Wolfsburg. Fast jeden Tag gibt es eine neue Aktion der Aktivisten. Die Lage spitzt sich zu, Gespräche scheinen keine Option mehr zu sein.

Nadelstiche können empfindlich schmerzen. Und wenn man immer wieder gepiesackt wird, dann sinkt der Toleranzpegel rapide ab. Mit diesem Vergleich lässt sich der Ist-Stand in der Auseinandersetzung der Verkehrswende-Aktivisten mit Volkswagen, Stadt Wolfsburg, Autostadt und IG Metall/VW-Betriebsrat gut beschreiben. Nach dem jüngsten Vorfall in Halle 54 des Stammwerkes ist der Geduldsfaden bei den Attackierten endgütig gerissen. Einen Dialog wird es vorerst nicht geben. Doch ein Ende des Konfliktes ist deshalb noch lange nicht in Sicht. Schließlich handelt es sich um eine assymetrische Auseinandersetzung: Die überschaubare Zahl der Aktivisten hat sich auf eine bislang effektive Guerillataktik verlegt.

Die Betroffenen rüsten verbal auf

Auf verblüffend einfache Art und Weise war eine Gruppe aus dem Amsel44-Umfeld ins Werk gelangt. Per Besucherbahn gelangten sie in Halle 54, dem Herz der Produktion. Die Störung der Produktion misslang, weil die Werkssicherheit sehr schnell eingriff. Hätten sich ein oder mehrere der Kampagneros auf den Bändern festkleben können, wäre sehr schnell ein sehr großer wirtschaftlicher Schaden entstanden. Seit dem Ende des Werksurlaubs geht es Schlag auf Schlag. Und die Betroffenen rüsten schon mal verbal auf. Von der IG Metall wurden die illegalen Aktionen am und im Gewerkschaftshaus mit der Verfolgung der Gewerkschaften in der Nazi-Diktatur verglichen. „90 Jahre nach dem Sturm der Nazis auf die Gewerkschaftshäuser, bei dem Tausende Gewerkschafter ums Leben kamen, von ‚Ultimatum‘ und einem Überfall zu sprechen, zeugt von Geschichtsvergessenheit“, heißt es in einer Stellungnahme. „Fake-Internetseiten, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Ultimaten und ein Drohszenario gegenüber unseren Beschäftigten – all das entzieht einem Auftakt zum Austausch die Grundlage“, sagten die zwei Geschäftsführer Christian Matzedda und Matthias Disterheft.

„Die Szene ist undurchsichtig“

Dieses Foto aus einem Video von der Störaktion im Wolfsburger VW-Stammwerk haben Aktivisten von Aktion Autofrei auf Twitter veröffentlicht.
Dieses Foto aus einem Video von der Störaktion im Wolfsburger VW-Stammwerk haben Aktivisten von Aktion Autofrei auf Twitter veröffentlicht. © Wolfsburger Nachrichten | aktion autofrei/twitter

Auch bei den drei von den Aktivisten übermittelten Forderungen sieht die Geschäftsführung der Wolfsburger IG Metall „keine ernsthaften Ansatzpunkte“. In einem Schreiben, in dem die Metaller nach den Vorfällen die Absage eines vereinbarten Gesprächstermins begründen, heißt es: „Nach dem Willen der Protestler soll die IG Metall ihre Gewerkschaftsarbeit basisdemokratischer gestalten, eine Verstaatlichung des Volkswagen-Konzerns durchsetzen und es sich zum Ziel machen, dass das VW-Stammwerk auf die Produktion von Zügen und Bahnen umgestellt wird. Schon allein die Forderung nach mehr Basisdemokratie innerhalb der IG Metall zeigt, dass den Aktivisten das Grundverständnis für unsere Organisation fehlt. Denn genau das macht die IG Metall aus. Jedes unserer Mitglieder kann sich in unsere demokratischen Meinungsfindungsprozesse einbringen, um die Transformation in unserer Region aktiv sowie sozial und ökologisch fair zu gestalten.“ Auch der VW-Betriebsrat sieht keine Basis für inhaltliche Gespräche und hält die Ideen für eine Konversion der Produktion bei Volkswagen für abwegig. Grundsätzlich zweifelt man bei der Arbeitnehmervertretung auch daran, dass die Gruppierung tatsächlich für Gewaltfreiheit stehe. Die Szene sei undurchsichtig und lehne offenbar grundsätzlich Gesetze und die bestehenden Machtverhältnisse ab, so Sprecher Heiko Lossie. In der Belegschaft stoße all das auf Unverständnis.

Aktivisten gehen davon aus, dass die „Lage sich zuspitzen könnte“

Die Aktivisten lassen sich durch die klare Kante von IG Metall und VW-Betriebsrat keineswegs beeindrucken. Auch wenn die Störaktion direkt im Werk scheiterte, habe man „einen Effekt mitten im Herzen der Fabrik“ erzielt. Das untermauerten sie tags darauf am Dienstag durch einen Blockadeversuch vor den Toren der Achsenfertigung von VW in Isenbüttel. Auch die IG Metall werde man weiter „aus der Reserve locken“, wie zwei der Aktivisten gegenüber unserer Zeitung betonten. Die Metaller hätten keine nachhaltigen Antworten, um die Arbeitsplätze langfristig zu sichern. Mit dem Automobilbau allein werde das jedenfalls nicht gelingen. In der Konsequenz bedeute das, dass man weiterhin Nadelstiche setzen werde. Und vielleicht auch mehr. Es sei davon auszugehen, dass die Lage sich „zuspitzen“ werde, so die beiden Aktivisten.

Sorge vor Aktionen auf dem Familienfest von VW

Schon im September stehen im Umfeld des Werkes zwei Großveranstaltungen an. Die Weltpremiere des neuen Tiguans ist ebenso wie das zweitägige Familienfest für die Aktivisten eine große Bühne, um Aktionen zu starten. Konkrete Anhaltspunkte dafür gebe es noch nicht, sagte Betriebsratssprecher Lossie. Aber natürlich ist die Werkssicherheit hellwach und spielt sicherlich entsprechende Szenarien durch. Zum Familienfest werden an beiden Tagen rund 300.000 Beschäftigte und ihre Angehörigen erwartet. Sie haben zwar persönliche Einladungen erhalten. Aber gerade die jüngste Aktion im Werk hat gezeigt, dass die Verkehrswendeaktivisten im Hase-und-Igel-Spiel nicht chancenlos sind.