Berlin/Washington. Der US-Präsident steht nach dem Fund von geheimen Unterlagen in Privaträumen unter Druck. Ein Sonderermittler soll den Fall klären.

Im Privathaus von US-Präsident Joe Biden in Wilmington im Bundesstaat Delaware sind weitere Verschlusssachen gefunden worden. Bidens Berater Richard Sauber teilte am Samstag mit, er habe in einem Raum neben der dortigen Garage am Donnerstagabend weitere fünf Seiten eingestufter Regierungsunterlagen gefunden, nachdem dort am Mittwoch eine erste Seite entdeckt worden war. Es handelt sich nach offiziellen Angaben um Unterlagen aus Bidens Zeit als US-Vizepräsident.

Für US-Präsident Joe Biden sind schwierige Zeiten angebrochen: So hatten Republikaner, nachdem sie bei den Kongresswahlen die Mehrheit im Repräsentantenhaus erobert hatten, breit angelegte Ermittlungen gegen den Präsidenten sowie seinen Sohn Hunter angekündigt. Nun hat ausgerechnet Bidens eigener Justizminister Öl ins Feuer gegossen und einen Sonderermittler eingesetzt, um zu prüfen, ob der Präsident – damals ein Privatbürger – im Umgang mit geheimen Dokumenten sich womöglich strafbar gemacht hat.

In weniger als 72 Stunden kam Biden wie vom Regen in die Traufe. Am Dienstag war bekannt geworden, dass seine privaten Anwälte zehn vertrauliche Dokumente in einem Büro gefunden hatten, das Biden nach seiner Vizepräsidentschaft – von 2017 bis 2019 – in seiner Funktion als Honorarprofessor für die University of Pennsylvania benutzt hatte. Am Donnerstagnachmittag dann die nächste Sensation: In der Garage seines Privathauses in Wilmington, Delaware hatten die Rechtsberater weiter Unterlagen aufgespürt.

Joe Biden: Sonderermittler soll Unterlagen-Affäre untersuchen

Postwendend reagierte Justizminister Merrick Garland. Garland, der zwar vom Präsidenten ernannt wurde, aber streng genommen als "Generalbundesstaatsanwalt" eine unabhängige Behörde leitet, ernannte einen Sonderermittler. Er sprach von "außerordentlichen Umständen", die ihn gezwungen hätten, den Fall einem Ermittler zu überlassen. Dieser, der Republikaner Robert Hur, werde der Frage nachgehen, "ob irgendeine Person oder Institution gegen das Gesetz verstoßen hat". so der Minister. Zwar äußerte sich Garland zuversichtlich, dass Hur "in einer unparteiischen und dringenden Form" vorgehen werde. Das könnte sich für Biden aber als schwacher Trost erweisen, denn Hur war unter keinem geringeren als seinem Vorgänger und politischen Erzfeind Donald Trump ein ranghoher Beamter in demselben Ministerium.

Prompt legten die Republikaner nach, die im Repräsentantenhaus nun sämtliche Ausschüsse kontrollieren. Dem Abgeordneten James Comer, der das Aufsichtskomitee leitet, war die Genugtuung anzumerken, als er die weitere Marschroute skizzierte: Die Ernennung eines Sonderermittlers werde seinen Ausschuss auf keinen Fall daran hindern, trotzdem "wegen der Misshandlung vertraulicher Dokumente Ermittlungen gegen den Präsidenten einzuleiten".

Es gebe jede Menge Fragen dazu, "warum das Weiße Haus diese Angelegenheit geheim gehalten hat, wer Zugang zu dem Büro und der Privatresidenz hatte, und was in den Unterlagen enthalten ist", sagte Comer. Zuvor hatten Republikaner angekündigt, unabhängig davon gegen den Präsidenten wegen des chaotischen Abzugs aus Afghanistan und gegen seinen Sohn wegen dessen gut dotierten Jobs bei dem ukrainischen Energiekonzern Burisma ermitteln zu wollen.

Lesen Sie den Kommentar: Der Fund von Geheimdokumenten ist eine Blamage für Biden

Fund von Geheimdokumenten: Politische Schicksalswende für Biden

Bidens politisches Schicksalswende hat sich jedenfalls mit einem atemberaubenden Tempo vollzogen. Nach dem überraschend guten Abschneiden bei den Wahlen, wo Demokraten ihre Mehrheit im Senat verteidigen konnten, schien auch seine Präsidentschaft wieder im Aufwind zu sein. Zudem stellte der aus 15 Abstimmungen bestehende Marathon um die Wahl des Mehrheitschefs Kevin McCarthy die Republikaner als gespaltene und radikalisierte Partei bloß. Nun aber hat sich binnen weniger Tage das Blatt komplett gewendet.

Bidens ohnehin begrenzte Handlungsfähigkeit – denn in einem gespaltenen Kongress werden fast nie Gesetze verabschiedet – wird weiter eingeengt sein. Die von den Republikanern angekündigten Ermittlungen und die damit verbundenen Anhörungen könnte die gesamte legislative Agenda verdrängen. Auch denkt die Opposition schon laut darüber nach, gegen Biden ein Impeachment (Amtsenthebungs-)-Verfahren einzuleiten. Dazu wäre lediglich eine einfache Mehrheit von 218 Stimmen in einer Kammer notwendig, in der die Republikaner 222 Sitze haben.

Selbst wenn der Präsident die Krise überstehen sollte, stellt sich die Frage, ob er sich 2024 tatsächlich um eine zweite Amtsperiode bewerben wird. Schon bevor der Skandal um die geheimen Dokumente aufflog, hatten viele Demokraten sich nämlich geweigert, zu sagen, ob sie eine weitere Biden-Kandidatur unterstützen würden. Deren Zahl dürfte nun ebenso steigen wie die Zahl der anderen Demokraten, die ihren Hut in den Ring werfen und sich um die Präsidentschaft bewerben könnten.

Biden: Vergleich mit Funden bei Trump hinkt

Unterdessen wäscht der Präsident seine Hände in Unschuld. Der Vergleich zu Trump, auf dessen Wohnsitz Mar-a-Lago im vergangenen August eine Razzia durchgeführt wurde, sei hinkend, sagt das Weiße Haus. So habe es sich bei Trump um mehr als 600 vertrauliche Dokumente gehandelt, von denen mehr als sechzig als "streng geheim" klassifiziert waren. Bei Biden aber nur um ein gutes Dutzend, von denen die Hälfte mit dem Stempel "streng geheim" versehen waren.

Weitere Unterlagen stellte Trump erst nach einer gerichtlichen Vorladung und einem juristischen Tauziehen zur Verfügung, das sich über mehrere Monate erstreckte. Folglich wird gegen ihn nicht nur wegen des Misshandlung offizieller Dokumente ermittelt, sondern auch wegen Behinderung des Justiz. Bidens Juristen hingegen hätten nach den Dokumentenfunden diese sofort an das zuständige Nationalarchiv übergeben, betonte das Weiße Haus. "Wie Sie wissen, nehme ich vertrauliche Dokumente sehr ernst", betonte der Präsident am Donnerstagabend. Das aber wird nicht annähernd ausreichen, um den Skandal abzuschütteln.