Braunschweig. Stadthalle, DRK-Kaufbar, Haus der Kulturen in Braunschweig – die Herausforderung hat begonnen.

Spätestens seit dem Wochenende ist die Lage auch in Braunschweig da. Nicht mehr nur vereinzelt kommen jetzt die Menschen aus den Kriegsgebieten in der Ukraine – und die dramatische Zunahme der Bombardierungen, jetzt auch im Westen des Landes, lässt eine weitere Zunahme erwarten.

Die Unterbringungsmöglichkeiten in der Stadthalle stießen am Wochenende bereits an ihre Kapazitätsgrenzen. Mehr als 200 Flüchtlinge und Vertriebene aus der Ukraine, überwiegend Frauen und Kinder, wurden dort bereits von der Stadt betreut, versorgt und möglichst in andere Quartiere weitervermittelt.

Die Menschen stehen unter Schock, auch Notfallseelsorger sind im Einsatz

Es herrscht eine Atmosphäre, die ein unmittelbar Beteiligter so beschreibt: „Gefasst, man rauft sich irgendwie zusammen, schaut, wie es nun weitergehen kann. Die Bedingungen sind sehr gut, aber die Menschen sind belastet von den Ereignissen in der Heimat, die ihre Familien zerrissen haben.“ Deutlich wird, dass die Menschen so kurz nach ihrer Ankunft noch unter Schock stehen, was auch erklärt, wie wichtig die Unterstützung durch Notfallseelsorger ist, die sie jetzt erfahren.

Igor Piroschik und seine Frau Natalia vom Verein „Freie Ukraine Braunschweig“, der überall hilft, Ehrenamtliche, Übersetzer stellt und koordiniert, sie berichten von den Traumatisierungen und Ungewissheiten. Aber auch davon, wie überwältigend die Hilfsbereitschaft auch in Braunschweig ist. Indes sei die Nachrichtenlage aus der Ukraine selbst für alle Beteiligten extrem belastend. Denn derzeit deute nichts auf eine irgendwie geartete Verbesserung der Situation hin.

Eher im Gegenteil. Auch Heike Blümel von der DRK-Kaufbar in der Helmstedter Straße, in solchen Einsätzen wahrlich erfahren, durchlebt derzeit mit ihren Ehrenamtlichen nicht nur ein Wechselbad der Gefühle, sondern auch die Ahnung einer Herausforderung in einer neuen Dimension, die auch die Braunschweiger Zivilgesellschaft noch einmal ganz anders fordern könnte.

Von der Stadthalle zog es viele Geflüchtete am Wochenende hinüber in die Helmstedter Straße, wo es für mehr als 100 von ihnen Informationen über eine mögliche weitere Unterbringung geben konnte, aber auch Kleidung, das Nötigste zum Leben, und sei’s auch nur ein Mutmacher-Päckchen. Die Wohnraumvermittlung wird eine der Aufgaben der nächsten Tage und Wochen sein.

Krisenstabs-Chefin Christine Arbogast schätzte am Sonntag, dass rund 700 Menschen aus der Ukraine bereits in der Stadt seien, die meisten in Privatquartieren. Unter Hochdruck wird nach neuen Unterbringungsmöglichkeiten gesucht.

Gleichzeitig geht es darum, quasi auf allen Ebenen den Menschen, die Ukrainisch und Russisch sprechen, in kyrillischer Schrift lesen und schreiben, von heute auf morgen die notwendigen Informationen zu vermitteln, nachdem sie über Nacht alles Vertraute aufgegeben haben und zumeist um das Leben von Angehörigen, Verwandten, Freunden fürchten müssen.

Das Haus der Kulturen wird zur Anlaufstelle, zu einem Willkommenstreff und einer Börse der Hilfe

In dieser Situation ist das Haus der Kulturen im Nordbahnhof zu einer Anlaufstelle geworden, zu einem Willkommenstreff und einer Börse der Hilfe, aber auch der menschlichen Zuwendung, wie Cristina Antonelli vom Haus der Kulturen sagt. In Zusammenarbeit mit dem Verein „Freie Ukraine“, der Initiative „Frauen Bunt“ und anderen geht es jetzt darum, Menschen zusammenzubringen, die einander helfen können. Und gleichzeitig zu helfen, dass die Unterstützung nachhaltig ist, dauerhaft, authentisch – und nicht zu weiteren Belastungen, gar Verletzungen führt.

Im Zentrum der Aktivitäten Igor Piroschik (61), Vorsitzender des Vereins „Freie Ukraine“, ein 1,90-Meter-Mann, seit 30 Jahren in Deutschland, geboren in Lemberg, da, wo jetzt die Bomben fallen. Der Mann spricht Deutsch, Russisch, Ukrainisch und Polnisch, ideal also, aber vor allem in Physis und Psyche ist Igor ein Anker in diesen Tagen. Neben mir sitzt seine Frau Natalia Piroschik im Haus der Kulturen und übersetzt. „Die Situation macht uns alle hier gerade sehr betroffen. Es ist dramatisch“, flüstert sie mir zu.

25 Frauen, einige Kinder, an diesem Tag im Haus der Kulturen. Es ist still. Die Menschen sind sehr still gerade. Du redest nicht laut. Es gibt Kaffee und Kuchen. Ein bisschen Normalität. Die Ungewissheit lenkt den Blick im Sekundentakt aufs Smartphone. So ist die Lage.

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