Berlin. Die Energiepreise steigen rasant. Der Staat muss tief in die Tasche greifen – aber nur für diejenigen, die auf Hilfe angewiesen sind.

Hohe Inflation, rasant steigende Gaspreise: Die Lasten des Ukraine-Krieges treffen die ganze Gesellschaft. Aber nicht jeder hat in gleichem Maße zu kämpfen. Klar ist: Der Staat muss in dieser Notsituation einspringen. Mit „Wumms“, wie der ehemalige Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vor zwei Jahren sein opulentes Konjunkturpaket zum Kampf gegen die Coronakrise verkauft hatte. Die öffentliche Hand kann zwar nicht alle Risiken abfedern – das würde die finanziellen Möglichkeiten der Solidargemeinschaft sprengen. Aber einen Teil.

Die Gasumlage ist zum Reizwort für die nach oben schießenden Energiepreise geworden. Zusätzlich zur üppigen Gasrechnung muss ab Oktober noch ein Extra-Betrag bezahlt werden, um die erhöhten Kosten der Importunternehmen abzudecken. Dass dies passiert, ist richtig. Denn andernfalls würden einige der Firmen, die nicht mehr auf billiges russisches Gas zurückgreifen können, pleitegehen.

Der Staat darf nicht an einer erhöhten Energie-Abgabe für die Bürger mitverdienen

Dass die EU-Kommission der Bundesregierung die Streichung der Mehrwertsteuer auf die Gasumlage verweigert, ist höchst bedauerlich. Die Ampelkoalition muss dies schnellstmöglich mit einer eigenen Ausgleichsmaßnahme korrigieren.

Michael Backfisch, Politikkorrespondent.
Michael Backfisch, Politikkorrespondent. © Reto Klar | Reto Klar

Es wäre eine Pervertierung des Systems, wenn der Staat in Zeiten wie diesen an einer erhöhten Energie-Abgabe für die Bürger mitverdienen würde. Das Geld muss zurück an die Menschen fließen. Aber bitteschön zuallererst an diejenigen, die es wirklich nötig haben, um über die Runden zu kommen. Zielgenaue Hilfe ist gefragt, nicht die Gießkanne.

Etliche Familien stünden vor der Überlegung, das Auto zu verkaufen

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung hat jetzt einen Alarmruf gestartet, der zu denken geben muss. Viele überschuldete Haushalte, denen wegen der hohen Inflation sowie der exorbitant gestiegenen Energiepreise die finanzielle Puste ausgeht, kämen im Herbst in eine existenzielle Bredouille, heißt es.

Etliche Familien stünden dann vor der Überlegung, das Auto zu verkaufen, in eine kleinere Wohnung zu ziehen oder sich einen Zusatzjob zu angeln. Menschen mit geringerem Einkommen sind am stärksten vom Preisanstieg betroffen. Sie geben prozentual mehr von ihrem Budget für Energie und Nahrungsmittel aus, wo die Preiskeule besonders hart zuschlägt.

Die Energiepreispauschale für alle Arbeitnehmer ist ein Beispiel für Gießkannen-Hilfe

Die Rede ist hier nicht nur von den Armen und Geringverdienern. Es geht auch um Angehörige der Mittelschicht, die sich vielleicht vor Jahren eine Wohnung gekauft haben, deren günstige Zinsbindung bald ausläuft – und wo der Kredit nur zu wesentlich schlechteren Konditionen weiter bedient werden kann. Aber auch wer mietet, muss künftig satte Nebenkostenabrechnungen schultern.

Diese Gruppen muss die Politik vor allem im Auge haben, wenn es um Entlastungspakete geht. Die Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro für alle Arbeitnehmer ist ein Beispiel für ungenaue Gießkannen-Hilfe. Gutverdiener brauchen diesen Zuschlag nicht.

Auch beim Kinderbonus stimmt die bisherige Entlastungs-Symmetrie nicht

Rentner mit niedrigen Altersbezügen, die von dieser Regelung ausgenommen sind, sollte hingegen unter die Arme gegriffen werden. Auch beim Kinderbonus stimmt die bisherige Entlastungs-Symmetrie nicht. Ein solventes Doppelverdiener-Ehepaar ist auf diese staatlichen Leistungen nicht angewiesen.

Vor diesem Hintergrund sollte Finanzminister Christian Lindner über seinen Schatten springen. Der FDP-Politiker will eine breite Entlastung bei der Einkommensteuer. Davon würden Topverdiener zwar nicht prozentual, aber unter dem Strich mehr profitieren als Geringverdiener.

In normalen Zeiten wäre dieses Vorhaben durchaus berechtigt. In Krisenzeiten wie diesen sollte staatliche Hilfe denen gewährt werden, die in Not sind oder denen Not droht.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.