Braunschweig. Jeder vierte Auszubildende löst seinen Vertrag vorzeitig. Psychologin Simone Kauffeld sieht darin eine Chance.

Der Start in eine Ausbildung ist meist hoffnungsvoll: Man freut sich auf die Aufgaben, die Kollegen und die Firma und ist oft ein wenig nervös, ob auch alles so läuft wie erhofft. Und diese Nervosität ist durchaus berechtigt: Jeder vierte Ausbildungsvertrag wird nach Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung vorzeitig aufgelöst (Stand 2015). Das kann man als Scheitern oder Niederlage sehen. Psychologin Simone Kauffeld, die an der Technischen Universität Braunschweig den Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie leitet, sieht in einem Studiums- oder Lehrstellenabbruch jedoch auch große Chancen – wenn man die richtigen Lehren daraus zieht. Mit ihr sprach Annegret Birner.

Frau Professor Kauffeld, welche positiven Seiten kann es haben zu scheitern?

Scheitern ist nicht schlimm. Man muss nur schnell scheitern und etwas daraus lernen. Gleichzeitig sollte man nicht einfach hinwerfen, ohne einen Plan B zu haben. Sonst fällt man möglicherweise in ein großes Loch und baut Versagensängste auf.

Was wäre denn aus Ihrer Sicht ein guter Plan?

Das muss man herausfinden. Man muss sich fragen: Was ist mir wichtig? Was motiviert mich? Was sind meine Stärken? Was meine Bedürfnisse? Wenn ich diese Fragen beantworten kann, muss ich mich fragen: Wo ist dies möglich? Und welche Schritte unternehme ich, um dorthin zu kommen?

Das ist nicht ganz einfach für jemanden, der gerade feststellt, dass ihm oder ihr die Lehre oder das Studienfach überhaupt nicht liegen.

Das A und O ist es zu reflektieren. Wenn man erkennt, dass die Passung zur Ausbildung oder zum Studium nicht stimmt, muss man herausfinden, woran das liegt. Ist es nur eine Durststrecke, die es zu überwinden gilt, und man gelangt nach der entsprechenden Anstrengung zum ersehnten Ziel? Oder passt der Beruf grundsätzlich nicht?

Was kann man tun, wenn es grundsätzlich nicht passt?

Dann muss ich nach Alternativen suchen. Manchmal kann ein Studiumswechsel goldrichtig sein. Zum Beispiel von der Physik, die man schon aus der Schule kennt, zur Elektrotechnik, mit der man erst in der Uni in Berührung gekommen ist. Die Module aus dem Physikstudium kann man sich anerkennen lassen. Und die Berufsaussichten sind möglicherweise in Elektrotechnik noch attraktiver.

Aus dem vermeintlichen Schaden entsteht also etwas Positives?

Man könnte sagen: Dieser Student ist in Physik gescheitert. Aber vielleicht hat er dadurch für sein Leben etwas sehr viel Besseres erreicht. Man muss seine Ziele anpassen können. Und das gilt nicht nur für Studium und Ausbildung, sondern auch für den Beruf.

Wie kommt es denn überhaupt zu Fehlern bei der Berufswahl? Was ist da schief gelaufen? Oder andersherum gefragt: Was muss man machen, damit es gut läuft?

Zum einen müssen Schülerinnen und Schüler vor Studien- oder Ausbildungsbeginn gut informiert sein. Und sie müssen überzeugt sein, es schaffen zu können. Unis, Hochschulen, aber auch Ausbildungsinstitutionen müssen Informationen leicht zugänglich bereitstellen. Dabei sind realistische, ungeschönte Darstellungen wichtig. Und wer ein Praktikum macht, erkennt ebenfalls, wenn ein Beruf passt oder nicht passt.

Wie können Eltern bei der Ausbildungs- oder Studienwahl helfen?

Als Elternteil ist man einerseits Vorbild, schon deshalb, weil die Kinder viel vom eigenen Beruf mitbekommen und sei es nur, ob die Eltern zufrieden sind in ihrem Beruf oder nicht. Aber man muss sehr genau gucken, ob der Wunsch der Kinder, den Beruf von Mutter oder Vater zu ergreifen, wirklich ihr eigener ist. Eltern dürfen nicht zu viel Druck aufbauen. Sie sind Vorbild, dürfen unterstützen und Wege aufzeigen, und auch Entscheidungen einfordern. Die Entscheidungen selbst muss aber der Jugendliche treffen.

Welche Rolle spielt die Schule bei der Berufsfindung?

Berufsorientierungsprojekte sind sehr wichtig, davon muss es noch viel mehr geben. Und die Beratung muss über die klassischen Studienfächer oder Berufe hinausgehen. Darüber hinaus müssen die Schüler sich selbst kennenlernen und lernen, wie sie sich selbst informieren können. Das ist Aufgabe der Schulen, aber aus meiner Sicht nicht unbedingt der Lehrer. Kooperationsformate können hier vielversprechend sein.

Was sollte an den Schulen geändert werden?

Schwierige Aufgaben sollten nicht mit Angst vor schlechter Bewertung und vor einem Scheitern verbunden werden. Stattdessen sollten sie als Möglichkeit gesehen werden, Neues zu Lernen. Dann ist jede Entwicklung ein Fortschritt. Schon in der Schule müssten die Kinder vor allem dafür gelobt werden, dass sie sich angestrengt haben, dass sie ausdauernd an einer Aufgabe dran geblieben sind. Und nicht für das Ergebnis. Lernorientierung muss wichtiger sein als Leistungsorientierung. Das macht belastbarer und eröffnet Entwicklungsperspektiven.

Wenn jemand feststellt, dass ihm Lehre oder Studium überhaupt keinen Spaß machen, weil die Arbeit zu langweilig, die Studieninhalte zu kompliziert, die Kollegen doof oder der Ton zu rau sind, was empfehlen Sie, sollte man als erstes tun?

Der Auszubildende sollte sehr schnell das Gespräch mit seinem Ausbilder suchen und relativ offen dabei sein, dann kann man gemeinsam nach Wegen suchen. Beim Studium gibt es die Studiengangskoordinatoren in den Fächern, die hier eine gute Anlaufstelle sind. Oder man kann über Coachingmaßnahmen externe Unterstützung suchen, wenn man nicht weiß, wie man reagieren soll und welche Alternativen man hat. Da gibt es sehr gute und effektive Methoden, die einem helfen, Perspektiven zu erkennen.

Und danach startet man neu?

Ja, wenn die Suche nach einer Alternative geklappt hat und ich erkenne, dass ich auf dem richtigen Weg bin, dann sind das Selbstbewusstsein und die Selbstwirksamkeit gesteigert. Dann gehe ich gestärkt daraus hervor. So jemand hat gelernt: Die See kann unruhig werden, aber ich komme da durch.