrückblick "Menschen, Bilder, Emotionen" 2022 © RTL / Stefan Gregorowius

Immer wieder hakt er nach, ob Wagenknecht nun lieber mit Oskar Lafontaine die Ruhe genießen wolle oder doch eine neue Partei gründen will. Als sie ausweicht, wird der Neu-Moderator streng. Sie gibt nach und sagt, dass sie es sich noch genau überlegen müsse. "Man sollte sowas nicht ankündigen", sagt Wagenknecht.

Dann kommt Durcheinander ins Gespräch: Sie will die Waffenlieferungen in die Ukraine kritisieren, aber er stoppt sie. Wäre einen Extra-Abend wert. Er spricht davon, dass ein Krebs nach ihr benannt wurde. Nicht ohne unerwähnt zu lassen, dass mal eine Wildsau auf seinen Namen getauft wurde. Jetzt hat er jede Scheu überwunden, und das Publikum macht zu Guttenberg mit Applaus Mut, ruhig öfter mal einen rauszuhauen.

RTL-Jahresrückblick: Zu Guttenberg hat viel gelernt – vor allem, den Ball flach zu halten

Zu Guttenberg hat zu tun. Schon schwenkt er von Frau Wagenknecht zu den Fußballerinnen Alexandra Popp und Lena Oberdorf über. Fußball, da kann er sich doch mal locker geben. Ein bisschen burschikos ist dann auch sein Lob und auch seine Begeisterung für den Frauenfußball wirkt ein wenig wohlfeil. So richtig werden die Frauen nicht warm mit ihm, scheint es. Sie reagieren fast verlegen, wie Leute, die sich nicht aushorchen lassen wollen.

Das Verrückte: Wenn Gottschalk sich mal einschaltet, wird es sofort lustig. Die Energiekurve steigt. Da kann sich der Neuling noch was von abgucken. Aber zu Guttenberg hat gelernt, vor allem dies: Hochstapeln macht unsympathisch. Lieber den Ball flach halten. Und so erzählt er auch, dass sein Fußball-Verein erst aufgestiegen ist, als er ausgetreten war. Applaus. Geht doch!

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.