Braunschweig. Prof. Dr. Folkhard Isermeyer, Präsident des Thünen-Instituts Braunschweig, im Interview über Agrarforschung und gescheiterte Reformen.

Als Bundesforschungsinstitut befasst sich das Thünen-Institut mit der nachhaltigen Entwicklung ländlicher Räume, der Land-, Holz- und Forstwirtschaft sowie der Fischerei. Neben der Beratung politischer Ämter ist die unabhängige Forschung ein wesentliches Standbein des Instituts mit 1.000 Mitarbeiter:innen. An seiner Spitze steht Prof. Dr. Folkhard Isermeyer. Die Standort38-Redaktion traf den Agrarökonomen zu einem Gespräch über gescheiterte Reform-Versuche, das Ende des Welthungers und eine mögliche Modellregion in Braunschweig, die zur Weltmarktführerschaft der deutschen Landmaschinenindustrie führen könnte.

Herr Isermeyer, in einem aktuellen Beitrag des Wissenschaftspodcasts Forschungsquartett heißt es, unsere Landwirtschaft sei langfristig nicht zukunftsfähig. Stimmt das?

Für die Tierhaltung würde ich dem zustimmen, die ist auch vom Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik im Jahr 2015 als nicht zukunftsfähig bezeichnet worden. Zum einen aufgrund des Tierwohls, aber auch aus Klimaschutz-Aspekten. Wir haben in Deutschland eine ungesunde räumliche Konzentration der Tierhaltung im Nordwesten. Die Gülle, die dort von den viel zu vielen Tieren produziert wird, kann nicht umweltverträglich in der Region ausgebracht werden, ist aber zu teuer zum Transportieren. Es bräuchte also eine stärkere Gleichverteilung. Vor zwei, drei Jahren war ich in punkto Tierhaltungspolitik noch optimistisch, dass wir in diesem Bereich eine bahnbrechende Lösung des Problems hinbekommen.

Was hat sich geändert?

2020 hat eine große Kommission von Ländern, NGOs, Wirtschaftsverbänden und Wissenschaftlern einen Vorschlag ausgearbeitet, der darlegt, wie Deutschland die gesamte Tierhaltung innerhalb von 20 Jahren auf ein richtig hohes Tierwohl-Niveau anheben könnte.

Landwirte investieren nur, wenn sie Verlässlichkeit und Planungssicherheit haben.
Prof. Dr. Folkhard Isermeyer

Wie sieht dieser Vorschlag aus?

Die Idee war es, die Mehrwertsteuer für tierische Produkte auf den normalen Satz von 19 Prozent anzuheben, im Gegenzug könnte der für pflanzliche Produkte auf null gesetzt werden. Insgesamt wäre dadurch ein erklecklicher Milliardenbetrag als Zusatzbeitrag für den Bundeshaushalt zusammengekommen. Der Staat hätte dann mit jedem Landwirt, der in Richtung Tierwohl marschieren möchte, einen Vertrag über 20 Jahre schließen können, der garantiert, dass er in dieser Zeit eine Tierwohl-Prämie erhält. Denn Landwirte investieren nur, wenn sie Verlässlichkeit und Planungssicherheit haben. Und dann gab es etwas, was es meines Wissens nach in Deutschland noch nie gegeben hat.

Wir sind gespannt.

Eine Allianz von Wirtschaftsverbänden, zum Beispiel dem Bauernverband, der deutschen Landwirtschaftsgesellschaft und der Schlachtbranche, haben den Bundestag um Umsetzung gebeten. Einen fast gleichlautenden Brief haben Tierschutz und Umweltverbände aufgesetzt. So viel Einigkeit und Wille, endlich mal eine kraftvolle Transformationspolitik zu installieren, hat es sehr selten gegeben.

Warum hat sich der Vorschlag dennoch nicht durchgesetzt?

Der Vorschlag wurde zunächst auf Vereinbarkeit mit dem EU-Recht geprüft und hat bestanden. Dann war die Legislaturperiode zu Ende und anstatt den Ball aufzunehmen, wurde die Idee im neuen Koalitionsvertrag mit keinem Wort erwähnt. Ich rechne bestenfalls mit einer 20-prozentigen Chance, dass die nächste Bundesregierung das Konzept umsetzt, mehr nicht.

Wie frustrierend sind die oftmals langwierigen Prozesse der Politik für Sie?

Das werde ich oft gefragt und meine Standard-Antwort lautet: Ich habe großen Respekt vor der parlamentarischen Demokratie. Und oft lässt sich feststellen, dass die Realpolitik mit zehnjähriger Verzögerung doch den Weg beschreitet, den die Wissenschaft vorgedacht hat.

Wie steht es um die Zukunftsfähigkeit des Ackerbaus?

Das ist ein großer Streitpunkt. Viele praktische Landwirte sehen keine Notwendigkeit zu starken Veränderungen, denn mit Pflanzenschutz- und Düngemittelpaketen können nach wie vor Ertragsfortschritte erzielt werden. Beim Weizen, unserer Leitkultur hier im Raum, sind die starken Fortschritte aufgrund des Klimawandels zwar vorbei, aber es passt irgendwie. Viele Fachleute wiederum sind der Meinung, dass die moderne Landwirtschaft nicht resilient gegenüber dem Klimawandel ist und sie auch für den Rückgang der Insektenpopulationen verantwortlich ist.

Was ist Ihre Einschätzung?

Ich sehe durchaus die Notwendigkeit für Veränderungen und würde mir als eine Lösung kooperative Modelle wünschen, wie sie in den Niederlanden umgesetzt werden.

Wie sehen diese aus?

Dort setzen sich, vereinfacht erklärt, die Landwirte eines Dorfes mit Naturschützern und Anwohnern zusammen, um zu überlegen, wie ihre Gemarkung schöner und resilienter gestaltet werden kann. Sei es durch Hecken oder Wasserrückhaltebecken. Es ist viel agrarpolitisches Geld im Umlauf und die Wissenschaft rät, diese Mittel stärker für die Entwicklung der einzelnen Gemarkungen zu nutzen. Letztlich führt das zu einer leistungsstärkeren Landwirtschaft, die vielleicht auch noch einen höheren Freizeitwert hat.

Wie erfolgreich ist das Konzept in den Niederlanden?

So erfolgreich, dass einige Bundesländer in Deutschland es ebenfalls bereits umsetzen, Brandenburg beispielsweise. Mein Vorschlag wäre es ohnehin, stärker mit Modellregionen zu arbeiten, damit wir in fünf bis zehn Jahren schlauer sind, welche Wege wirklich die richtigen sind.

Ein möglicher Weg könnten multifunktionale Agrarlandschaften sein. Daran forscht unter anderem das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Was zeichnet diese Flächen aus?

Es ist wichtig, eines zu verstehen: Agrarlandschaften sind mehr als die Summe der genutzten Felder. Landwirte haben beispielsweise bestimmte Stilllegungsverpflichtungen, ein kleiner Anteil der Flächen wird also nicht bewirtschaftet. Meistens werden hier langweilige Grünstreifen angelegt, dabei wäre es sinnvoller, sich zu überlegen, wie der Nutzen für den Naturschutz verbessert werden könnte oder was die benachbarte landwirtschaftliche Fläche benötigen könnte, um die Bestäubungsleistung zu erhöhen. Auch wo diese Flächen liegen, ist entscheidend, um Gewässer vor Nährstoffeinträgen zu schützen. All diese Facetten spielen eine Rolle. Eine Landschaft muss nicht so aussehen, wie sie immer ausgesehen hat, sondern kann gezielt verbessert werden. Dann kann eine wirklich multifunktionale, zukunftsfähige Agrarlandschaft entstehen.

Die Landwirtschaft ist inzwischen digital und hoch technisiert. Macht sie das automatisch nachhaltiger?

Daraus ergeben sich zumindest Potenziale. Zum einen wird die sogenannte Präzisions-Landwirtschaft vorangetrieben, die deutlich effizienter arbeitet. Richtig interessant wird die Digitalisierung aber erst, wenn sie zu autonomer Mobilität auf dem Acker führt. Denn dann kann sich der Trend zu immer größeren Maschinen umkehren und anstelle eines 150-PS-Treckers fahren viele Kleinroboter über den Acker, die durch regenerative Energien angetrieben werden. Die Bodenverdichtung sinkt und Äcker können vielfältiger gestaltet werden. In der langen Perspektive ermöglicht Digitalisierung Miniaturisierung. Diese Perspektive wissenschaftlich zu entwickeln und mit der landwirtschaftlichen Praxis auszuprobieren, wäre meine Wunschvorstellung für den Großraum Braunschweig.

Können Sie das konkretisieren?

Ich würde mir wünschen, dass die Landes- und Bundesregierung hier einen Leuchtturm für ganz andersartige Pflanzenbausysteme der Zukunft etabliert.

Was zeichnet diese Systeme aus?

Sie sind im Vergleich zu dem, was wir bisher auf den Äckern vorfinden, nicht nur ein bisschen weiterentwickelt, sondern würden ausgehend vom Anspruch der Kulturpflanze – im Prinzip rückwärts – ganz neue Systeme entwickeln. Es können beispielsweise Diagnosen an den Pflanzen mit kleinen Geräten und Drohnen durchgeführt werden, die untereinander vernetzt sind. Wir haben das bereits in einem Pilotprojekt mit dem Julius Kühn-Institut und der TU Braunschweig durchgespielt und die Ergebnisse waren sehr ermutigend.

Wie greifbar ist dieser Traum?

Die Voraussetzungen sind hervorragend und wir sind bereits mit weiteren Akteuren, beispielsweise in Schickelsheim in Gesprächen. Die deutsche Landtechnikindustrie, die überwiegend im Westen Niedersachsens angesiedelt ist, müssten wir mit an Bord holen. Dieser Traum könnte realistisch betrachtet frühestens in 20 Jahren Realität sein – eine klassische Aufgabe vorausschauender Forschungsförderpolitik. Und leider kommen wir immer wieder zu der Einschätzung, dass in Deutschland viel Geld für Forschungsförderung ausgegeben wird, allerdings zu wenig strategisch. Aber hier könnte ein langfristig konzipiertes Leuchtturmprojekt entstehen, das man arbeitsteilig von verschiedenen Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft vorantreiben müsste. Am Ende könnte dieser Plan, wenn er konsequent umgesetzt würde, zu einer Weltmarktführerschaft der deutschen Landmaschinenindustrie führen.

Lassen Sie uns einen Blick in die Welt werfen. In seinem Buch „Bauernsterben“ kritisiert Bartholomäus Grill, dass die globale Agrarindustrie die traditionelle Landwirtschaft und bäuerliche Strukturen zerstört. Dabei würde sie die ökologische Krise weiter verschärfen …

Solche Bücher gibt es immer wieder und sie prangern eine Entwicklung an, die im Kern nicht veränderbar ist. Der Kapitalismus hat eine unglaubliche Kraft und es ist der technologische Fortschritt, der es möglich macht, dass mit immer weniger menschlicher Arbeitskraft kostengünstig Produkte erzeugt werden. Das führt zu Preisen, die sich ständig im Sinkflug befinden. Viele traditionelle Landwirtinnen und Landwirte können da nicht mithalten, deshalb gibt es den Strukturwandel. Im Kern kann ich diese Klage und das Bedauern sehr gut nachvollziehen. Es ist eine politische Aufgabe, genügend unternehmerische Vielfalt in Agrar-Regionen zu schaffen. Etwas anderes bereitet mir aber noch größere Sorge …

Wenn die Globalisierung und die Monopolisierung so weiter gehen wie bisher, gewinnen einige Großkonzerne immer mehr Macht.
Prof. Dr. Folkhard Isermeier

Nämlich?

Wenn die Globalisierung und die Monopolisierung so weiter gehen wie bisher, gewinnen einige Großkonzerne immer mehr Macht. Wir befinden uns auf einem gefährlichen Weg, der dazu führen kann, dass Regierungen einzelner Länder in Abhängigkeiten gelangen. Und die Digitalisierung beschleunigt diesen Weg noch einmal.

Können Sie dies näher erläutern?

Große Agrarkonzerne bieten heutzutage weltweit Saatgut, Pflanzenschutzmittel und digitale Lösungen an. Man versucht beispielsweise eine Pflanzensorte zu züchten, die mit bestimmten Chemikalien besonders gut umgehen kann. So entstehen Plug-and-Play-Lösungen, die für die Landwirtschaft effizient sind, aber auch ein hohes Monopolisierungspotenzial haben. Dahinter steckt die Idee, möglichst erdumspannend Zugriff auf das Wissen und Geschehen in den landwirtschaftlichen Betrieben zu haben.

Über welche Konzerne sprechen wir?

Es bringt nichts, einzelne Firmen zu benennen und eine Empörungskultur zu bedienen. Es geht vielmehr um das System dahinter.

Wie können wir dieser Abhängigkeit entgehen?

Nur auf politischer Ebene, und eine Antwort darauf kann nie und nimmer aus Deutschland allein kommen. Eine Möglichkeit wäre ein internationales Forschungsinstitut, das sich den Risiken der Digitalisierung und der Verhinderung globaler Monopolstrukturen zuwendet. Und dabei könnte Deutschland eine tragende Rolle übernehmen.

Welchen Platz hat die deutsche Landwirtschaft auf dem Weltmarkt?

Einen ziemlich kleinen – auf uns gehen weniger als zwei Prozent der Weltproduktion zurück. Anders sieht es mit dem Blick auf Europa aus. In den Nullerjahren haben wir erfolgreich Marktanteile hinzugewonnen und waren ein Vorbild für andere Nationen. Nicht ohne Grund finden hier mit der Agritechnica und der EuroTier die weltweit größten Agrar-Messen statt. In den letzten zehn Jahren wurde diese Entwicklung allerdings gebremst, insbesondere durch die große Unsicherheit bezüglich der Zukunft der Nutztierhaltung. Spanien und Polen haben uns dort überholt.

Bis 2030 sollen der Welthunger und die Unterernährung in allen Formen beendet sein, lautet ein erklärtes Ziel der Vereinten Nationen. Ist das nach wie vor realistisch?

Leider nein. Das Ziel ist kaum zu erreichen, denn wissenschaftliche Analysen zeigen, dass die Hauptursache des Hungers nicht ein globaler Nahrungsmittelmangel ist.

Sondern?

Die Hauptursachen sind schlechtes Regierungshandeln, Korruption und unzureichende Aufmerksamkeit für das Geschehen in ländlichen Räumen. Natürlich gibt es auch immer wieder Ernteausfälle in bestimmten Regionen, so, dass der internationale Agrarhandel wichtig ist. Und natürlich kann man sich auch Finanz-Regime vorstellen, die zum Wohle der ärmsten Länder in solchen Situationen unterstützend eingreifen. Aber das hat nichts mit der manchmal seitens der Agrarpolitik und der Landwirte vorgetragenen Idee zu tun, wir müssten die Welt ernähren. Selbst wenn wir unsere Produktion um 50 Prozent steigern, würde das den Hunger nicht ansatzweise beseitigen, zumal eine solche Expansion zu niedrigeren Weltmarktpreisen und am Ende zu weniger Produktion andernorts führen würde.

Während wir zu sehr mit Einzelprojekten befasst sind, fehlt die strategische Kraft im globalen Maßstab.
Prof. Dr. Folkhard Isermeyer

Das Ziel ist also utopisch?

Das ist eine entwicklungspolitische Frage, die stärker auf die Ebene der Europäischen Union getragen werden müsste. Es ist schon irritierend, wenn in einem Land wie Äthiopien Entwicklungshilfeorganisationen aus Deutschland, Frankreich und England um Projekte wetteifern. Während wir zu sehr mit Einzelprojekten befasst sind, fehlt die strategische Kraft im globalen Maßstab.

Was also prognostizieren Sie?

Ich denke, es ist ähnlich wie mit der Klimapolitik. Richtig erfolgreich sind wir nur, wenn Europa mit einer Stimme spricht und in den USA die Demokratie stabil bleibt. Dann kann es vielleicht gelingen, China mit an Bord zu holen. Nur im Konzert der großen Player ist es möglich, in den jeweiligen Hemisphären genug Druck auszuüben, damit globale Klimaschutz oder Welternährungsziele strategisch umgesetzt werden.

Wenn eines in unserem Gespräch bereits mehr als deutlich geworden ist: Die Beratung der Politik ist eine wesentliche Aufgabe des Thünen-Instituts.

Dahingehend haben wir uns in den letzten Jahren noch stärker ausgerichtet. Wir produzieren jedes Jahr ungefähr 800 schriftliche Stellungnahmen im Auftrag der Bundesregierung. In dieser komplexen Welt braucht Politik wissenschaftlichen Rat, um vernünftige Entscheidungen zu fällen. Was uns bislang noch nicht so gut gelungen ist, ist, dass wir den Diskurs im Bundestag und auf Ministerebene erreichen. Außerdem müssen wir den öffentlichen Diskurs stärker mit leicht verdaulichen, aber wissenschaftsbasierten Informationen befruchten. Denn es ist frustrierend, wenn im öffentlichen Diskurs Meinungen die Oberhand gewinnen, die aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar sind. Die Empörungskultur, die doch sehr an Raum gewonnen hat, tut unserer Gesellschaft nicht gut. Es ist wichtig, mit Andersdenkenden ins Gespräch zu kommen.

Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, und Thünen-Projektleiterin Nicole Wellbrock beim Spatenstich zur bundesweiten Bodenzustandserhebung im Wald. Das vom Bund und den Ländern im Jahr 2022 gestartete Großprojekt soll wichtige Informationen über die Entwicklung der deutschen Waldböden liefern.
Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, und Thünen-Projektleiterin Nicole Wellbrock beim Spatenstich zur bundesweiten Bodenzustandserhebung im Wald. Das vom Bund und den Ländern im Jahr 2022 gestartete Großprojekt soll wichtige Informationen über die Entwicklung der deutschen Waldböden liefern. © BMEL/photothek | Kügler

Welche Rolle spielt die eigentliche Forschung in Ihrem Institut?

Die entscheidende. Wir publizieren alles, was wir herausfinden – auch sensible Themen, die für die Bundesregierung unbequem sind. Das ist der Gradmesser der wissenschaftlichen Unabhängigkeit.

Gibt es Forschungsentwicklungen, die Sie in den vergangenen Jahren besonders geprägt haben?

Neben dem bereits erwähnten Konzept, die gesamte deutsche Nutztierhaltung auf ein hohes Tierwohlniveau zu bringen, sind das sicherlich unsere Monitoring-Leistungen.

Sie bilden das tatsächliche Geschehen in der Land-, Wald- und Forstwirtschaft sowie der Fischerei ab.

Die wissenschaftliche Leistung, die dahintersteckt, ist enorm. Nehmen Sie nur die zu ermittelnden Treibhausgasemissionen der deutschen Landwirtschaft, die wir international berichten müssen.

Können wir über den Status quo der Monitoring-Erkenntnisse genauer sprechen?

Hinsichtlich der Treibhausgasemissionen verzeichnen wir eine positive Entwicklung und sehen, dass der deutsche Agrarsektor einen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Wie es um das Tierwohl in Deutschland steht, wissen wir derzeit nicht. Gemeinsam mit anderen Einrichtungen haben wir ein Konzept erarbeitet, das die Bundesregierung zunächst nur zögerlich entgegengenommen hat und das es noch umzusetzen gilt. Dem Wald haben die Trockenjahre stark zugesetzt und er ist nur sehr eingeschränkt in der Lage, sich zu erholen. Nächstes Jahr veröffentlichen wir die nächste Inventur und dann wird sich zeigen, ob der Wald überhaupt noch eine Treibhausgas-Senke ist. Seine Funktion wird zukünftig eine andere sein.

Nämlich?

Der Wald verwandelt das zu viel an Kohlendioxid aus der Atmosphäre durch die Photosynthese in Holz. Wenn wir unsere Energieversorgung auf Wind- und Solarenergie umgestellt haben, sollte dieses Holz nicht mehr verbrannt, sondern vielmehr eingelagert werden. Hier findet zur Zeit ein Paradigmenwechsel statt. Gleichzeitig muss der Wald fit für den Klimawandel gemacht werden. Dabei gibt es wieder ideologische Unterschiede: Die eine Fraktion sagt, der Wald macht das allein, die andere meint, Bäume könnten das aufgrund ihrer Genetik nicht, weil der Klima-Wandel zu schnell verläuft. Wir bauen aktuell einen digitalen Zwilling für den Wald, um besser planen zu können, wie sich der Wald und die Forstwirtschaft künftig entwickeln sollen.

Die Trockenjahre haben dem Wald stark zugesetzt. Ob er überhaupt noch eine Treibhausgas-Senke ist, sollen die Ergebnisse der bundesweiten Waldinventur zeigen, die 2024 veröffentlicht werden.
Die Trockenjahre haben dem Wald stark zugesetzt. Ob er überhaupt noch eine Treibhausgas-Senke ist, sollen die Ergebnisse der bundesweiten Waldinventur zeigen, die 2024 veröffentlicht werden. © stock.adobe.com | Oxie99

Bleibt noch die Fischerei …

Wir beobachten ausschließlich Meere, keine Binnengewässer. In der Nordsee und im Nordostatlantik gibt es durchaus Gebiete, in denen die Fischbestände in gutem Zustand sind, sodass wir aus diesen Gebieten bedenkenlos einkaufen können. Diese Ergebnisse finden übrigens auch Endverbraucher auf unserem Portal fischbestaende-online.de. Die Ostsee hingegen ist ein echtes Sorgenkind. Das liegt nicht primär an Überfischung, sondern den Effekten des Klimawandels, die das Ökosystem überfordern. Hinzu kommen Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft. Damit sind wir im Prinzip wieder am Ausgangspunkt: Die Notwendigkeit für Veränderungen ist aus wissenschaftlicher Sicht in jedem Fall gegeben.

In Ihrer Arbeit sehen Sie sich mit vielen Herausforderungen konfrontiert, die nicht ad hoc gelöst werden können. Was motiviert Sie, dennoch optimistisch nach vorne zu blicken?

Trotz aller Krisen und besorgniserregenden Entwicklungen versuche ich vor allem den jüngeren Menschen immer wieder nahezubringen, dass wir als Gesellschaft nur eine Chance haben, wenn wir uns in jeder Generation wieder neu sozial engagieren. Viele tun das im unmittelbaren Umfeld, in der Nachbarschaft. Und ich habe die Verantwortung in meinem Amt einen großen Wirkungshebel zu bedienen. Hier arbeiten über 1.000 Mitarbeitende und wir setzen im Jahr 100 Millionen Euro Steuergelder um. Entsprechend wertvoll muss der Output sein.

Welche Beziehung haben Sie persönlich zur Landwirtschaft?

Ich bin in einem landwirtschaftlichen Betrieb vor den Toren Braunschweigs groß geworden und habe die Arbeit in der Landwirtschaft und das Denken in Systemen von klein auf miterlebt. Im Studium hat mich die Agrarökonomie fasziniert. Das Agrarsystem kann man nur erfolgreich weiterentwickeln, wenn man auf der einen Seite das Zusammenwirken von Politik, Verbrauchern und Landwirten versteht und auf der anderen Seite die Reaktion des Ökosystems. Diese beiden Sphären zusammenzudenken, hat mich fasziniert.

Hätten Sie sich vorstellen können, ganz praktisch in der Landwirtschaft tätig zu sein?

Es gab eine Phase, in der mein Bruder und ich das erwogen haben. Mein Bruder hat schließlich aber den Betrieb übernommen und in eine, wie ich finde, sehr zeitgemäße Gesellschaft mit anderen Mit-Unternehmern überführt. Und im Laufe der Jahre habe ich voller Demut wahrgenommen, dass ich so stark am gesellschaftlichen Fortschritt interessiert bin und dabei so wenig auf den Kernbereich des persönlichen Geldverdienens achte, dass ich wahrscheinlich zum Unternehmer gar nicht gut getaugt hätte (lacht). Aber ich habe lange Zeit mit auf dem Hof gelebt und konnte an den Entwicklungen und Denkmustern der landwirtschaftlichen Praxis teilhaben. Diese Zeit war durchaus befruchtend.

Prof. Dr. Folkhard Isermeyer, Parlamentarische Staatssekretärin Ophelia Nick und Projektkoordinatorin Angela Bergschmidt bei der Übergabe des Konzepts für ein nationales Tierwohl-Monitoring.
Prof. Dr. Folkhard Isermeyer, Parlamentarische Staatssekretärin Ophelia Nick und Projektkoordinatorin Angela Bergschmidt bei der Übergabe des Konzepts für ein nationales Tierwohl-Monitoring. © BMEL | BMEL

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