Berlin. Die Bundesregierung will Hartz IV durch ein Bürgergeld ersetzen. Wir zeigen, was zur geplanten Reform der Grundsicherung bekannt ist.

Es ist die zentrale Sozialreform der Ampelkoalition: Ab 2023 will die Bundesregierung die Grundsicherung für Arbeitssuchende novellieren. Dann soll das Bürgergeld das umstrittene Hartz-IV-System ablösen. Den entsprechenden Referentenentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat das Bundeskabinett am Mittwoch wie erwartet auf den Weg gebracht. Nun müssen Bundestag und Bundesrat sich noch damit befassen.

Sozialreform der Bundesregierung: Wann kommt das Bürgergeld?

Das Nachfolgemodell von Hartz IV – das Bürgergeld – soll am 1. Januar 2023 in Kraft treten.

Bürgergeld: Wie hoch fällt der Regelsatz aus?

Bereits in ihrem dritten Entlastungspaket hat die Ampel-Koalition eine Anhebung des Regelsatzes um 50 Euro angekündigt. Nun wurden konkrete Zahlen bekannt: Alleinstehende Erwachsene sollen künftig 502 Euro im Monat erhalten. Der Hartz-IV-Satz liegt im Moment bei 449 Euro im Monat. Darüberhinaus sind diese Regelsätze geplant:

  • Für volljährige Partner soll es einen Regelsatz von 451 Euro im Monat geben.
  • Für Kinder im Alter von 14 bis 17 Jahren sind 420 Euro vorgesehen.
  • Für 6- bis 13-Jährige sollen es 348 Euro, für bis zu 5-Jährige 318 Euro sein.

Auch die Methode, mit der Regelsätze an die Inflation angepasst werden, soll sich ändern. Für die Neuberechnung war bislang die tatsächliche Inflationsrate erst nachträglich berücksichtigt worden. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte zuletzt von einem Paradigmenwechsel gesprochen, da sich die Sätze des Bürgergeldes dann an der bevorstehenden Teuerungsrate orientieren sollen. Damit werde verhindert, dass die Preise viel schneller steigen als die turnusmäßige Anpassung der Regelsätze.

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Hartz IV – Infos und Fakten zum Arbeitslosengeld II

  • Bedeutung: Hartz IV ist die finanzielle Unterstützung für "arbeitsfähige Arbeitssuchende" in Deutschland.
  • Einführung: Hartz IV wurde 2005 unter der grün-roten Bundesregierung von Gerhard Schröder eingeführt.
  • Empfängerinnen und Empfänger: Rund 3,6 Millionen Menschen haben laut der Bundesagentur für Arbeit im Dezember 2021 Hartz IV erhalten.
  • Sanktionen: Wenn Hartz-IV-Empfänger ihren Pflichten nicht nachkommen, können Leistungen gekürzt werden.
  • Träger: Für die Auszahlung von Hartz IV sind die Jobcenter zuständig.
  • Kritik: Kritikerinnen und Kritiker bemängeln vor allem, dass Hartz IV nicht für einen angemessenen Lebensstandard reiche – viele Empfängerinnen und Empfänger sind von Armut bedroht.

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Wird es beim Bürgergeld weiterhin Sanktionen geben?

Mit Einführung des Bürgergelds müssen Arbeitssuchende weniger Sanktionen fürchten, wenn sie nicht mit dem Jobcenter kooperieren. Solche Maßnahmen waren zwar während der Corona-Pandemie ohnehin ausgesetzt worden. Ab dem neuen Jahr werden Strafoptionen aber grundsätzlich weniger schnell und hart verhängt.

Menschen, die das Bürgergeld beziehen, wird eine „Vertrauenszeit“ von sechs Monaten gewährt. In dieser Zeit gibt es keine Leistungsentzüge, auch wenn beispielsweise Termine beim Jobcenter versäumt oder ein Stellenangebot ablehnt wird.

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Bürgergeld trotz Vermögen: Welche Grenzen sind geplant?

Weniger strenge Auflagen sollen auch in Bezug auf das Vermögen von Bürgergeld-Empfängern und -Empfängerinnen gelten. Zwei Jahre lang können sie bis zu 60.000 Euro besitzen, ohne dass die Leistungen gekürzt werden. Auch dürfen sie für 24 Monate in einer Wohnung bleiben, wenn diese eigentlich als zu groß gilt. Die Wohnkosten werden in dieser Zeit auf jeden Fall übernommen. Nach zwei Jahren Bürgergeldbezug wird die Angemessenheit des Vermögens und des Wohneigentums überprüft. Doch auch dabei soll mehr Vermögen als bisher unangetastet bleiben.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD).
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). © Getty | keuenhof

Auch die Rolle der Jobcenter wird durch die Einführung des Bürgergelds zum Teil neu ausgelegt. Sie sollen den Betroffenen künftig auf „Augenhöhe begegnen“, wie es im Koalitionsvertrag steht. Dazu gehört, dass die Wünsche einer oder eines Arbeitslosen für den weiteren Werdegang besser als bislang berücksichtigt werden. Eine Weiterbildungsprämie von 150 Euro soll für zusätzliche Anreize sorgen. Abgeschafft werden soll das Prinzip, nach dem die Vermittlung in einen Job immer Vorrang hat.

Was sind allerdings nicht ändert: Die Empfänger erhalten weiterhin das verfassungsrechtliche Existenzminimum – und nicht mehr.

Bürgergeld-Gesetzesentwurf: Was waren die Streitpunkte in der Bundesregierung?

Am Bürgergeld schieden und scheiden sich die Geister. Die Ampel-Parteien hatten immer wieder intensiv über den Gesetzesentwurf debattiert, etwa über Leistungskürzungen. Die Grünen und Teile der SPD wollten die Sanktionen abschaffen, die FDP beharrte auf eine Beibehaltung der Strafoptionen. Meinungsverschiedenheiten herrschten auch bei der Frage, anhand welcher Berechnung die Regelsätze angepasst werden sollen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) äußerte sich am Mittwoch weitgehend positiv zum Kabinettsbeschluss. „Wer seine Arbeit verliert, kann sich in Zukunft darauf verlassen, dass die vertraute Wohnung und die Ersparnisse geschützt sind“, sagte das DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. „Weiterbildungsangebote werden deutlich gestärkt und verbessert, was Arbeitslosen neue Perspektiven eröffnet und gegen Fachkräfteengpässe hilft.“ Zudem begrüßt der DGB die jährliche Anpassung der Regelsätze. Sanktion lehnt er aber grundsätzlich ab.

Bürgergeld: Die Opposition kritisiert, Kühnert kontert

Der Arbeitnehmerflügel der Unionsfraktion hat dagegen mit scharfer Kritik auf die Kabinettsentscheidung zur Einführung des Bürgergeldes reagiert. „Das Prinzip des Förderns und Forderns wird mit dem Bürgergeld ausgehöhlt“, sagte Axel Knoerig, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe der Unionsfraktion, unserer Redaktion. Solidarität sei auch im Verhältnis zum Sozialstaat keine Einbahnstraße. „Pflichten, wie vom ersten Tag an die Kooperation mit dem betreuenden Jobcenter, sind wichtig. Wer sich hier verweigert, verhält sich selbst unsolidarisch.“ Eine Leistungskürzung von maximal 10 Prozent in den ersten sechs Monaten sei kein wirkungsvolles Instrument.

Die Erhöhung der Sätze bezeichnete Knoerig in der Krise als richtig. „Das Ergebnis darf aber nicht sein, dass Arbeitnehmer mit kleinem Einkommen, wenn sie ihre Rechnungen für Heizung und Strom bezahlen, weniger in der Tasche haben als Bezieher von Unterstützungsleistungen“, mahnte der Chef des Arbeitnehmerflügels der CDU/CSU-Fraktion. Die Ampel-Koalition müsse mit wirksamen Entlastungen für einen fairen Abstand sorgen.

Einen Schritt weiter geht die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT). Auch sie lehnt den Kabinettsbeschluss ab. „Nichtleistung lohnt sich zukünftig - finanziert von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Auch von denen, die kein eigenes Auto haben und zur Miete wohnen“, sagte die MIT-Bundesvorsitzende Gitta Connemann (CDU) unserer Redaktion. Solche Maßnahmen führten aus ihrer Sicht nicht zu mehr Gerechtigkeit, sondern schürten nur Politikverdrossenheit.

Das Bürgergeld hebele zudem das Leistungsprinzip aus. „Warum sollte man morgens zur Arbeit gehen, wenn man über das Bürgergeld fast genauso viel herausbekommt?“, fragte Connemann. Hartz IV bezeichnete sie als Erfolgsmodell, das geholfen habe, die Massenarbeitslos in Deutschland zu beenden. Der Bürgergeld sei dagegen der „Einstieg in das bedingungslose Grundeinkommen.“

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat die Kritik von Union und Wirtschaftsvertretern an dem neuen Bürgergeld entschieden zurückgewiesen. „Offenbar hat man den Schuss bei einigen Arbeitgebervertretern und in der Union noch nicht gehört“, sagte Kühnert den Zeitungen unserer Redaktion. „Statt weiter das Lied von angeblich zu hohen Regelsätzen zu trällern, die Arbeit unattraktiv machen würden, sollten die Arbeitgeber endlich ihrer Verantwortung nachkommen und durch eine viel stärkere Tarifbindung attraktivere Beschäftigungsbedingungen schaffen.“

Das Ende von Hartz IV: Leistungskürzungen verfehlen laut Studie ihre Wirkung

Nachbesserungen halten auch die Sozialverbände für notwendig. Der Sozialverband Deutschland (SoVD) sieht zwar einige gute Ansätze beim Bürgergeld, zeigt sich aber von der Höhe des neuen Arbeitslosengeldes enttäuscht. Der Verband fordert daher einen Regelsatz von 650 Euro.

Ganz anders sieht das der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Das Bürgergeld demotiviert laut dem ZDH Geringverdienende. Als Ursache nannte der Verband die Anhebung des Regelsatzes sowie die milderen Leistungskürzungen.

Auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sieht diesen Punkt kritisch. Es sei eindeutig nachgewiesen, dass die Sanktionen in der Regel eine schnellere Eingliederung in den Arbeitsmarkt bewirkten, sagte IW-Ökonom Holger Schäfer dieser Redaktion.

Dabei kommt der Verein Sanktionsfrei in einer Studie zu der Einschätzung, dass Sanktionen ihre Wirkung verfehlen. Anstatt Menschen nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sorgen sie demnach für Missmut, Einschüchterung und befördern gesundheitliche Probleme. (lgr)