Berlin. US-Regierungsbeamte warnen vor einer zunehmenden „Ukraine-Müdigkeit“. Die Sorgen vor den wirtschaftlichen Folgen des Krieges wachsen.

Sanfter Druck aus Washington: Die USA haben die Ukraine offenbar zu Verhandlungsbereitschaft mit Russland ermutigt. Die „Washington Post“ berichtet unter Berufung auf US-Offizielle, dass die amerikanische Regierung auf nicht offiziellem Wege vor einer „Ukrainemüdigkeit“ in den Unterstützerländern gewarnt habe, sollte Kiew weiter jegliche Form von Gesprächen ablehnen.

Im Westen sei die Sorge groß, dass sich der russische Angriffskrieg über mehrere Jahre hinziehen könne. Dies würde wirtschaftliche Opfer wie hohe Energiepreise und Inflation nach sich ziehen.

Die Mahnung sei nicht als Druck zu verstehen, betonten die amerikanischen Regierungsbeamten. Es handelt sich offenbar um einen Ansporn für eine Art taktische Offenheit. Wenn Kiew prinzipiell zu Verhandlungen bereit sei, sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass westliche Gesellschaften die Ukraine weiter unterstützten, erklärten die US-Offiziellen. Der Schwarze Peter liege dann beim russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Selenskyj: Gespräche mit Russland erst, wenn Putin als Kremlchef abgelöst ist

Bisher bleibt der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj konsequent bei seiner Position: Gespräche seien erst möglich, wenn Russland seine Truppen komplett von ukrainischem Boden abziehe, inklusive Krim und Donbass. Ein solcher Schritt gilt in einigen westlichen Hauptstädten als nahezu ausgeschlossen – zumindest mit Blick auf die Krim, wo die russische Schwarzmeerflotte sitzt. Zudem hatte Selenskyj zuletzt erklärt, für ihn seien Gespräche erst möglich, nachdem Putin als Kremlchef abgelöst sei.

Die amerikanische Position bei der Ukraine-Unterstützung ist komplex. Das Land ist einerseits der größte Unterstützer der Ukraine mit Zusagen über Militärhilfen im Volumen von bislang rund 18 Milliarden Dollar. Präsident Joe Biden versprach weitere Zahlungen, „solange es nötig ist“.

Republikanischer Führer im Repräsentantenhaus: Kein „Blankoscheck“ für die Ukraine

Andererseits hofft die Regierung auf eine Entschärfung der Lage, die die Weltwirtschaft belastet und Ängste vor einem Atomkrieg geschürt hat. Die US-Offiziellen räumten ein, dass Putin derzeit kein ernsthaftes Interesse an Verhandlungen habe. Aber Selenskyjs knallhartes Nein zu Gesprächen mit Moskau habe die Sorge vor wirtschaftlichen und sozialen Einbußen in Europa, Lateinamerika und Afrika erhöht.

Zuletzt waren Stimmen in den USA lauter geworden, die die zukünftige Unterstützung der Ukraine infrage stellen. Laut Umfragen nimmt vor allem bei den Republikanern die Bereitschaft zur Ukraine-Hilfe ab. Sollte seine Partei bei den Midterm-Wahlen an diesem Dienstag die Mehrheit im Repräsentantenhaus erringen, werde es keinen „Blankoscheck” für die Ukraine geben, erklärte der republikanische Minderheitsführer in der Parlamentskammer, Kevin McCarthy.

Auch in Deutschland mehren sich die Forderungen nach Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland. So sprachen sich der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ebenso wie die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, für Wege zu einem Waffenstillstand aus. Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Haltung, dass allein Kiew über Gespräche entscheide. Es dürfe keinen „Diktatfrieden“ Moskaus geben.

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USA wollen Gesprächsdraht nach Moskau nicht abreißen lassen

Außerdem hat sich herausgestellt, dass Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater des Präsidenten, seit geraumer Zeit mit Moskau eine hochkarätige Diplomatie abseits der öffentlichen Scheinwerfer führt. Wie das „Wall Street Journal” berichtet, hat Sullivan mehrfach Kontakt mit dem ehemaligen russischen Botschafter in Washington, Juri Uschakow, der als Berater direkten Zugang zu Putin hat.

Auch mit Nikolai Patruschew, dem Chef des Sicherheitsrates der russischen Regierung, gebe es Kontakte; ebenfalls ein Weggefährte Putins. In beiden Fällen gehe es dem Weißen Haus darum, trotz der Kriegssituation den Gesprächsdraht zu Moskau hinter den Kulissen nicht abreißen zu lassen und möglicherweise fatale Missverständnisse beidseitig auszuschließen, heißt es. Sullivan war es, der seinen Gesprächspartner in Moskau mit „verheerenden Konsequenten” für Russland gedroht hatte, sollte Putin den Einsatz von Nuklearwaffen befehligen.

Der Versuch Sullivan, auf die ukrainische Regierung insofern einzuwirken, dass sie nicht länger kategorisch Verhandlungen mit Putin ausschließt, folgt nach Angaben aus Regierungskreisen auch der innenpolitischen Lage in Washington. Im Falle eines möglichen Sieges der Republikaner bei den „Midterms” im Repräsentantenhaus, wird bereits ab Januar mit dezidiertem Widerstand der Konservativen gegen Bidens expansive Militärhilfe für Kiew gerechnet.

Kevin McCarthy, der designierte neue Sprecher des Repräsentantenhauses sagte, Amerika werde künftig angesichts eigener wirtschaftlicher Nöte und drohender Rezession „keinen Blanko-Scheck” mehr aussstellen. Die Trump-nahe, radikale Abgeordnete Marjorie Taylor-Greene (Georgia) kündigte rigoros an, dass die Ukraine ab Januar „keinen Penny mehr bekommt”. Sollte die USA ihr Engagement zurückfahren, kämen auf Europa größere Lasten bei der Unterstützung der Ukraine zu. (mit diha)

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.