Aldenhoven. Wenn das vollautonome Fahren kommt, muss das Lenkrad gehen. Zunächst einmal soll aber die Lenksäule verschwinden.

Die Lenksäule ist immer im Weg. Sie nimmt Platz in Cockpit und Vorderwagen ein, der dann für Fahrer und Insassen fehlt, schießt beim Frontalcrash gefährlich in den Innenraum und durchbricht nicht zuletzt die Akustik-Verkapselung gegenüber Umwelt und Motorraum. Auto-Entwickler würden sie daher schon seit Jahren gerne loswerden und die starre mechanische Verbindung zwischen Lenkrad und Rädern durch flexible Kabel ersetzen. Zulieferer Thyssenkrupp hat nun seine Entwürfe für eine kabelbasierte Lenkung, die sogenannte „Steer-by-Wire“-Technik, vorgestellt.

So etwas wie Dringlichkeit bekommt die Auflösung der mechanischen Lenkverbindung auch durch das autonome Fahren. Wenn das Steuer im Autopiloten-Modus bündig im Armaturenbrett verschwinden soll, stört eine feste Lenksäule gleich doppelt. Und bei künftigen vollautonomen Autos wird es eh kein klassisches Steuer mehr geben, über das die Räder bewegt werden könnten. Stattdessen sorgen dann Elektromotoren für den Rad-Einschlag nach links oder rechts. Ohne die störende Mechanik mit Ritzel, Zahnstange und Co. sind dann auch Lenkwinkel von 90 Grad möglich – in enge Parklücken ließe sich dann sogar seitlich einparken.

Prinzipiell funktioniert die Technik schon heute, wie der Automobilzulieferer Thyssenkrupp nun auf einem Testgelände nahe Aachen demonstriert hat. Der Essener Konzern hat zur Erprobung von „Steer-by-Wire“-Systemen eigens den bayerischen Leichtbau-Sportwagen Roding Roadster zum Forschungsfahrzeug umgerüstet und die Lenkmechanik durch Elektromotoren ersetzt. Während der Fahrt ist davon nichts zu merken: Das Lenkgefühl wirkt durchaus organisch, ein Elektromotor am Lenkrad simuliert einen natürlich wirkenden Lenkwiderstand. Dieser lässt sich elektronisch anpassen, sodass der Leichtbau-Roadster wahlweise mit kräftiger Hand wie ein Sportwagen gefahren wird oder leichtgängig wie ein Stadtauto durch die Kurve zirkelt.

Der Infiniti Q50 hat für Notfälle weiterhin eine Lenksäule

Aber noch hat die neue Lenktechnik ein Problem: Was passiert, wenn die Elektronik ausfällt? Nicht nur bei hohem Tempo auf der Autobahn wäre das eine Katastrophe. Die aktuelle technische Lösung hat jedoch nur wenig Charme: Im bislang einzigen serienmäßigen „Steer-by-Wire“-Auto in Deutschland, der Premium-limousine Infiniti Q50, gibt es für Notfälle weiterhin eine Lenksäule, die Steuer und Räder mechanisch verbindet. Im Normalfall ist sie durch eine Kupplung unterbrochen, die bei einem Systemausfall blitzschnell schließt. Viele der Vorteile von Kabel-Lenkungen gehen dadurch jedoch verloren, der Bauraum wird weiterhin besetzt, die Crashsicherheit beeinträchtigt.

Thyssenkrupp experimentiert daher mit neuen Ansätzen. Die eindrucksvollste: Das Lenken mit Hilfe des sogenannten „Torque Vectorings“, präsentiert an Bord eines auf Elektroantrieb umgerüsteten BMW X5. Dabei werden die kurvenäußeren Räder von ihren Elektromotoren stärker angetrieben als die kurveninneren, um eine Fahrtrichtungsänderung zu erreichen. Vergleichbar etwa mit dem Kettenantrieb bei Panzern. Auch dieses System überzeugte auf der kurzen Testfahrt, macht das Auto sogar gefühlt noch wendiger als eine normale Zahnstangenlenkung. Allerdings: Die Reifen leiden stark unter der ungewöhnlichen Beanspruchung, wie das laute Quietschen beim Eindrehen in die Kurve hören lässt. Bei einem Notfallsystem spielt das allerdings keine Rolle. Hauptsache ist, das Fahrzeug kommt bei einem Lenkungsausfall noch sicher an den Straßenrand.

Wann, wo und wie „Steer-by-Wire“-Systeme auf den Markt kommen, will bei Thyssenkrupp noch niemand prognostizieren. Dass sie kommen, ist jedoch keine Frage.