Berlin. Die Regierung hat bisher wenig Erfolge im Kampf gegen Reichsbürger. Die Gefahr aber ist akut. Das hat nichts mit „Spinnerei“ zu tun.

Stellen wir uns einmal vor, folgende Pläne werden den Sicherheitsbehörden bekannt: Ein Islamist will den Bundestag angreifen, er sieht die Politikerinnen und Politiker als „Ungläubige“ an, bestellt sich über das Internet Waffenteile. Soweit das bedrohliche Szenario. Und stellen Sie sich weiter vor, diese Pläne nennen manche nun schlichtweg „irre“, oder eine „jugendliche Spinnerei“ – schließlich glaube der Islamist ja, er lande nach seinen Anschlagsfantasien als „Märtyrer“ im „Paradies“, umgeben von Dutzenden Jungfrauen, die ihn bespaßen.

„Spinnerei“? Wohl kaum. Vielmehr eine konkrete Gefahr für Menschenleben.

Es ist erschreckend, wie stark manche die Pläne des nun ausgehobenen Netzwerks von „Reichsbürgern“ als „Spinnerei“ abtun und die Umsturzfantasien als „irre“. Allen voran die AfD verharmlost als Teil einer rechten Desinformationskampagne die Gefährlichkeit der mutmaßlichen rechtsterroristischen Gruppe um den Adeligen Heinrich XIII. Prinz Reuß.

Auch radikalisierte „Amateure“ können morden

Klar, die Pläne für die Stürmung des Bundestags hätten die Republik nicht in einen tagelangen Ausnahmezustand versetzt, die Rekrutierungsversuche des Netzwerks um den selbsternannten „Prinzen“ bei Polizei und Bundeswehr fanden keinen massenhaften Zuspruch. Auch eine „Übergangsregierung“ und Pläne für „Ministerposten“ wirken eher wie ein radikales Rollenspiel unter geistig Abgedrifteten.

Doch die Gefahr ist nicht zu unterschätzen – nicht die Bedrohung durch den fantasierenden Islamisten oder den fabulierenden Neonazi. Und auch nicht die Gefahr von sogenannten „Reichsbürgern“, die die Bundesrepublik nicht anerkennen und von einem „Reich“ in den Grenzen längst vergangener Zeiten träumen.

Christian Unger, Politik-Korrespondent
Christian Unger, Politik-Korrespondent © Reto KlaR

Die Gruppe um den Reichsbürger-Prinzen hatte Waffen. Sie hatte Kontakte in die Bundeswehr und in die Polizei. Die Mitglieder waren radikalisiert, manche drangen darauf, jetzt loszuschlagen. Die Ideologie mag krude sein, die Träumereien wirken unprofessionell – und doch können Radikalisierte andere Menschen töten. Diesen Willen, politische „Gegner“ zu ermorden, soll es in der mutmaßlichen Reichsbürger-Terrorzelle gegeben haben.

Prävention: Der Blick muss stärker auf Schulen und Familien liegen

Gegen diese Szene muss der Staat vorgehen – die bundesweite Razzia jetzt mit mehr als 3000 Beamten ist ein Zeichen, dass nicht mehr gewartet wird. Dass nicht mehr weggeschaut wird, so wie es noch zu NSU-Zeiten war, als Rechtsterroristen unbehelligt agieren konnten.

Die Innenministerin will das Waffenrecht verschärfen. Die Regierung stärkt Beratungsnetzwerke und Aussteigerprogramme mit Millionen-Förderung, will radikalisierte Beamte mit einer Gesetzesreform schneller aus dem Dienst ziehen können. Diese Vorstöße sind richtig.

Lesen Sie hier: So rüstet der Staat gegen Reichsbürger auf

Aber der Blick der Politik geht im Kampf gegen Reichsbürger und andere Extremisten zu sehr auf die Menschen, die sich radikalisieren. Auf ihre Lebensläufe, ihre Bewaffnung, ihre Vernetzung. Das ist aber nur die eine Seite. Die Politik muss auch darauf schauen: Was bringt Menschen dazu, sich nicht zu radikalisieren?

Der Fokus der Regierung muss stärker auf dem Kitt liegen, der die Demokratie zusammenhält: auf Schulen, auf Jugendeinrichtungen, auf Bildungsarbeit für Erwachsene, auf die Familien. Diese Institutionen halten die Gesellschaft zusammen. Gute Schulen, starke Familien und Angebote der Weiterbildung – sie alle verhindern Radikalisierung. Gerade unter dem Schirm des Schutzes der Demokratie brauchen sie mehr Aufmerksamkeit der Politik.