Neu-Delhi. Die Macht des Westens nimmt ab. Darauf müssen wir reagieren. Mit neuen Partnerschaften – die nicht immer leicht sein werden.

Die Gewichte in der Welt verschieben sich. Mitte dieses Jahrhunderts wird die globale Machtbalance grundlegend anders aussehen als jetzt. Die politische und wirtschaftliche Dominanz des Westens bröckelt schon lange. Ein Beispiel: Deutschland rutscht in dem Ranking der größten Volkswirtschaften der Welt ab. Innerhalb der nächsten fünf Jahre dürfte Indien Deutschland und Japan überholen und die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt sein. Der Aufstieg des Landes zum bevölkerungsreichsten Staat der Erde ist schon deutlich früher zu erwarten.

Zudem erleben wir den Aufstieg Chinas zur autoritären Supermacht. Der expansive Drang des Landes ruft zunehmend Spannungen mit den USA hervor. Das mit Ausnahme Japans von Ländern aus Europa und Nordamerika besetzte Format der G7 verliert im Zuge dieser Entwicklungen immer stärker an Bedeutung.

Die Runde der G20, zu der neben den Mächten des vergangenen Jahrhunderts etwa auch Indien und China, Indonesien, Südafrika oder Brasilien gehören, ist schon jetzt der maßgebliche Kreis, um im Konflikt mit Russland nach Putins Angriff auf die Ukraine eine wirksame internationale Abstimmung herbeizuführen.

Jan Dörner, Politik-Korrespondent
Jan Dörner, Politik-Korrespondent © Privat | Privat

Kanzler Scholz sucht den Austausch mit demokratischen Staaten anderer Kontinente

Deutschland muss sich jetzt überlegen, wie es sich angesichts dieser tektonischen Verschiebungen aufstellt. Für die Zukunft gilt noch mehr als jetzt schon, dass die Europäer ihre Interessen aussichtsreich nur gemeinsam vertreten werden – politisch und wirtschaftlich. Als Partner für neue Freihandelsabkommen ist der alte Kontinent nur als einheitlicher Block mit 450 Millionen Einwohnern interessant.

Wollen die Europäer mit anderen Staaten Fragen von Migration, Energieversorgung oder politischer Stabilität verhandeln und dabei ihre Bedürfnisse und Standards geltend machen, geht das nur zusammen.

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Es kommt aber auch darauf an, bestehende Beziehungen zu stärken und neue Partnerschaften aufzubauen, um unseren Wohlstand zu sichern. Wer einen Blick auf das Reiseprogramm von Olaf Scholz wirft, erkennt ein klares Muster. Der Bundeskanzler sucht den Austausch mit demokratischen Staaten auf anderen Kontinenten. Zuletzt besuchte Scholz Argentinien, Chile und Brasilien, am Wochenende ist er in Indien zu Gast gewesen. Er zieht damit die richtige Lehre aus der Abhängigkeit von russischer Energie, in die sich Deutschland in der Vergangenheit begeben hatte, sowie aus den zunehmenden Spannungen im Verhältnis zu China.

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Indien kann dem alternden Deutschland mit Fachkräften helfen

Bundeskanzler OIaf Scholz und Indiens Premierminister Narendra Modi.
Bundeskanzler OIaf Scholz und Indiens Premierminister Narendra Modi. © AFP PHOTO /Indian Press Information Bureau (PIB)

Dahinter steht die Suche nach neuen Lieferanten wichtiger Rohstoffe für die grüne Industrie der Zukunft, nach neuen Absatzmärkten für deutsche Technik und Knowhow made in Germany. Abgesichert sollen diese Verbindungen durch ein Gerüst grundsätzlich geteilter Werte sein. Denn wenn es zwischen Demokratien kriselt, setzen sie in der Regel auf Gespräche und Verhandlungen – und nicht auf Konfrontation, Konflikt oder gar Krieg.

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Das riesige Reservoir immer besser ausgebildeter Fachkräfte aus Indien kann dem alternden Deutschland außerdem helfen, den hierzulande massiv anwachsenden Mangel an Spezialisten zu mildern. Allerdings machen Indiens uneindeutige Haltung zum russischen Krieg gegen die Ukraine, autoritäre Entwicklungen innerhalb des Landes unter Premierminister Narendra Modi oder mangelnder Ehrgeiz beim Klimaschutz deutlich, dass auch solche Partnerschaften schwierig sein können.

Deutschland kann es sich angesichts der großen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte allerdings nicht mehr leisten, schwierige Partner genervt links liegen zu lassen.