Berlin. Weltweit hungern 828 Millionen Menschen – also jeder Zehnte. Wichtige Vorschläge, wie die Ernährung künftig gesichert werden kann.

Hitzewellen, Stürme, Dürren oder Starkregen. Die Klimaveränderungen werden für Bauern auf der ganzen Welt zu einer immer größeren Herausforderung. Wassermangel und Trockenheit führen zu Missernten. Einst fruchtbare Regionen veröden. Corona und der Ukraine-Krieg haben zudem Lieferketten unterbrochen.

Zeitgleich ist die Weltbevölkerung auf mehr als 8 Milliarden Menschen angewachsen. Jeder Zehnte – 828 Millionen Männer, Frauen und Kinder – leidet an Hunger. Viele sterben, weil sie nicht genügend zu Essen und Trinken bekommen. Die Ernährungssituation auf der Erde ist ein existenzielles Problem – und verlangt nach einer strukturellen Lösung.

Wie schaffen wir krisenfeste und klimafreundliche Ernährungssysteme in Zeiten multipler Krisen? Eine Antwort darauf suchen beim 15. Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) derzeit Experten aus Politik, Wissenschaft und internationalen Organisationen in Berlin. Rund 80 Agrarminister und -ministerinnen wollen dazu ein gemeinsames Kommuniqué mit mehr als 30 Handlungsschritten unter Federführung von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) vereinbaren.

Hunger: Nahrungsmittel müssen verfügbar, erschwinglich und sicher sein

Die GFFA gilt als „das“ große informelle Treffen für globale Ernährungssicherheit und Landwirtschaft – wie es Davos für die Weltwirtschaft ist. Nicht mit am Tisch sitzt in diesem Jahr Russland.

Die Zeit drängt. Mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung hat sich die Weltgemeinschaft der Vereinten Nationen (UN) im Sinne aller Menschen die Beendigung des globalen Hungers zum Ziel gesetzt. Bis 2030 bleiben damit nur noch acht Erntejahre.

Millionen Menschen leiden auf der Welt an Hunger und Unterernährung - auch Kinder in Afrika.
Millionen Menschen leiden auf der Welt an Hunger und Unterernährung - auch Kinder in Afrika. © AFP | TONY KARUMBA

Und die Umstände sind komplex wie nie. „Ukraine-Krieg, Klimakrise, Artensterben, steigende Hungersnöte in der Welt. Noch nie mussten so viele sich überlagernde Krisen gleichzeitig gelöst werden, um das Recht auf Nahrung zu verwirklichen“, beschreibt Özdemir die Lage. „Der Welt droht die größte Nahrungsmittelkrise seit dem Zweiten Weltkrieg.“ Und vom Ziel, den Hunger zu bekämpfen, „sind wir gerade noch sehr weit entfernt. Wir brauchen dringend tragfähige, praxistaugliche Lösungen“.

Umso wichtiger sei es, dass alle Länder weltweit gemeinsam handeln, um das Recht auf Nahrung dauerhaft zu gewähren. Dabei muss sichergestellt werden, dass überall Nahrungsmittel verfügbar, zugänglich, erschwinglich, sicher und nahrhaft sind – auch in Krisenzeiten.

Hunger: Ernteausfälle sind in Ländern des globalen Südens existenzbedrohend

Betroffen vom Hunger sind vor allem Menschen in den Ländern des globalen Südens, doch auch in Europa sind Ernteausfälle an der Tagesordnung. Während Industrieländer fehlende Nahrungsmittel in der Regel durch Importe ausgleichen und finanzieren können, geht es den Bewohnern von Entwicklungsländern schnell an die Existenz. Viele können sich steigende Preise für Lebensmittel nicht leisten.

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Oberstes Ziel ist deshalb ein nachhaltiger Wandel der Ernährungssysteme. Die Landwirtschaft übernimmt dabei eine Schlüsselfunktion zu nachhaltiger Lebensmittelerzeugung. Özdemir wünscht sich deshalb von seinen Amtskollegen ein „klares Bekenntnis zu einer Landwirtschaft mit mehr Klimaschutz, Klimaanpassung, Entwaldungsstopp, mit Erhalt der Biodiversität, einer effizienteren Nutzung von Pflanzenschutzmitteln und Dünger. Eine Landwirtschaft, die den Planeten gesund erhält“.

Menschen sollen sich auch im globalen Süden selbst ernähren können, anstatt von akuten Lebensmittelnothilfen abhängig zu sein. Schon heute ernähre die kleinbäuerliche Landwirtschaft die Hälfte der Menschheit. Der Wissenstransfer sei deshalb besonders wichtig. Klimaangepasste Pflanzen und Gewächse, die Wasser nachhaltig nutzen, müssten entwickelt werden. Hilfsgelder sollen in konkrete Projekte umgeleitet werden, um die Landwirtschaft vor Ort resilienter zu machen.

Recht auf Ernährung: Gute Nahrung ist ein Menschenrecht

In Äthiopien engagiert sich Deutschland beispielsweise, um Saatgut zu verbessern und die Produktivität zu steigern. In Südafrika werden klimaresistente Anbaumethoden erprobt. In Burkina Faso werden wieder traditionelle Hirsesorten angebaut, die der Dürre standhalten und keinen chemischen Dünger brauchen. „Wir wollen im Dialog auf Augenhöhe die globale Ernährung langfristig und nachhaltig sichern“, so Özdemir. Wichtig sei dabei auch die Einbindung von Frauen: „Ohne gleichberechtigte Teilhabe von Frauen wird es keine nachhaltige Entwicklung geben. Dazu gehört der Zugang zu Geld, Verhütung, Macht und Wissen.“

Hintergrund: Entwicklungsministerin – Kampf gegen Hungerkrise ausweiten

Weltweit müsste auch mit Lebensmitteln achtsamer umgegangen werden. Wenn die Lebensmittelabfälle um die Hälfte zu reduzieren würden, könnten davon alle Menschen mehr als satt werden, hat eine Studie der UN-Welternährungsorganisation FAO ergeben. Die Lebensmittelproduktion muss also nicht erhöht, sondern Abfälle vermieden werden. Darüber hinaus müsse es freien Zugang zu Saatgut geben, Düngemittel müssen verfügbar sein. Schon heute gebe es genügend Lebensmittel auf der Welt, um den Hunger zu bekämpfen, so Özdemir: „Es handelt sich hierbei vor allem um eine Verteilungsfrage.“

Die Hilfsorganisation Brot für die Welt hofft, dass die Ministerinnen und Minister konkrete Maßnahmen vereinbaren und diese auch umsetzen. „Wir müssen die ärmeren Länder dazu befähigen, nachhaltig mehr gesunde Lebensmittel zu produzieren, damit sie unabhängiger von steigenden Preisen auf den Weltmärkten oder von Importprodukten werden“, sagt die Präsidentin von Brot für die Welt, Dagmar Pruin: „Gute Nahrung ist ein Menschenrecht.“