Braunschweig. Der Himmelfahrtstag verlief überraschend ruhig. Worauf sich Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte vorbereitet hatten.

Es riecht nach Grillwurst und Gras. Vor dem Techno-Zelt auf der Wiese des Prinz-Albrecht-Parks wird schon um kurz nach 15 Uhr entrückt getanzt. Die Bässe fahren monoton und in extremer Lautstärke in die Magengruben. Der Marihuana-Duft weht über den Hang. Himmelfahrt, Vatertag. So oder so: ein freier Tag zum Abfeiern. Schönstes Frühlingswetter. Massenhaft sind sie angerollt mit ihren Picknickkörben und den Bollerwagen, um das Leben und die Sonne zu genießen. Für die meisten gehört Bier und Schnaps unbedingt dazu. Und vielleicht auch das ein oder andere illegale Zeug. Jetzt aber ist die Stimmung einfach nur entspannt. Polizistin Laura Bieker und ihr Kollege Sascha Repp schätzen, dass sich in den zahlreichen Grüppchen insgesamt rund 2000 Menschen im Park versammelt haben.

Die beiden sind unter anderem in Sachen Öffentlichkeitsarbeit unterwegs; bespielen Instagram und informieren digital über die Lage, sind stets aber auch ansprechbar für die Feiernden. Zwei junge Frauen beklagen gerade das Schicksal eines kleinen Mopses, den sein abtanzendes Frauchen im Gurt vor dem Bauch mit sich herumträgt. „Das arme Tier“, sorgen sich die beiden jungen Frauen, dass nicht nur der Lärm dem eingezwängten Hündchen zusetzen könnte.

Für Flaschensammler ist Himmelfahrt ein großes Geschäft

Polizistin Bieker spricht die Mopsbesitzerin an. Die gibt sich einsichtig, behauptet, hier nur mal ein Stündchen vorbeischauen zu wollen. Ein Flaschensammler derweil empört sich lautstark, dass gerade irgendjemand seine Leerguttüte durchwühlt habe. „Den kennen wir gut von der Partymeile. Normalerweise sammelt er dort sein Pfand ein“, sagt die Polizistin. Heute aber ist das große Geschäft im Prinzenpark zu machen.

Glas ist verboten an diesem Tag, und die Polizisten weisen immer wieder auf diese Anordnung der Stadt hin. Ein Hinweis, der mal mehr, mal weniger Verständnis findet. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass am Morgen nach solch einem Tag der Park übersäht ist mit Scherben“, versucht Repp die Notwendigkeit der Maßnahme zu verklickern. Vor der Grünanlage sind Glascontainer aufgestellt, in die heute manche Glasflasche in vollem Zustand wandert.

Die Kommunikationsbereitschaft sinkt mit dem Alkoholspiegel

Der Wind trägt den Technosound von der anderen Seite des Parks herüber. Als wäre es ein Wettbewerb um die weitreichendste Lautsprecherbox. Noch hat die Stadt ihre geplante Grünflächen-Satzung nicht verabschiedet. Bald könnte es sein, dass von 22 bis 6 Uhr keine elektronische Musik im Park mehr geduldet wird – aus Rücksichtnahme auf die Anwohner und andere Parkbesucher, die nicht dauerhaft beschallt werden möchten.

Zwischen den Büschen herrscht reger Betrieb. In Ermangelung von Toiletten wird eifrig in die Landschaft uriniert. „Ich habe heute schon einige Hintern gesehen“, meint Polizistin Bieker grinsend.

Kollege Repp betont, dass man wunderbar mit den Menschen ins Gespräch kommen könne – wenn der Alkoholspiegel noch auf niedrigem Niveau liege. Da fruchte die Botschaft noch: Seid nett zueinander und hinterlasst keinen Müll! „Zu späterer Stunde sieht das oft schon anders aus.“ Ein junger Mann, der im T-Shirt von RB Leipzig übers Wiesengrün wankt, lässt ahnen, was Repp damit meint.

Aber noch besteht die Hoffnung, dass an diesem Tag die Vernunft siegen könnte. Dass es friedlich bleibt und ganz ohne Keilerei ausgeht. Tut es aber nicht. Über das Funkgerät wird gerade eine Schlägerei oben am Bunker gemeldet. Die scheint immerhin harmlos. Nur zwei Leute beteiligt.

Michael Lindemann, Hilfspolizeibeamter, in der Ausnüchterungszelle des Polizeigewahrsams. Der Raum ist nicht symmetrisch, damit er durch den Türspion keinen toten Winkel bietet.
Michael Lindemann, Hilfspolizeibeamter, in der Ausnüchterungszelle des Polizeigewahrsams. Der Raum ist nicht symmetrisch, damit er durch den Türspion keinen toten Winkel bietet. © ANN CLAIRE RICHTER

Im Polizeigewahrsam in der Friedrich-Voigtländer-Straße schiebt Michael Lindemann Dienst. Seit 33 Jahren arbeitet er dort, hat manchen Volltrunkenen erlebt. „Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen“, sagt er augenrollend. Tut er aber aus Diskretionsgründen nicht, sondern zeigt uns stattdessen die Ausnüchterungszellen. Hier muss der Insasse am Boden liegen. Aus Fürsorgegründen: damit er sich nicht verletzt. Manch einer tobe und wüte in der Zelle stundenlang, berichtet Lindemann. Er wundert sich, dass um diese Zeit – es ist fast 17 Uhr – noch niemand bei ihm abgeliefert wurde. „Es ist erstaunlich ruhig. Ich hätte erwartet, dass bis jetzt schon zwei bis drei Alkoholisierte hier aufgelaufen wären“, sagt er. Doch das könne sich erfahrungsgemäß schnell ändern.

Auch Julia Hagemann schiebt Dienst im Polizeigewahrsam. Sie ist Ärztin am Städtischen Klinikum. Die Braunschweiger Polizeiinspektion, das Städtische Klinikum und die Stadt hatten nach der Pandemie ein Modellprojekt reaktiviert: die Ausnüchterung stark alkoholisierter Menschen unter ärztlicher Aufsicht im Polizeigewahrsam. Wie unsere Redakteurin Bettina Thoenes ausführlich berichtete, hatte zunehmende Gewalt durch volltrunkene gegen Retter, Pflegekräfte und Ärzte zu einem Umdenken geführt. Betroffen von den Übergriffen war vor allem die Notaufnahme der Psychiatrie. Denn dort lieferten Polizei und Rettungsdienst von Jahr zu Jahr mehr Menschen im Vollrausch ab. Im Braunschweiger Klinikum war vor der Pandemie von rund 400 jährlichen Übergriffen die Rede.

Julia Hagemann, Ärztin am Städtischen Klinikum, hatte am Himmelfahrtstag Dienst im Polizeigewahrsam in der Friedrich-Voigtländer-Straße.  
Julia Hagemann, Ärztin am Städtischen Klinikum, hatte am Himmelfahrtstag Dienst im Polizeigewahrsam in der Friedrich-Voigtländer-Straße.   © ANN CLAIRE RICHTER

Für die Polizei bedeutet die neue Regelung ebenfalls Entlastung: Beamte müssen Berauschte nicht mehr zur ärztlichen Prüfung der Gewahrsamsfähigkeit ins Krankenhaus fahren. Die Aufgabe kann der überwachende Arzt im Gewahrsam übernehmen. Er entscheidet, ob doch eine Krankenhaus-Einweisung nötig ist.

Mit jährlich 60.000 Euro finanziert die Stadt die ärztliche Überwachung im Polizeigewahrsam. Rund 70 Euro muss der Alkoholisierte für die Ausnüchterung aus eigener Tasche zahlen.

„Die meisten sind recht kleinlaut, wenn sie morgens ausgenüchtert die Zelle verlassen, und entschuldigen sich“, berichtet die Ärztin. Lindemann hat in den Akten nachgeschaut: „In diesem Jahr wurden bis jetzt 359 Männer und 53 Frauen eingeliefert.“

Laura Bieker und Sascha Repp schauen am Heidbergsee nach dem Rechten, erfahrungsgemäß der zweite Hotspot am Vatertag. Heute scheint der See vor allem Familien angelockt zu haben. Es ist weniger los als in den Jahren zuvor. Doch dann einige Aufregung: Der Rettungshubschrauber schwebt ein. Christoph 30 hat einen Notarzt an Bord. Wenn die anderen Kollegen bereits im Einsatz sind, kommt die Hilfe aus der Luft. Polizistin Bieker gibt nach einem Austausch mit einem Kollegen vor Ort Entwarnung: „Es scheint nur eine verhältnismäßig leichte Verletzung nach einem Sturz zu sein.“ Bis der Helikopter wieder in die Lüfte steigt, sichert sie mit ihrem Kollegen das Gelände ab, damit niemand beim Start zu Schaden kommt.

Zur Vorsorge wird ein Behandlungszelt im Prinzenpark aufgebaut

Einsatzleiter Thomas Dilling behält die Lage in der Polizeistation Querum im Blick. „Die ersten Beschwerden wegen Ruhestörung laufen ein“, sagt er. Es ist 17.30 Uhr. Er fürchtet, dass sich die Lage zuspitzt mit Einbruch der Dunkelheit. „Die Stimmung wird aggressiver, und wir haben bereits Platzverweise aussprechen müssen.“ Dilling beklagt, dass kaum einer mehr auf den anderen Rücksicht nehmen wolle. „Jeder pocht auf sein vermeintliches Recht.“

Im Prinzenpark indes fürchten die Einsatzkräfte, dass die Feierstimmung kippen könnte. In den Nachmittagsstunden hatte die Rettungsleitstelle der Feuerwehr die ersten Notrufe erhalten und innerhalb kurzer Zeit vier Rettungswagen und ein Notarzteinsatzfahrzeug in den Park geschickt. Auch Feuerwehr und Polizei rücken mit immer mehr Fahrzeugen an. Um eine weitere Belastung des regulären Rettungsdienstes zu vermeiden, baut der alarmierte Malteser-Hilfsdienst in Windeseile ein Zelt auf. Eine sogenannte Patientenversorgungseinheit soll Verletzte oder Betrunkene vor Ort versorgen, um im Idealfall eine Zuweisung ins Krankenhaus zu vermeiden. Wer Hilfe benötigt, bekommt sie vor Ort.

Laura Bieker glaubt nicht recht daran, dass um 22 Uhr Schluss sein wird mit der lauten Musik im Park. Auf Instagram postet sie den Appell: „Die Nacht bricht herein: Beachtet bitte die geltende Ruhezeit ab 22 Uhr!“ Es ist 19.15 Uhr, und inzwischen sind geschätzte 2500 Menschen im Park.

Polizistin Laura Bieker betreute am Himmelfahrtstag den Instagram-Account der Braunschweiger Polizei und postete die wichtigsten Neuigkeiten. 
Polizistin Laura Bieker betreute am Himmelfahrtstag den Instagram-Account der Braunschweiger Polizei und postete die wichtigsten Neuigkeiten.  © ANN CLAIRE RICHTER

Entgegen aller Befürchtungen aber bleibt es an diesem Vatertagsabend 2023 in Braunschweig erstaunlich ruhig. Um kurz nach 22 Uhr verkündet Einsatzleiter Dilling: „Der Prinzenpark ist fast leer. Wir haben aufgerufen, das Gelände zu verlassen und begleiten die Menschen hinaus.“ Nein, eine Räumung sei nicht nötig.

Die Bilanz der Rettungskräfte: bis Mitternacht haben sie 28 Patienten behandelt und drei davon ins Krankenhaus gebracht. Am Ende sucht der Rettungsdienst das Gelände mit einer Drohne nach hilflosen Personen ab und entdeckt tatsächlich einen Verletzten.

Die Bilanz der Polizei: nur zwei Gewaltdelikte, vier Körperverletzungen, ein Diebstahl und ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. In den Gewahrsam muss niemand. Dilling erfreut: „So haben wir es gerne.“