Braunschweig. Das Bafög steigt, der Elternfreibetrag sinkt – zum Leben wird es dennoch vielen Studierenden nicht reichen.

. Das Wintersemester ist gestartet, manche Erstsemester haben ihr erstes Bafög-Geld erhalten, jedenfalls diejenigen, die auch einen Anspruch darauf haben. Wie viel jeder Einzelne vom Staat bekommt, hängt jedoch ganz davon ab, wie hoch das Einkommen der Eltern ist.

Pünktlich zum Semesterstart kritisierte Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), die Bafög-Politik der Bundesregierung. Er forderte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass die Elternfreibeträge erhöht werden müssten. Die Politik behaupte, die Eltern verdienten genug, um das Studium ihrer Kinder zu finanzieren. Tatsächlich aber müssten viele Eltern zu ihren Kindern sagen: „Das Geld reicht nicht. Geht arbeiten!“. Auf der Heyde nennt das „Untere-Mittelschicht-Problem“. Stimmt das?

Als ich vor acht Jahren ein paar Wochen vor Semesterstart mit meinen Eltern über die Finanzierung meines Studiums sprach, sagte meine Mutter genau diese Worte zu mir: „Das Geld reicht nicht. Du musst dir auf jeden Fall einen Nebenjob suchen.“

Meine Eltern sind selbstständig, was aber nicht gleichzeitig heißt, dass meine Eltern in Geld schwimmen. Was am Ende von ihrem Umsatz übrig bleibt, unterliegt eher zyklischen Schwankungen. Dennoch verdienten meine Eltern zu viel, denn ich hatte nach den Berechnungen keine Anspruch auf Bafög, da wohl der Elternfreibetrag einfach zu niedrig.

Und je höher der Elternfreibetrag ist, desto kleiner wird der Anteil, der vom Höchstsatz abgezogen wird. Allerdings gibt es noch viele Ausnahmen. Ich habe sogar elternunabhängiges Bafög erhalten. Das heißt: Höchstsatz. Der lag damals bei 690 Euro, erhöhte sich nach zwei oder drei Jahren auf 720. Heute liegt er bei 735 Euro. Ich hatte Glück, dass ich mit meiner Berufsausbildung und dem anschließenden Fachabitur auf dem zweiten Bildungsweg studiert habe – dann fällt der Elternfreibetrag weg. Zum Leben gereicht hat es dennoch nicht.

Eine Studie des Moses Mendelssohn Institut hat ergeben, dass der aktuelle Bafög-Höchstsatz von 735 Euro in 88 von 96 Hochschulstädten nicht für ein Leben auf Hartz-IV-Niveau reicht. Selbst die geplante Erhöhung des Bafög-Höchstsatzes auf 850 Euro, werden das Problem nicht lösen. Warum? Weil in 20 von 88 Städten Studierende weiterhin unter Hartz-IV-Niveau leben würden – in Braunschweig hingegen laut den Ergebnissen der Studie nicht mehr. Das heißt aber noch lange nicht, dass Studierende in der Löwenstadt nun in grenzenlosen Jubel ausbrechen sollten.

Die Zahlen aus der Studie ergeben sich aus der durchschnittlichen Monatsmiete für ein WG-Zimmer sowie den monatlichen Kosten für Semestergebühren und Semesterticket. Für sonstige Ausgaben des täglichen Lebens wurde der aktuelle Hartz-IV-Satz abzüglich der Pauschalen für Verkehr und Wohnen veranschlagt. Der Bafög-Höchstsatz ergibt nach Abzug der Versicherungspauschalen 649 Euro. Nach der geplanten Erhöhung liegt er dann bei 764 Euro. Gut für die Braunschweiger Studierenden, denn nach der Neuberechnung würden die monatlichen Kosten bei 730 Euro liegen. Aktuell sind es noch 700 Euro. Aber was heißt das schon?

Die Zahlen beziehen sich ausschließlich auf den Höchstsatz und den bekommt nicht jeder. 2017 haben laut Statistischem Bundesamt rund die Hälfte der Bafög-Empfänger den maximalen Förderbetrag erhalten. Im Schnitt erhielten Studierende 499 Euro. Die letzte Erhöhung des Bafög-Satzes war zum Wintersemester 2016 – sechs Jahre nach der vorangegangenen. Die Elternfreibeträge stiegen um sieben Prozent, heißt es im Bafög-Bericht der Bundesregierung von Ende 2017. Dementsprechend hat sich die Situation verbessert. Die höheren Freibeträge und Bafög-Sätze hätten dazu geführt, dass wieder mehr Studierende gefördert werden – der Trend ist aber weiterhin rückläufig, denn 2012 haben noch 440.000 Studierende Bafög erhalten, 2016 waren es nur noch 366.000 – ein Rückgang von 17 Prozent. Der Grund: Die Einkommen sind gestiegen, die Arbeitslosigkeit gesunken. Allerdings gibt es einen entscheidenden Haken. Über die Jahre sind auch die Preise für Lebensmittel oder Wohnen gestiegen.

2010 lag der Elternfreibetrag bei 1605 Euro. Dieses Einkommen hätte nach Berechnung keinen Bafög-Anspruch ergeben. Das gleiche gilt für 2016, weil die Freibeträge nicht erhöht wurden – dabei stiegen sechs Jahre lang die Preise. Und je höher die Preise sind, desto weniger kann man sich vom selben Einkommen kaufen. Das Einkommen hatte also an Wert verloren, die Eltern wurden ärmer.

Und an der Stelle komme ich wieder ins Spiel und mit einem weiteren Punkt, der noch nicht genannt wurde. Studierende, die das 25. Lebensjahr erreichen, stehen vor der harten Realität der Krankenkassenbeiträge, denn dann sind sie nicht mehr bei ihren Eltern versichert. Ich musste, und das war 2015, fortan 86,90 Euro pro Monat mehr zahlen. Ich zahlte für mein WG-Zimmer 380 Euro, 20 Euro für meinen Handyvertrag, circa 43 Euro Semesterbeitrag. Das macht knapp 530 Euro. Das ist nur grob geschätzt und in dieser Berechnung sind keine Lebensmittel dabei, kein Kinobesuch, kein Bier in einer Kneipe, kein Besuch im Theater – man will ja schließlich am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Ziehen wir diese Kosten von meinen 720 Euro Bafög ab, bleiben 190 Euro übrig. 190 Euro zum Leben. Wie soll das funktionieren? Das kann nicht funktionieren. Um über die Runden zu kommen, blieb mir nichts anderes übrig, als mir einen Job suchen. Dann war ich monatlich 450 Euro reicher. Das macht dann 640 Euro. Der Nebenjob hat dazu geführt, dass ich mein Studium vom ersten Semester an schleifen lassen musste. Ich arbeitete zweimal die Woche, manchmal auch mehr. Das Studium ist ein Vollzeitjob, ich musste Kurse auf das nächste Semester schieben oder konnte die Seminare nicht regelmäßig besuchen. Und als glücklicher Bafög-Empfänger hatte ich nur sechs Semester Zeit. Denn die finanzielle Unterstützung vom Staat gibt es nur in der Regelstudienzeit. Danach gibt es keine Förderung mehr.

Ich habe die sechs Semester nicht geschafft. All diese Faktoren führen zu Stress. Was passiert, wenn ich in einer Klausur durchfalle? Was ist, wenn ich in dem einen Seminar keinen Platz mehr bekomme? Ich stand vom ersten Tag in meinem Studium unter einem immensen Druck, weil ich mit dem Gefühl leben musste, dass nach dem sechsten Semester 720 Euro fehlen. Sollte dieses Horrorszenario eintreffen, bleibt nichts anderes übrig als einen Studentenkredit aufzunehmen. Der Haken an der Sache ist nur, dass man das Darlehen komplett zurückzahlen muss. So wie ich.

Haben wir ein Untere-Mittelschicht-Problem? Ich habe einen hohen Berg an Schulden angehäuft, den ich monatlich mit 105 Euro abbezahlen muss. Und nur, weil ich studieren wollte. Die Erhöhung des Bafögs ist ein notwendiger Schritt in Zeiten, in denen selbst eine dreiköpfige Mittelschichtsfamilie sich in manchen Großstädten nicht mal mehr eine Drei-Zimmer-Wohnung im Stadtbereich leisten kann.

Bafög, bezahlbarer Wohnraum, Monatsgehälter, die trotz der steigenden Wirtschaft der letzten Jahre stagnieren. All das sind Baustellen, die zusammenhängen, aber was bedeutet das für die zukünftigen Studierenden?

Die Mehrbelastung von Arbeiterkindern wird nicht weniger werden, sie müssen weiterhin für ihr Bafög kämpfen und nebenbei jobben. Wer acht Stunden Arbeit hinter sich hat, kann danach im Vorlesungssaal keine Höchstleistung bringen. Die Bundesregierung muss darauf Antworten finden. Auf der Heyde hat Recht: Wir haben ein Untere-Mittelschicht-Problem. Wer das nicht versteht, der hat unter solchen Bedingungen wohl nie gelebt.