Braunlage. Im Harz herrscht akuter Spielermangel. Mit dem Nachbarn aus Hohegeiß bildet der SV Braunlage eine Spielgemeinschaft. Optimistisch ist man dennoch.
Eckart Kornhubers Augen glänzen wie die eines Kindes, wenn er von früher spricht. Als der SV Braunlage von 1921 vor vollen Rängen namhafte Gegner auf dem höchsten Fußballplatz Norddeutschlands begrüßen durfte.
So wie im August 1966, als Eintracht Braunschweig zu einem Test gegen den Rivalen aus Hannover antrat, erzählt Kornhuber, der selbst seit frühster Kindheit ein Blau-Gelber ist. 4000 Menschen feierten im Ski- und Sportstadion den Auftritt der Mannschaft, die nicht einmal ein Jahr später den bis heute größten Triumph der Vereinsgeschichte erringen sollte: Deutscher Fußball-Meister.
Heute pfeift es eisig durch das über 600 Meter hoch gelegene Stadionrund. Kalendarisch ist Frühling, gefühlt ist es irgendwas zwischen Herbst und Winter. Der Schnee, der vor zwei Wochen noch ergiebig den Harz eindeckte, ist erst seit wenigen Tagen weg. Oben am Wurmberg glänzt es noch weiß.
Am Eingang des Sportplatzes warnt ein Schild: „Tor klemmt durch Frost“. Auch den Fußballtoren fehlen noch Netze. „Die werden hängen, wenn wir mal wieder spielen“, sagt Kornhuber. Noch ruht der Ball im Oberharz.
Hohe Berge, schweres Geläuf
Die Sache mit dem Wetter – ein Dauerbrenner hier oben. Vereinsmitglied Karl-Heinz Beyer kann davon so einiges berichten. Wenn nicht er, wer denn sonst. „Mein Name ist Beyer, ich habe hier 56 Jahre Fußball gespielt“. So hatte sich der 72-Jährige vorgestellt.
Auch Vereinskamerad Dieter Kallmeyer kennt Wetterkapriolen nur allzu gut. Früher, so gibt er zu, hatte man zumindest mehr Planungssicherheit. „Der Winter war berechenbar. Er begann irgendwann im November und endete um Ostern.“ Heute habe man gefühlt sieben Winter. „Aber nie einen am Stück.“
Viele Wimpel und ein Autogramm von Blochin
Der Wandschmuck im Sportheim, das Anfang der 1990er Jahre aufwändig ausgebaut wurde, ziert noch von dieser „guten alten Zeit“: Mehr als ein Dutzend Wimpel hängen dort: 1. FC Köln, Rot-Weiss Essen, dazu natürlich der von der Eintracht. Sogar internationalen Fußball-Flair versprühte der Harzer Luftkurort einst. Dynamo Kiew trainierte und nächtigte hier im Maritim, weiß Kornhuber zu berichten. „Ich bin dann zum Platz hoch und habe mir ein Autogramm von Oleg Blochin geholt.“
Nicht nur Profis, sondern auch die Braunlager Amateure sind überzeugt, dass auch sie bei den Spielen von der Harzer Höhenluft profitierten. Glaubt man Sportkamerad Kallmeyer, war es demnach so: „Uns wurde nachgesagt, dass wir konditionell oft noch zulegen konnten und so manche Partie in der 2. Halbzeit gedreht haben“, doziert er. Man habe eben in der „Höhe trainiert“. Die habe so manchem „Flachländler“ zu schaffen gemacht, stichelt Kallmeyer. Die Anden, die Alpen, der Harz… Gelächter im Vereinsheim.
Heute wären sie im Luftkurort froh, wenn wenigstens mal wieder ein Spiel angepfiffen würde. Die Platzbegehung lässt an diesem Tag auch nichts Gutes erahnen. Der grüne Rasen ist tief und gibt bei jedem Schritt etwas nach. Der Platzwart habe ihn grade angerufen, sagt Kornhuber. Nicht mal Rasenmähen sei derzeit möglich. Die Verletzungsgefahr schätzt Kornhuber als hoch ein. Nach der Schneeschmelze sehe man erst, in welchem Zustand der Platz sei, sagt Kornhuber. Ob auch er jetzt an Rudis Assauers berühmtes Zitat denken muss?
Am Ende der Woche wird dann doch noch alles gut. Der Platz ist bespielbar, der Rückrundenauftakt Ende März gegen die Zweite von Vienenburg/Wiedelah gesichert.
Vereinsvorsitzender Kornhuber: Nicht reden, machen!
Seit ewigen Zeiten ist Kornhuber dem SV Braunlage verbunden, seit 2018 führt er die Geschicke des Vereins als Erster Vorsitzender. Nicht nur Fußball kann man hier spielen, auch Kinderturnen und Darts werden angeboten. Und Tischtennis. Dieser Leidenschaft folgt Kornhuber selbst. Noch 152 Mitglieder hat der Verein, nur 21 kamen zur letzten Jahreshauptversammlung. Enttäuschend sei das gewesen. „Aber allein mit Reden wird man nichts ändern, nur mit Machen“, gibt er sich kämpferisch.
Auf dem höchsten Fußballplatz Niedersachsens
Einen Aderlass an Mitgliedern habe es gegeben, räumt Kornhuber ein. So wie in vielen Orten des Harzes. Die Stadt Braunlage habe in den letzten 30 Jahren etwa 30 Prozent der Bevölkerung verloren. Doch Not macht im Harz erfinderisch. Zusammen mit dem Nachbarn aus Hohegeiß („Da ging es früher bei den Derbys ganz schön zur Sache“) bildet man jetzt eine Spielgemeinschaft in der 3. Kreisklasse Nordharz. Fusioniert seien die Vereine aber keineswegs, betonen beide. Rivalen bleiben eben Rivalen.
Nachwuchssorgen drücken auf die Stimmung
Sportlich rund läuft es nicht, ist aber auch zweitrangig. Das Motto lautet vielmehr: Dabeisein ist alles. „Zusammengewürfelt“ sei die Truppe, brauche noch Zeit, sich zu finden, sagen sie im Braunlager Vereinsheim. Die Bilanz vor der Rückrunde: 2 Punkte, 7:39 Tore, Tabellenschlusslicht. Das Gute daher: Es ist noch viel Luft nach oben.
Auch drücken den Verein große Nachwuchssorgen. Der Unterbau ist – freundlich formuliert – löchrig. Man hoffe bald in den Altersklassen von 5 bis 10 Jahren erste Mannschaften melden zu können. Aber noch messen sich hier Kinder mit Jugendlichen, fast schon Erwachsenen. Das kann Florian Hinz bestätigen. Sohn Colin ist sechs. Zuletzt musste dieser mit einem 17-Jährigen trainieren. Papa Hinz engagiert sich, macht den erweiterten Trainerschein, um in die Vereinsarbeit einzusteigen. „Wir brauchen das Engagement der Eltern. Ohne sie wird es nicht gehen“, weiß auch Kornhuber.
Hohegeiß fördert den Frauenfußball im Harz
Beim Hohegeißer SV, ebenso von 1921, ist die Entwicklung eine Ähnliche. Hier will man nun verstärkt auf Frauenfußball setzen. „Das Team, das wir angemeldet haben, spielt aber nur auf dem Kleinfeld. Fünf gegen fünf“, sagt Trainer Daniel Simon. Für die Besetzung einer Mannschaft auf dem Großfeld reiche es noch nicht. Die Altersspanne des Teams ist dabei ungewöhnlich. Sie liegt zwischen 18 und 56 Jahren.
Die Fehler der Vergangenheit hat Kornhuber analysiert. Es seien die falschen Schwerpunkte gesetzt worden. Ausschließlich auf eine konkurrenzfähige Herren-Mannschaft zu setzen, wäre so ein Fehler gewesen. Man habe sich selbst zu wichtig genommen, lautet das Fazit des früheren Bankangestellten. Daraus habe man gelernt. „Die Zukunft des Vereins sind nicht wir, sondern ist die Jugend.“
Hoffen auf die Eintracht und mehr Mitglieder
Die aktuellen Mitgliedzahlen machten Mut, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. „Wir haben bisher im Jahr 2023 schon mehr Anmeldungen als im gesamten Jahr 2022“, bilanziert Kornhuber. Zahlen, wichtiger als jedes Fußball-Ergebnis. Und wenn jetzt noch die Eintracht mal wieder den Weg nach Braunlage finden würde… „Hier gibt es viele, die so denken wie ich“, sagt Kornhuber. Der Glanz in seinen Augen ist schlagartig zurück.