Braunschweig. 53-Jähriger spricht von Gewalt gegen eine alte und eine junge Frau. Verteidigung hält Staatsanwältin für befangen.

Im vergangenen Jahr noch ist Helge B. mit einer Journalistin nach Portugal gereist, um nach den Videos zu suchen. „Ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben“, sagt er. Denn hätte er die Aufnahmen gefunden, wäre ihm, wie er meint, vieles erspart geblieben. Zum Beispiel die Rolle eines Hauptbelastungszeugen im Vergewaltigungsprozess gegen Christian B. vor dem Braunschweiger Landgericht, peinigende Frage über seine eigene Vergangenheit, zu seinen Kontakten zu Medien – oder auch der Disput mit der Vorsitzenden gleich zu Beginn seiner Zeugenbefragung, weil er sich weigert, seine Anschrift zu nennen, und sie mit Beugehaft droht.

Personenschutz für Hauptbelastungszeugen

Seine Ladeanschrift sei das Bundeskriminalamt Wiesbaden, beharrt er. „Wegen der Presseleute und anderer Sachen.“ Helge B. steht unter Personenschutz. Warum, auch darüber will er nicht sprechen. Er ist mit einem Beistand erschienen, einem bekannten Fernseh-Anwalt.

Helge B. (53) spielt als Zeuge auch eine Rolle in dem Ermittlungsverfahren wegen des Mordverdachts gegen Christian B. im Fall Maddie McCann. Aber vor der 2. großen Strafkammer des Landgerichts geht es aktuell ausschließlich um die zwei Videos, auf denen laut seiner Aussage Christian B. als Vergewaltiger zu sehen ist und auf die die Staatsanwaltschaft im Wesentlichen zwei der fünf Anklagepunkte stützt.

Die Videos sind verschwunden. Bis heute. Und zwar, wenn man Helge B. Glauben schenkt, zusammen mit seinem Wohnwagen, den er in Portugal wohl etwas überstürzt zurückgelassen hatte, um nach Spanien weiterzuziehen.

Helge B. – ein Aussteiger, der sich auf der iberischen Halbinsel selbst dem Kleinkriminellen-Milieu zurechnete, der Diesel und Solarpanels klaute, aber, wie er vor Gericht betont, „niemals jemandem körperlich schadete“. „Wir waren alle nicht unschuldig.“ Aber die verstörenden Videos, das bestätigt auch sein Bekannter und Zeuge Manfred S. , die schlugen ihm auf den Magen.

Karton mit Videos beim Einbruch entdeckt

Dass er den Karton mit den Videos damals überhaupt mitgenommen habe, „war der größte Fehler meines Lebens“, reut es Helge B. 2006 will er diesen Karton bei einem Einbruch ins Haus des damals wegen Dieselklaus in Haft sitzenden Christian B.‘s mitgenommen haben. Nur aus Neugier. Eigentlich sei es ihm und Manfred S. um Diesel gegangen, den sie aus einem Tank auf dem Grundstück abzapfen wollten. Kameras und ein Auto samt Papieren habe er zum Weiterverkauf dann ebenfalls mitgehen lassen.

In seinem Wohnwagen sichtete er später die Aufnahmen, stieß, wie er berichtet, auf die Vergewaltigungsszenen. Waren sie echt oder gestellt? Sie müssen real sein, war er schließlich überzeugt. Auch Manfred S., dem er die Aufnahmen zeigte, hatte keinen Zweifel, wollte aber nichts damit zu tun haben. Nur kurz habe er hingeschaut. Im Prozess bestätigte er, die Szenen auf Video gesehen zu haben.

In einem Fall soll Christian B. vor laufender Kamera eine ältere, bereits ergraute Frau ausgepeitscht, vergewaltigt und ihr zuletzt ein Kissen auf den Kopf gedrückt haben. Die Frau habe offenkundig auf dem Bett einer Ferienwohnung gelegen, ihre Hände seien auf dem Rücken gefesselt gewesen, das Nachthemd hochgezogen. Über den Augen habe sie eine gefärbte Schwimmbrille getragen, die ihm auch während des Einbruchs in Christian B.‘s Wohnung aufgefallen sei. Die Frau habe den Täter auf Englisch beschimpft.

„Nach Vergewaltigung Opfer Kissen auf Kopf gedrückt“

Christian B. , so beschreibt es Helge B. weiter, sei ganz in Schwarz gekleidet gewesen. Er habe eine Sturmhaube mit Augenschlitzen getragen. Nach der Vergewaltigung sei er ins angrenzende Bad gegangen, habe sich danach neben die Frau aufs Bett gesetzt und die Haube abgezogen. Da habe er sein Gesicht gesehen. „Er war ziemlich aus der Puste.“ Nach einigen Minuten habe er der Frau ein Kissen, das auf dem Bett lag, auf den Kopf gedrückt. In diesem Moment habe die Aufnahme gestoppt.

Eine zweite Videoaufnahme soll nach Aussage des Zeugen eine nackte Jugendliche gezeigt haben, die im Haus des Angeklagten an einen Pfahl gebunden gewesen sei. Sie habe von Freiheitsberaubung und Vergewaltigung gesprochen. Christian B. aber, der mit freiem Oberkörper auf einem Sofa gesessen habe, habe nur gelacht. Weiter, sagt Helge B., habe er sich das Video nicht angeschaut.

Erst 2017 oder 2018, so genau erinnert er sich nicht, erwähnte der Zeuge die Videos bei einer Vernehmung bei Scotland Yard. „Aber da ging es um ganz andere Sachen.“ Für die Videos hätten sie sich nicht interessiert. Später aber interessierte sich das Bundeskriminalamt.

Wo sind die Videos geblieben? Der Wohnwagen sei vom Grundstück, auf dem er stand, weggeholt worden. Vielleicht von einem Bekannten. Die Suche danach im vergangenen Jahr – vergeblich. Alles habe sich inzwischen verändert. Nun findet sich Helge B. vor dem Landgericht wieder zwischen der Staatsanwaltschaft, die seine Aussage zur wesentlichen Grundlage ihrer Anklage gemacht hat, und einer Verteidigung, die alles daran setzt, seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern.

Mit Christian B. geriet auch Helge B. in die Öffentlichkeit. Sein Leben habe sich zum Negativen gewendet. Seine einzigen Freunde seien inzwischen die Personenschützer.

Verteidiger: „Mediale Kriegsführung“ gegen Christian B.

Ist er ein Gejagter? Wie Christian B.? Dass Christian B. in den Fokus der weltweiten Presse gerückt sei und ihr „zum Fraß vorgeworfen wurde“, dafür macht die Verteidigung die Braunschweiger Staatsanwaltschaft verantwortlich. Anwalt Atilla Aykac verlangt am Mittwoch die Ablösung von Oberstaatsanwältin Vanessa Beyse, die die Staatsanwaltschaft gemeinsam mit Anklageverfasserin Ute Lindemann im Prozess vertritt. Er spricht von einer „medialen Kriegsführung“ gegen seinen Mandanten, die von Beyse als Ermittlungsführerin im Fall „Maddie“ veranlasst worden sei.

Die Vorsitzende Uta Engemann nennt es hingegen reine Spekulation, dass die Form der Medienberichterstattung der Staatsanwältin zuzurechnen sei. Die Kammer erkenne keine offenkundige Befangenheit. Im Übrigen müsse die Verteidigung ein Ablehnungsgesuch an den Leiter der Staatsanwaltschaft als Dienstvorgesetzten und nicht ans Gericht richten.

Das geschah bisher: Nachrichten zu Christian B., dem Verdächtigen im Fall Maddie

Lesen Sie hier eine knappe Zusammenfassung – oder klicken Sie auf die einzelnen Artikel:

Unsere Berichterstattung zur Verurteilung von Christian B. im Jahr 2019: