Bonn. Über 25 Jahre hütet Andreas K. sein schreckliches Geheimnis. Bis er 2017 den Mord an Monika B. gesteht. Im Podcast erzählt er seine ganze Geschichte.

Es ist Februar, Andreas K. (Name geändert) wartet im Besucherraum der Justizvollzugsanstalt. Ein steriler Ort mit mehreren runden Tischen, die im Abstand von gut einem Meter zueinanderstehen. Der 58-Jährige, 1,80 Meter groß, schlank und graue Haare, sitzt aufrecht auf dem Stuhl, keine Glasscheibe trennt ihn und den Besucher – so wie man das aus amerikanischen Filmen kennt.

Sein Gesicht ist schmal, er trägt eine Brille auf einer leicht geröteten, größeren Nase. Was geht im Kopf eines Mörders vor? Warum gibt es Menschen, die andere Menschen töten? Und was geschieht, wenn ein Täter nie gefasst wird? Andreas K. hat viele Antworten auf diese Fragen. „Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich in erster Linie nicht den Sohn oder den Bruder, den Vater oder den ehemaligen Soldaten, sondern den Mörder“, sagt er. Nach mehr als 30 Jahren blickt er zurück und erinnert sich an den 11. November 1991, den Tag, an dem aus einem scheinbar normalen Familienvater ein Mörder wurde.

Am 11. November 1991 wird Andreas K. zum Mörder

„Es war ein Montag“, erinnert sich Andreas K.. Er ist 26 Jahre alt, verheiratet. Seine Frau ist im siebten Monat schwanger. Ein Wunschkind. Der Student ist sozial integriert, hat viele Freunde und Bekannte. Es scheint Andreas K. an nichts zu fehlen. Und trotzdem wird er an diesem Tag eine Frau töten. Eine Unbekannte. Ein komplettes Zufallsopfer, wie er erzählt.

podcast-image

Das Leben von K. verläuft bis zu diesem Tag ganz normal. So sagt er es jedenfalls. Er macht Abitur, geht zur Bundeswehr und beginnt schließlich an der Bonner Universität ein Studium in Deutsch und Russisch auf Lehramt. Dass Andreas K. schon seit seiner Kindheit unter Gewaltfantasien leidet, weiß niemand, nicht einmal seine Frau. Dass er diese Fantasien jemals in die Tat umsetzen würde, hätte er niemals gedacht… Bis er an diesem Montag gegen 16.10 Uhr seine Wohnung in Bonn verlässt.

Andreas K. trägt eine schwarze Lederjacke und braune Wildlederhandschuhe. Draußen beginnt es bereits zu dämmern. Er hat ein Springmesser mit einer zwölf Zentimeter langen Klinge, einen Nylonstrumpf seiner Ehefrau und Handschellen bei sich – aber warum?

K. zögert etwas, bevor er antwortet. Das wisse er selbst nicht genau. Es sei auch nicht das erste Mal gewesen, dass er so durch die Nachbarschaft zog, erzählt er dann. Seine klaren, blauen Augen halten konsequent den Blickkontakt. Andreas K. erzählt seine Vision der Geschichte, seine Gedanken, seine Erinnerungen. Vieles deckt sich mit dem, was in den Akten steht. Aber ob sich das alles tatsächlich genauso zugetragen hat, ist nur schwer zu überprüfen. Seine Mimik ist ausdruckslos, schwer zu deuten.

„Auf das Warum werde ich Ihnen und auch sonst niemandem eine Antwort geben können. Da suche ich seit nunmehr über 30 Jahren selbst nach einer Antwort“, sagt er. Er sei an diesem Tag einfach ziellos durch die Nachbarschaft gestreift wie schon einige Male zuvor. Ohne etwas Konkretes mit seinen „Werkzeugen“ vorgehabt zu haben.

Dieses Gemälde von René Magritte aus dem Jahr 1961 erinnere Andreas K. immer an die Tat. Die Lichtverhältnisse seien denen am Tattag sehr ähnlich, als er Monika B. im Fenster stehen sieht.
Dieses Gemälde von René Magritte aus dem Jahr 1961 erinnere Andreas K. immer an die Tat. Die Lichtverhältnisse seien denen am Tattag sehr ähnlich, als er Monika B. im Fenster stehen sieht. © Sotheby`s Auction House UK | Maler René Magritte

Monika B. wird zum Opfer von Andreas K.

Was geschah dann? Warum diese Frau? Warum Monika B. (Name geändert)? — „Auf einmal ging in einem Reihenhaus parterre in der Küche das Licht an und ich sah dort eine Frau in einem dunkelroten Pullover am Fenster stehen.“ Ohne zu überlegen, gesteuert durch eine Art Drang oder Trieb, wie K. es beschreibt, sei er zu der Haustür gegangen und habe geklingelt. Die Frau öffnet, Andreas K. überwältigt und tötet sie. Das Ganze geschieht innerhalb weniger Minuten direkt im Eingangsbereich ihres Hauses.

Äußerst gefasst und mit ruhiger Stimme erzählt der 58-Jährige davon – als sei es etwas Alltägliches. Er beantwortet jede Frage ohne zu zögern oder zu überlegen. Er scheint zu wissen, wie man mit Worten umgeht.

Ob oder was Monika B. nach dem Öffnen der Tür zu ihm gesagt hat, wisse er nicht mehr. Es sei wie eine Art Film oder Traum gewesen. Er habe wie ferngesteuert gehandelt, „wie ein tollwütiges Tier“, erklärt er. Richtig aufgewacht sei K. erst nach der Tat zu Hause.

Monika B. wird mit 74 Messerstichen in Oberkörper, Rücken und Beinen aufgefunden. Ihre Hände sind auf dem Rücken mit Handschellen fixiert. Sie wird nur 38 Jahre alt und hinterlässt eine 12-jährige Tochter und einen Ehemann.

Andreas K. hat am Tattag neben einem Springmesser mit einer zwölf Zentimeter langen Klinge und einem Nylonstrumpf seiner Ehefrau auch Handschellen bei sich. (Symbolbild)
Andreas K. hat am Tattag neben einem Springmesser mit einer zwölf Zentimeter langen Klinge und einem Nylonstrumpf seiner Ehefrau auch Handschellen bei sich. (Symbolbild) © FMN | Adobe Stock

Nach der Tat fährt Andreas K. mit dem Fahrrad zur Universität

Gegen 17.15 Uhr fährt Andreas K. mit dem Fahrrad zur Universität. Zuvor hat er noch seinen Pullover ausgewaschen und seine Lederjacke gereinigt. „Ich wusste ja, dass das die Zeit ist, wo meine Frau von der Arbeit kommt, und ich wollte ihr auf keinen Fall begegnen. Ich war mir sicher, dass man mir etwas ansehen müsse.“ Aber statt seine reguläre Uni-Veranstaltung am späten Nachmittag zu besuchen, setzt er sich in die Cafeteria des Gebäudes. Dort will K. dann realisiert haben, was kurz zuvor geschehen war. Er ist sich sicher, dass er sein Opfer mindestens schwer verletzt haben musste. Aber, ob sie wirklich tot war, das habe er nicht mit Gewissheit sagen können.

Als er Jahre später von der Polizei erfährt, wie hoch die Anzahl der Messerstiche war, sei K. geschockt gewesen. Es waren über 70. An jenem 11. November 1991 aber passiert nichts. Niemand kommt, um ihn zu verhaften. Auch am nächsten Tag nicht. Genau wie am übernächsten. Also schweigt Andreas K.. 25 Jahre lang.

Am 23. Februar 2017 gesteht Andreas K. den Mord an Monika B.

Der Mord an Monika B. kann nicht aufgeklärt werden. Und nichts deutet auf Andreas K. hin, der damals nur 300 Meter von Monika B. entfernt wohnt. Es besteht keinerlei Verbindung zwischen ihm und der 38-Jährigen. Außerdem hat er keinerlei Spuren am Tatort hinterlassen. Lange Zeit wird sogar der Ehemann von Monika B. verdächtigt.

Das Leben von Andreas K. läuft nach der Tat „normal“ weiter. Im Januar 1992 kommt sein erster Sohn zur Welt. Sechs Jahre später wird er Vater von Zwillingen, ein Junge und ein Mädchen.

podcast-image

Dennoch gesteht K. 25 Jahre nach dem Mord und rund 300 Kilometer von Bonn entfernt seine Tat. Es ist der 23. Februar 2017, 23.30 Uhr, als K. von der Verkehrspolizei angehalten wird. Nur etwa 500 Meter von seiner Wohnung entfernt. Der Atemalkoholtest ergibt 2,2 Promille. Die Polizisten nehmen Andreas K. seinen Autoschlüssel und seinen Führerschein ab und notieren sich seine Personalien.

Um 0.30 Uhr wird er beim Umparken seines Autos von denselben Verkehrspolizisten erneut angehalten. K. sei unzufrieden mit der Parksituation seines Autos gewesen und habe deshalb den Zweitschlüssel aus seiner Wohnung geholt. Einer der Polizisten habe gesagt, dass er sowas noch nie erlebt habe. Andreas K. antwortet: „Ich erzähle Ihnen mal etwas, was Sie sicher auch noch nie erlebt haben. “ Er gesteht den Mord an Monika B.

Bereut Andreas K. seine Tat? Verfolgt sie ihn bis heute? Seine Mimik lässt keinen tieferen Einblick in sein Seelenleben zu. Doch zum Ende des Gesprächs verändert sich etwas. Er erzählt von der Begegnung mit der Tochter des Opfers vor Gericht 2017 – Tränen treten ihm in die Augen. Sie habe ihn gefragt, ob er sie damals auch getötet hätte, wenn sie an diesem Tag zu Hause gewesen wäre. K. habe diese Frage damals vor Gericht ehrlicherweise mit Ja beantworten müssen.

Andreas K. wird zu lebenslanger Haft verurteilt

Das Landgericht Bonn verurteilt Andreas K. am 5. Dezember 2017 zu lebenslanger Haft. Ohne die besondere Schwere der Schuld. Er könnte also 2032, nach 15 Jahren, das Gefängnis wieder verlassen. Andreas K. wäre dann 67 Jahre alt.

Im letzten Satz des Urteils heißt es: „Die Tat ist allein deshalb aufgeklärt worden, weil der Angeklagte aus freien Stücken ohne Not ein Geständnis abgelegt hat. Dieses ist – das ist die sichere Überzeugung der Kammer unter dem Eindruck, den sie in der Hauptverhandlung von der Persönlichkeit des Angeklagten gewonnen hat – erkennbar von Reue und tiefem Bedauern über die Tat und deren Folgen für die Angehörigen getragen.“

Der Podcast zum Fall Andreas K.

Was genau Andreas K. über seine Kindheit, seine Gewaltfantasien und die Tat erzählt und warum er nach über 25 Jahren die Tat gestanden hat, erfahren Sie in unserem Podcast „Tatort Niedersachsen”.

In der Sonderreihe mit drei Episoden kommt der 58-Jährige selbst zu Wort. Außerdem werfen der bekannte Kriminalist und Fallanalytiker Axel Petermann aus Bremen und der Braunschweiger Psychiater und Neurologe Prof. Dr. Jürgen Mauthe einen professionellen Blick auf diese Tat und die genauen Hintergründe.

Die Podcast-Sonderreihe „In fremden Köpfen - Interview mit einem Mörder“ ist ab sofort auf unserer Internetseite und auf allen gängigen Portalen verfügbar.

podcast-image