Wolfsburg. Osterloh kritisiert die Führungskultur bei VW: „So kommen wir nicht voran.“

VW wird vermutlich noch deutlich über 2026 hinaus Verbrennungsmotoren entwickeln. Das deutete Betriebsratschef Bernd Osterloh in der Betriebsratszeitung „Mitbestimmen“ an. Er widersprach damit dem VW-Chefstrategen Michael Jost, der Anfang des Monats gesagt hatte, dass 2026 der letzte Produktionsstart eines Verbrenners erfolge.

„Ob ein solches Enddatum für einen Schlüsselbereich der deutschen Industrie 2026 kommt oder ob das eher 2030 oder 2035 ist, das muss sich erst noch zeigen“, sagte Osterloh. Zumal noch viele Fragen, die auch den Ausbau der Elektro-Mobilität betreffen, nicht beantwortet seien, etwa zur Ladeinfrastruktur, zur Rohstoffverfügbarkeit zu den Rohstoffpreisen sowie zum Strommix. Vor diesem Hintergrund hatte Osterloh in einem Interview mit unserer Zeitung die Politik bereits aufgefordert, Vertreter aus Politik, Automobil- und Energiewirtschaft zusammenzubringen, um über diesen Weg den Ausbau der E-Mobilität und der erforderlichen Infrastruktur zu beschleunigen.

Nach Angaben Osterlohs arbeiten VW-Ingenieure „an schon heute vielversprechenden Ansätzen, synthetische Kraftstoffe auf Biomassebasis weiterzuentwickeln, deren Öko-Bilanz hervorragend ist. Es steht also auch an dieser Stelle noch gar nicht fest, ob der Verbrennungsmotor nicht noch auf diesem Weg ein viel längeres Leben haben wird.“ Ohnehin sei ein zentraler Faktor für das Ende des Verbrennermotors die Kundennachfrage. Die finale Entscheidung über das Aus des Verbrennungsmotors treffe der Aufsichtsrat, in dem der Betriebsrat vertreten ist.

Wie der Betriebsratschef weiter ausführte, ist die Strategie der Autobranche, auf E-Mobilität umzustellen, quasi zum Erfolg verdammt. Auf die Frage, was geschehe, wenn die Strategie nicht aufgehe, antwortete Osterloh: „Ganz ehrlich: Dann werden alle Automobilhersteller in Europa ein massives Problem haben.“ Die von der EU geplanten schärferen CO2-Grenzwerte bis 2030 könnten nur mit „einem deutlichen Anteil“ an E-Fahrzeugen erreicht werden. „Und politisch gefordert wird sogar noch mehr als diese 30 Prozent, übrigens auch aus den Reihen unserer Bundesregierung. Das Thema muss also fliegen“, sagte er.

Osterloh bestätigte, dass der Umstieg auf die E-Mobilität Arbeitsplätze kostet. Der Stellenabbau müsse allerdings sozialverträglich erfolgen. „Alles andere wäre eine Katastrophe“, sagte er.

Erforderlich werde der Arbeitsplatzabbau, weil die E-Autos technisch weniger aufwendig und leichter zu fertigen seien. „Es gibt in der Tat Berechnungen, wonach sich die verbrauchte Zeit pro Fahrzeug fast halbieren könnte. Hinzu kommt die Herausforderung für unsere Komponente, weil dort die Zahl der klassischen Verbrennungsmotoren und Getriebe sinkt“, sagte er. Gesteuert werde der Personalabbau entlang der demografischen Entwicklung. Osterloh: „Dabei hilft es uns, dass die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge aus den 1960er Jahren jetzt nach und nach für die Altersteilzeit infrage kommen.“

VW-Personalvorstand Gunnar Kilian, bis zu seiner Berufung in den Konzernvorstand Generalsekretär des Betriebsrats, sagte im selben Interview: „Uns kann die anstehende Transformation nur mit exzellenter Personalarbeit gelingen. Bei der Transformation müssen wir die Personalbestände an unseren Standorten über die geburtenstarken Jahrgänge so anpassen, dass die Beschäftigung bei Volkswagen langfristig sicher ist.“ Der Stellenabbau betreffe auch die Verwaltung, den sogenannten indirekten Bereich. Kilian: „Wir werden uns vor allem in den indirekten Bereichen genau anschauen, wo wir zusätzliche Effizienzen durch den Einsatz moderner Software heben können. Das heißt, dass auch in den indirekten Bereichen Beschäftigte über die demographische Kurve ausscheiden werden. Und wir werden diese Arbeitsplätze nicht wiederbesetzen.“ Parallel dazu müssten die Beschäftigten für die neuen Aufgaben qualifiziert werden. Daher gewinne das Thema an Bedeutung.

Mit Blick auf den Kulturwandel, den sich der Autobauer als Folge des Abgas-Betrugs selbst verordnet hat, sagte Betriebsratschef Osterloh, dass die Unternehmenskultur noch nie schlecht gewesen sei. „Wir haben vielmehr ein Problem mit unserer Führungskultur“, betonte er. Die habe sich noch immer nicht ausreichend verändert. „Ich höre regelmäßig Klagen von Kolleginnen und Kollegen – übrigens auch aus dem Oberen Managementkreis und aufwärts – wonach nicht Fakten und das beste Argument zählen, sondern Egoismus und kein ganzheitlicher Ansatz über die einzelnen Vorstandsbereiche hinaus. So werden wir aber nicht vorankommen, schon gar nicht mit Blick auf die Herausforderungen in unserer Industrie.“

Personalvorstand Kilian ergänzte: „Das Kulturthema bleibt für mich gerade auch in meiner neuen Rolle zentral. Dabei sind für mich die Punkte, die die Dieselaffäre aufgeworfen hat, der eine Teil der Kulturfrage.“ Mindestens ebenso wichtig sei, dass sich erfolgreiche Unternehmen wie Apple, Google und Netflix stark über ihre Unternehmenskultur definierten. „Sie haben erkannt, dass das für ihr Geschäftsmodell von grundlegender Bedeutung ist. Wir haben also gleich einen doppelten Ansporn, das Kulturthema voranzutreiben“, sagte Kilian.