Brüssel/Berlin. Kommt in Deutschland ein Deckel für Energiepreise? Die Koalition berät, andere EU-Staaten haben ihn schon. Wie das dort funktioniert.

Nach den Gaspreisen explodieren hierzulande auch die Preise für Strom. Die Bundesregierung hat ein „wuchtiges“ Entlastungspaket versprochen, lässt den genauen Inhalt aber noch offen. Doch der Druck wird immer größer, auch in Deutschland den Bürgern mit einem einfachen Instrument zu helfen: Die Preise für Gas und Strom könnten vom Staat gedeckelt werden – Haushalte würden so eine bestimmte Menge an Energie zum subventionierten Preis beziehen, oder der Staat greift bereits bei den Großhandelspreisen ein.

In der Koalition macht jetzt die SPD-Bundestagsfraktion Druck: Die Preisbremse für Strom und Gas ist Teil eines Konzepts, das bei einer Klausurtagung der Fraktion bis Freitag beschlossen werden soll. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagt, er sei offen für eine Energiepreisbremse – wenn sie auf europäischer Ebene eingeführt wird. Lesen Sie auch: Energiepreispauschale: Wer die 300 Euro im September bekommt

In der Europäischen Union wird das längst diskutiert, die EU-Kommission hat bereits im Frühjahr Vorarbeiten für einen Preisbegrenzung geleistet; seinerzeit scheiterten die Pläne auch an deutschen Bedenken. Doch beim Treffen der EU-Energieminister am Freitag nächster Woche wird das Thema auf den Tisch kommen. Die Erwartungen sind hoch.

Der Sprecher der deutschen Grünen im EU-Parlament, Rasmus Andresen, macht einen konkreten Vorschlag: Europaweit solle der Gaspreis höchstens hundert Euro pro Megawattstunde betragen – ein Drittel des aktuellen Preises: „Die Gaspreise steigen im Durchschnitt immer weiter in die Höhe “, sagte Andresen unserer Redaktion. „Ohne regulatorische Eingriffe werden wir das nicht in den Griff bekommen und große Teile Europas rutschen in die Energiearmut.“ Auch interessant: Tankrabatt endet: Spritpreise ziehen sofort kräftig an

In diesen EU-Staaten gibt es schon Preisbremsen

In einigen EU-Staaten sind Preisbremsen längst Realität – teils direkt für Haushalte, teils im Großhandel. Frankreich, Rumänien, Estland, Kroatien und Ungarn haben Preisbegrenzungen bei Strom und Gas für Endverbraucher eingeführt, Slowenien bei Strom, Belgien hilft mit einem Sozialtarif einkommensschwachen Haushalten.

Beispiel Frankreich: Die Regierung hat den Strompreisanstieg auf vier Prozent in diesem Jahr begrenzt, eine Verlängerung für 2023 ist in Arbeit. Der Gaspreis ist ebenfalls mit dem im vorigen Winter beschlossenen „Tarifschild“ eingefroren, die Differenz zum Marktpreis finanziert der Staat. In Kürze folgt auch Österreich mit einer staatlich verordneten Strompreis-Bremse. Lesen Sie auch: So soll ab September bundesweit Energie gespart werden

Nun gibt es auch in Deutschland konkrete Vorschläge: So fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund in einem aktuellen Konzept, dass alle Gaskunden einen Sockelbetrag von 7000 Kilowattstunden (kWh) vergünstigt erhalten, für jede weitere Person im Haushalt zusätzlich 2000 kWh.

Ein Drei-Personen-Haushalt mit einem typischen Verbrauch von 11.000 Kilowattstunden jährlich würde demnach 990 Euro pro Jahr bezahlen und damit laut DGB mindestens 1200 Euro einsparen. Wer mehr Gas verbraucht, müsste aber den hohen Marktpreis bezahlen. Die Gesamtkosten für den Staat lägen bei elf Milliarden Euro beim aktuellen Preisniveau, könnten sich aber auch verdoppeln.

Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm plädiert für einen staatlich subventionierten Grundverbrauch bei Gas – aber zum Beispiel nur für 75 Prozent des Durchschnittsverbrauchs, damit der Anreiz zum Energiesparen erhalten bleibt.

Wirtschaftsminister Habeck lässt die Gaspreis-Bremse schon länger prüfen

Druck kommt aus den Ländern: Die Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und Manuela Schwesig (SPD) haben sich gemeinsam für einen staatlichen Preisdeckel ausgesprochen, in Niedersachsen fordert Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU), die ersten 2000 Kilowattstunden Strom und 5000 Kilowattstunden Gas für die Haushalte vergünstigt abzugeben. Im Bundestag macht sich die Linke für solche Maßnahmen stark. Auch interessant: 300 Euro Energiepauschale: Millionen Deutsche haben nun ein Problem

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) lässt seine Beamten den Gas-Preisdeckel bereits untersuchen: „Es ist ein Modell, das wir seit Längerem prüfen und das ich überhaupt nicht ausschließen will.“ Allerdings mahnt der Minister, die dafür nötigen Milliarden würden später für andere Entlastungen fehlen.

Angesichts der galoppierenden Strompreise wird auch ein anderes Modell diskutiert, was erfolgreich in Spanien und Portugal erprobt wird: Dort wird beim Strom nicht beim Endverbrauch angesetzt, sondern bei den Kosten für die Stromerzeugung in den extrem teuren Gaskraftwerken, die derzeit den Strompreis insgesamt in die Höhe treiben.

Für das Gas, das zur Stromerzeugung genutzt wird, gibt es einen Preisdeckel, die Differenz übernimmt der Staat. Der Strompreis auf der iberischen Halbinsel wurde dadurch nahezu halbiert. Diese Maßnahme steht weit oben auf der Tagesordnung, wenn die EU-Energieminister nächste Woche beraten.

Grünen-Chef im EU-Parlament: „Jetzt ist wahre Solidarität gefragt“

Das Problem: Die Interessen der 27 Länder gehen je nach Energiemix auseinander – teils macht mehr der Strompreis, teils mehr die Gasversorgung Sorgen. Die tschechische Ratspräsidentschaft will aber unter anderem einen Deckel auf die Gas-Großhandelspreise vorschlagen, dafür signalisieren EU-Länder schon Unterstützung.

Der Grünen-Europapolitiker Andresen drängt: „Jetzt ist wahre Solidarität gefragt. Nur ein EU-weiter Gaspreisdeckel führt zu Entlastung für alle.“ Es sollte aber nur der Grundbedarf vom Gaspreisdeckel abgedeckt werden, die Gaseinkaufsmenge könne auf 85 Prozent begrenzt werden. Nationale Alleingänge hält Andresen für wenig sinnvoll: „Ausschließlich die Europäische Union hat die politische und ökonomische Macht, eine Preisbremse durchzusetzen.”

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.