Berlin. Ärzte fordern es schon lange: Nun will Landwirtschaftsminister Özdemir Reklame für ungesunde Kindernahrung per Gesetz beschränken.

Lustige Bärchen auf der Verpackung für übersüße Snacks oder fröhliche Kinder in Internet: Werbespots für fettige Zwischenmahlzeiten gehören nach Willen der Ampel-Koalition nicht mehr lange zum Alltag von Kindern. Durchschnittlich 15 Mal am Tag werden die Jüngsten mit Reklamebotschaften bearbeitet. Schon lange fordern Ärzte ein Verbot des auf diese Zielgruppe ausgerichtete Marketings. Nun erhört die Bundesregierung den Ruf und will die Kinderwerbung beschränken. „Mit unseren Regelungen werden wir Kinder besser schützen und Eltern entlasten“, verspricht Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne).

Lebensmittel mit zu viel Fett, Zucker oder Salz dürfen nach Özdemirs Willen künftig nicht mehr uneingeschränkt beworben werden. Als Maßstab für ungesunde Produkte zieht der Minister das Nährwertprofil der Weltgesundheitsorganisation (WHO) heran. Entspricht ein Nahrungsmittel nicht den WHO-Vorgaben für eine gesunde Ernährung, darf die Werbung dafür keine Kinder mehr direkt ansprechen. Das Verbot soll zwischen sechs Uhr und 23 Uhr in allen Medien gelten, die unter 14-jährige üblicherweise nutzen. Dazu gehören neben TV und Printmedien auch die sozialen Netzwerke. Nicht mehr erlaubt wird zum Beispiel auch entsprechende Plakatwerbung im Umkreis von 100 Meter um Schulen, Spielplätzen oder Kitas herum. Auch diesbezügliche Beiträge von Influencern im Internet soll die Einschränkung erreichen.

Werbeverbote: Özdemir droht Widerstand aus der FDP

Das von Özdemir nun erarbeitete Gesetz sieht kein generelles Werbeverbot für Produkte mit zu hohem Salz-, Fett- oder Zuckergehalt vor. „Auch für Chips oder Schokolade darf weiter geworben werden“, sagt der Minister. Die Ansprache der Reklame darf sich allerdings nur an Erwachsene richten. Ein Verbot ungesunder Lebensmittel ist nicht vorgesehen. Jeder und jede dürfe weiterhin alles essen, betont Özdemir.

Schnell wird die Neuregelung allerdings nicht wirken. Zunächst gibt es noch Unschärfen in der Abgrenzung zwischen erlaubter und nicht erlaubter Werbung. Dabei geht es etwa um die Reklamespots, die im Verlauf von Liveübertragungen großer Sportereignisse gezeigt werden. Auch muss Özdemir das Regelwerk erst einmal innerhalb der Regierung abstimmen. Zwar sind die Einschränkungen mit SPD und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart worden, doch die Liberalen kündigten bereits am Montag Widerstand an. „Junge Menschen bis zum 14. Lebensjahr vollumfänglich von Werbung abzuschirmen und sie dann in die Realität zu entlassen, wird das Gegenteil des Erwünschten bewirken“, sagte Carina Konrad, Vizevorsitzende der FDP-Fraktion, unserer Redaktion. Die vorgestellten Eckpunkte trügen nicht dazu bei, „dass Kinder und Jugendliche zu aufgeklärten und mündigen Konsumenten werden“. Zudem seien die WHO-Grenzwerte „in der Praxis nicht umsetzbar“, so Konrad. Sie stünden daher „aus gutem Grund“ nicht im Koalitionsvertrag.

Aus für Kinderwerbung: Die Branche fürchtet Umsatzeinbußen

Anschließend muss das Gesetz noch vom Bundestag beschlossen werden. Auf dem Weg dahin erwartet Özdemir noch einige Widerstände, vor allem aus der Werbewirtschaft. Die Branche befürchtet Umsatzeinbußen, wenn die Kinderwerbung beschränkt wird. Die Argumente der Wirtschaft überzeugen Özdemir nicht. Vor allem die Aussage, die Werbung würde nichts bewirken, findet er lächerlich. „Wenn Werbung keinen Effekt hat, warum werden dann Millionen dafür ausgegeben“, fragt der Minister. Wenn das Gesetz dann im Jahresverlauf beschlossen werden sollte tritt noch eine zweijährige Übergangsregelung in Kraft. Erst danach wäre endgültig Schluss mit dieser Art des Marketings.

Durch die Vielzahl der Wege, auf denen die Werbewirtschaft Kinder erreicht, dürfte der Kontrollaufwand bei den Beschränkungen erheblich sein. Diese Aufgabe will Özdemir den Marktbeobachtern der Länder übertragen, die beispielsweise auch für die Lebensmittelüberwachung zuständig sind.

Die Hersteller der Nahrungsmittel wollten sich bei der Kinderwerbung eigentlich zurückhalten. Das hat nicht funktioniert. „Die bisherigen freiwilligen Selbstverpflichtungen haben in der Praxis versagt“, stellt Özdemir fest. Ausnahmen gibt es. So verzichtet der Discounter Lidl ab dem 1. März auf auf Werbung, die Kindern ungesunde Joghurts, Cerealien oder Snacks schmackhaft macht. Nur bei Sonderaktionen, etwa zu Ostern oder Weihnachten, gilt dies noch nicht. Kinderwerbung gibt es bei der Lebensmittelkette nur noch für Produkte, die den Gesundheitsanforderungen der WHO entsprechen. Damit wird Lidl zum Vorreiter unter den Handelsketten.

Übergewicht: 15 Prozent der Kinder tragen zu viele Pfunde mit sich herum

Hintergrund der nun geplanten Verschärfungen sind die gesundheitlichen Folgen einer ungesunden Ernährung in jungen Jahren. Kinder könnten die Folgen nicht abschätzen, sagt Özdemir. Eine der Folgen ist Übergewicht. Derzeit tragen schon 15 Prozent der Kinder zu viele Pfunde mit sich herum. Sechs Prozent gelten als adipös, also stark übergewichtig. „Gerade in der Corona-Zeit sind Kinder immer dicker geworden“, sagt der Minister. Zu wenig Bewegung und zu viele ungesunde Lebensmittel haben ihre Spuren hinterlassen. Die Kinder zwischen drei und 17 Jahren verzehren doppelt so viele Süßwaren und Snacks aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie von Experten empfohlen.

Das Werbeverbot soll diese Entwicklung bekämpfen. Denn mit jedem Pfund zu viel steigt die Gefahr schwerer späterer Erkrankungen. Diabetes oder auch Herz-Kreislauf-Krankheiten haben unter anderem in einer Fehlernährung ihre Ursache. Auf lange Sicht schadet dies nicht nur den Betroffenen selbst. Auch gesellschaftlich entsteht in Form von hohen Krankheitskosten ein großer Schaden. Laut Landwirtschaftsministerium entstehen als Folge von Übergewicht jährliche Gesundheitskosten von 63 Milliarden Euro.