Braunschweig. Zum Welt-Aids-Tag: Melanie ist mit 23 Jahren HIV-positiv. 20 Jahre später kämpft sie mehr mit Vorurteilen als mit der Erkrankung.

Melanie hat zwei Kinder im Schulalter. Und Melanie ist seit 20 Jahren HIV-positiv. Ihr Sohn ist 14 Jahre alt, ihre Tochter 9. „Meine Kinder sind beide HIV-negativ“, erzählt die Braunschweigerin. „HIV-positive Mütter können heute eine natürliche Geburt haben, ohne das Virus an ihr Kind zu übertragen.“

Sie erfuhr von ihrer Infektion, nachdem sie Plasma gespendet hatte. „Ich habe einen Brief nach Hause bekommen. Ich wurde eingeladen, man müsse mit mir reden.“ Sie ging in ein Ärztezentrum, in dem die Ärzte die Nachricht schlimmer machten, weil sie nicht zum Punkt kamen. „Bevor sie mir sagten, dass ich HIV-positiv bin, sagten sie, dass es Medikamente ‚dagegen‘ gebe und dass das Leben ja weitergehe.“ Die Nachricht, HIV-positiv zu sein, traf sie schwer. „Ich dachte, ich muss sterben.“ Sie war damals 23 Jahre alt. In dem Gefühl, sterben zu müssen, geht sie feiern, solange sie kann, verliert sich darin.

Vorurteile über HIV entstehen aus veraltetem Wissen aus den Achtzigern

Kinder, so dachte sie, würde sie niemals bekommen können. Ein Trugschluss, wie sie heute weiß. Dennoch schenkten ihr Freunde damals deshalb einen Hund. Auf der einen Seite ein gutes Geschenk, sagt sie. Er sei 17 Jahre alt geworden und ein treuer Freund gewesen. Aber auch ein Geschenk voller Symbolik: Denn die Freunde lagen völlig falsch. Und so zeigt das Geschenk auch, wie wenig Menschen über HIV wissen.

Die Bilder, die Menschen im Kopf haben, sagt Melanie, sind noch die aus den Achtzigern und den frühen Neunzigern. Wie aus dem Film Philadelphia, in dem Tom Hanks einen schwulen Mann spielt, der an Aids stirbt, während er für seine Rechte kämpft. Der Film zeigt eine tödliche Krankheit und gesellschaftliche Ausgrenzung der Betroffenen.

Heute, dreißig Jahre später, ist HIV, sofern es behandelt wird, kein großes Problem mehr. Dank der Medikamente haben Betroffene ein normales Leben. Sie haben, so die deutsche Aidshilfe, gute Chancen auf eine normale Lebenserwartung bei guter Lebensqualität. Das erklärte auch der Geschäftsführer der Braunschweiger Aids-Hilfe, Kai Zayko im Interview mit unserer Zeitung. Nimmt ein Betroffener seine Medikamente, unterdrücken diese das Virus unter die Nachweisgrenze. Dann können HIV-positive Menschen Sex haben, ohne ihre Partner anzustecken. Und sie können gesunde Kinder auf die Welt bringen. Doch veraltete Gewissheiten legen Menschen nicht so schnell ab: Ihre Oma, erzählt Melanie, mache sich oft Sorgen um ihre Gesundheit, obwohl sie ihr versichert, dass HIV ihr Leben kaum einschränkt.

Das größte Problem mit HIV ist ein soziales

Als sie von ihrer Infektion erfuhr, lebte sie in einer On-Off-Beziehung. Ihr Partner leugnete, dass sie es von ihm haben könne, gab ihr die Schuld. Die Beziehung ging auseinander. Melanie ging zunächst zurückhaltend mit ihrer Infektion um, doch öffnete sie sich immer weiter, erzählte Menschen davon. „Die Reaktionen waren etwa fifty-fifty“, sagt sie. Einige Leute brachen den Kontakt zu ihr ab, nachdem sie es erfahren hatten. Andere tranken nicht mehr aus einem Glas mit ihr, dabei ist eine Ansteckung dank der Medikamente unmöglich.

Als sie einmal im Krankenhaus war, war auf ihrer Krankenakte ein großer roter Warnstempel und die Ärzte operierten sie als Letztes am Tag. Nach ihr müsse der Operationssaal gründlich gereinigt werden. Danach bekam sie ein Einzelzimmer. Auch das war nicht notwendig, sagt sie. Ärzte und Pflegekräfte könnten sie einfach behandeln wie alle anderen, denn auch hier gebe es aufgrund der Medikamente keine Ansteckungsgefahr. „Außerdem sollte ein OP-Saal doch immer sauber gemacht werden“, sagt sie schelmisch.

Mit HIV hat sie ihr Lebensglück gefunden

Seit sie ihre Kinder hat, geht sie nicht mehr so offen mit ihrer Infektion um. Sie befürchtet, dass Eltern Freunden ihrer Kinder verbieten, mit ihnen zu spielen. Diese Angst ist nachvollziehbar: Denn, so bestätigen Berater der Braunschweiger Aids-Hilfe, solche Fälle kommen in Beratungen häufiger vor. Für ihre Kinder möchte sie auch anonym bleiben. „Mein Mann sagt, man muss es machen. Und ich würde mich auch zeigen“, sagt sie. Aber für ihre Kinder trägt sie Verantwortung. Und sie möchte sie schützen.

Melanie trägt ihren Ehering, unter ihrer Hand liegt ein Flyer der Frauen-Selbsthilfegruppe der Braunschweiger AIDS-Hilfe. 
Melanie trägt ihren Ehering, unter ihrer Hand liegt ein Flyer der Frauen-Selbsthilfegruppe der Braunschweiger AIDS-Hilfe.  © FMN | Jan-Peter Waiblinger

Ihren Mann lernt sie 2008 kennen. Melanie arbeitete als Putzkraft im Braunschweiger Schloss, er auch. Sie putzen zusammen. „Die Geschichte ist romantisch“, sagt sie und lacht, dann lächelt sie. Damals war es ihre Aufgabe, die Rolltreppen zu putzen. „Und jeden Morgen, wenn ich da ankam, stand vor der Treppe eine Vanillemilch für mich.“ Die beiden verabreden sich im Café Americano. Sie redet von Anfang an Klartext mit ihm. Wenn sich damals eine Beziehung anbahnte, erzählt sie, hat sie das immer getan. Für ihren Mann war das kein Problem. Seine Mutter kannte HIV-positive Menschen und er wusste, was es bedeutete.

Vier Monate später ist sie schwanger. „Es sollte so sein. Er ist der Mann. Er ist der Richtige.“ Die beiden sind nun seit 15 Jahren ein Paar, seit fünf Jahren verheiratet und haben zwei Kinder. Aus ihrer Familie ist nur sie HIV-positiv. Sie sind eine ganz normale Famile. Das Paar träumt davon, nach Norwegen auszuwandern. „Das sind aber nur Gedankenspiele“, ergänzt sie lächelnd und mit leiser Stimme.

Bei der Braunschweiger Aids-Hilfe findet Melanie Unterstützung

Ihr Sohn weiß inzwischen von ihrer HIV-Infektion. Ihre Tochter weiß, dass sie krank ist, aber nicht genau, was es ist. Melanie besucht regelmäßig die Aids-Hilfe in Braunschweig. Zu Weihnachtsfeiern oder Treffen kommen die Kinder manchmal mit. Ihre Tochter weiß, Mama geht zur „Eule“. Ein Spitzname der Aids-Hilfe, weil sie in der Eulenstraße beheimatet ist.

Melanie trifft sich auch mit den Frauen der Frauen-Selbsthilfegruppe, zu der sie seit etwa acht Jahren geht, sagt sie. Sie nimmt auch an Frauen-Wochenenden teil, ein Highlight für sie. Sich mit Frauen auszutauschen, die die gleichen Erfahrungen gemacht haben, habe eine eigene Qualität. Vor zwei Jahren malte Melanie sich mit den Frauen ihre Gefühle von der Seele. Die Bilder stellten sie aus. Gemeinsam verfassten die Frauen auch ein Gedicht, das ihre Gefühle ausdrückt.

Das Bild hat Melanie im Rahmen einer Aktion der Frauen-Selbsthilfegruppe der Aidshilfe Braunschweig gemalt. Titel: Die Versteckte.
Das Bild hat Melanie im Rahmen einer Aktion der Frauen-Selbsthilfegruppe der Aidshilfe Braunschweig gemalt. Titel: Die Versteckte. © Aidshilfe Braunschweig | Aidshilfe Braunschweig