Berlin. Die Bundesregierung will neue Gesetze im Kampf gegen Extremisten erlassen. Doch nicht alle Pläne stoßen auf Lob in der Koalition.

Es ist 2016, als ein Polizist bei einem Einsatz in Bayern stirbt – erschossen durch einen sogenannten Reichsbürger. Es ist der Moment, der in den Sicherheitsbehörden den Wendepunkt markiert: Das Bundesamt und andere Landesämter des Verfassungsschutzes beobachten die Reichsbürger-Szene seitdem, die Polizei geht gegen Vereine des Milieus vor und der Zugang zu Waffen wurde verschärft.

Doch nun – mehr als sechs Jahre nach dem Polizistenmord – ist klar: Die Corona-Pandemie hat die Reichsbürger-Szene radikalisiert, die Zahl der Waffen in den Gruppierungen ist hoch. Der Verfassungsschutz zählt inzwischen 23.000 sogenannte Reichsbürger, 2000 mehr als vor einem Jahr. 239 Gewalttaten registrierten die Behörden. Teile der Szene wollen Gewalt gegen den Staat anwenden, der Tatvorwurf gegen eine Gruppe um den Adligen Heinrich XIII. Prinz Reuß lautet: Terrorismus.

Im Kampf gegen Extremisten sucht die Politik nach Wegen, um der Radikalisierung in Teilen der Gesellschaft Herr zu werden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nimmt nun einen neuen Anlauf: Sie will im Kampf gegen Extremisten das Waffenrecht verschärfen und auch das Disziplinarrecht reformieren. Zugleich gibt die Regierung Millionen für die Prävention und setzt auch darauf, dass die Kontrolle in den Behörden besser funktioniert. Was sind die Pläne der Regierung – und woran könnten sie trotzdem scheitern?

Kommentar zum Thema: Kampf gegen Reichsbürger – Nicht nur Gesetze verschärfen

Schärferes Waffenrecht: Fokus auf psychische Erkrankungen

Mehr als 93 Waffen beschlagnahmte die Polizei bislang bei den Razzien gegen das Reichsbürger-Netzwerk um Heinrich XIII., darunter auch Schusswaffen. Die Waffendichte in diesem Milieu ist hoch, Teile der Reichsbürger sind in Schützenvereinen organisiert, so auch Heinrich XIII. bis zuletzt. Sie haben legal Zugang zu Waffen. Ende 2021 hatte der Verfassungsschutz Kenntnis von 1561 Rechtsextremisten, die Waffen besitzen dürfen. Davon: rund 550 Reichsbürger. Faeser hält fest, dass mehr als 1000 Reichsbürgern die Waffenerlaubnis entzogen worden sei – und doch bleibt die Zahl der Waffenbesitze in der Szene konstant.

Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat.
Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat. © dpa | Kay Nietfeld

Mehrfach wurde das Waffenrecht bereits verschärft. Ein Vorstoß der letzten Großen Koalition nach dem Attentat von Hanau im Jahr 2020 scheiterte allerdings – laut einem Medienbericht am Widerstand der Schützenlobby. Nun will Faeser den Austausch von Polizei und Landratsämtern, oft zuständig für die Waffenerlaubnis, verbessern. Kommunale Behörden sollen sich etwa beim Umzug eines Extremisten in einen anderen Ort vernetzen. Auch die Gesundheitsbehörden sollen nach Informationen unserer Redaktion stärker Einfluss nehmen können, wenn sie Kenntnisse darüber haben, dass ein Mensch im Waffenbesitz etwa psychisch krank ist. Das ist brisant, schließlich geht es bei Krankheiten um sehr private Informationen.

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Die FDP geht bereits gegen Faesers Pläne an, sieht das Sicherheitsrisiko eher bei der Durchsetzung des schon bestehenden Waffenrechts. Fälle von rechtsextremen Gewalttätern in der Vergangenheit zeigen, dass die lokalen Behörden oft unzureichend hart gegen Extremisten unter Waffen vorgegangen waren. Depots von mutmaßlichen Terrorzellen waren zudem gefüllt mit gestohlenen Waffen und Munition aus Beständen der Bundeswehr. Gegen kriminellen Diebstahl aber helfen keine schärferen Waffengesetze.

Reichsbürger in Uniform: Schnellere Disziplinarverfahren:

Immer wieder tauchen unter den Beschuldigten in Reichsbürger-Verfahren aktive oder ehemalige Polizisten oder Soldaten auf. Auch die Zelle um Heinrich XIII. hatte einstige ranghohe Beamte und Elite-Soldaten in den eigenen Reihen, versuchte offenbar weitere Kräfte aus den Behörden zu rekrutieren. Doch fällt ein Beamter mit verfassungsfeindlichen Aktivitäten auf, dauert es oft Monate oder Jahre, bis die Behörde Disziplinarmaßnahmen durchsetzen kann. Hier will die Bundesregierung mehr Befugnisse: Statt wie bisher aufwendige und langwierige Disziplinarklagen vor den Verwaltungsgerichten erheben zu müssen, sollen die Behörden künftig selbst Beamte zurückstufen oder sogar aus der Behörde ausschließen dürfen – bis hin zur Streichung der Pensionsansprüche. Voraussetzung: Sie können gravierende Verstöße gegen Dienstvorschriften und Verfassungstreue belegen.

Nach dem Schlag gegen die Reichsbürger-Szene: Thomas Haldenwang (l), Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, und Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, nehmen an der Sondersitzung des Innenausschusses im Bundestag teil.
Nach dem Schlag gegen die Reichsbürger-Szene: Thomas Haldenwang (l), Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, und Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, nehmen an der Sondersitzung des Innenausschusses im Bundestag teil. © dpa | Kay Nietfeld

Um sogenannte „Innentäter“ in den Sicherheitsbehörden schneller zu entlarven, soll auch eine Änderung im Hinweisgeberschutzgesetz helfen. Mit der angestrebten Reform schützt das Gesetz künftig Beamte besser, die Kollegen anzeigen, die etwa mit rechtsextremen Sprüchen in Polizei-Chatgruppen auffallen.

Bildungsfront gegen Reichsbürger: Mehr Geld vom Bund für Prävention

Seit Jahren kämpfen Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus mit einer unsicheren Finanzierung, müssen Förderungen jedes Jahr neu beantragen, hoffen auf Geld für „Modellprojekte“. Diese schwache Finanzierung der Zivilgesellschaft will der Bund nun durchbrechen und wird selbst zum zentralen Geldgeber: Die Ampel-Regierung bringt das Demokratiefördergesetz auf den Weg. Eine feste Summe soll im jährlichen Bundeshaushalt nun im Kampf gegen Radikale vorgesehen sein.

Davon profitieren Vereine, Stiftungen und auch Bildungsprogramme in den Ländern und Kommunen. Neu ist auch: Die Bildungsangebote des Bundes richten sich direkt auch Erwachsene – und nicht wie bisher nur an Kinder und Jugendliche. Wie beim Waffenrecht debattiert die Politik bereits viele Jahre über ein solches Gesetz zur Stärkung der Demokratiearbeit. Erst jetzt, nach Jahren der Diskussion, kommt Bewegung in die Sache.