Berlin. Die Preise steigen, nun kommt noch die Gasumlage. Schuldnerberatungen warnen, dass viele Menschen bald ihr Leben vollkommen umstellen müssen.

Deutschland steuert auf einen schwierigen Herbst zu. Infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine ist Energie knapp und teuer. Die Inflation bleibt zugleich hoch, ebenso wie die Verbraucherpreise. Die Bundesregierung hat jetzt eine Gasumlage beschlossen, um damit zusätzliche Beschaffungskosten der Gasversorger zu finanzieren.

Die Umlage für Verbraucher soll ab Oktober bei 2,419 Cent pro Kilowattstunde liegen – plus Mehrwertsteuer, wie die EU-Kommission am Dienstag klarstellte. Eine Ausnahme von der Besteuerung, wie von Berlin erhofft, ist laut Brüssel nicht möglich. Mit der Mehrwertsteuer werden nun weitere 19 Prozent auf die 2,419 Prozent fällig – also noch einmal rund 0,46 Cent je Kilowattstunde.

Besonders bei denjenigen, die jetzt schon kämpfen, um über die Runden zu kommen, wird die Gasumlage die Situation weiter verschärfen. Fachleute gehen davon aus, dass es gerade in Kombination mit den aktuell hohen Preisen und der Inflation zu einer existenziellen Krise für etliche Haushalte kommen könnte. Im Herbst dürfte es nach Einschätzung der Schuldnerberatungen somit einer Zunahme von verschuldeten Familien und Einzelpersonen geben.

Gasumlage: Für klamme Haushalte könnte es noch enger werden

„Die Gasumlage wird die finanzielle Lage der überschuldeten Haushalte in Deutschland in den kommenden Monaten noch zusätzlich verschärfen“, sagt Ines Moers, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung, unserer Redaktion. Wer sich schon jetzt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinde, werde es in den kommenden Monaten besonders schwer haben.

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Ein Grund sei, dass viele Haushalte nach zwei Jahren Pandemie ihre Ersparnisse aufgebraucht hätten und über kein finanzielles Polster mehr verfügten. Die Schuldnerberatungen, die ein Netzwerk aus rund 1400 öffentlichen Beratungsstellen in ganz Deutschland unterhalten, gehen laut Moers davon aus, „dass viele hoch verschuldete Haushalte aufgrund der allgemeinen Preisentwicklung sogar sehr grundlegende wirtschaftliche Sparmaßnahmen ergreifen werden, die Einschnitte in ihrem Leben darstellen“.

Schuldnerberaterin: Familien überlegen, ihr Auto zu verkaufen

So würden etliche Familien darüber nachdenken, in kleinere beziehungsweise günstigere Wohnungen zu ziehen, „ihr Auto zu verkaufen oder sich beruflich zu verändern, um etwa mit einem Zusatzjob ihr Monatseinkommen aufzubessern“. Die betreffenden Haushalte stellten sich darauf ein, dass sie ihre wirtschaftliche Lage erheblich verändern müssten, „um auf Dauer über die Runden zu kommen. Das ist für viele nicht leicht und oft ein langer Prozess, an dessen Anfang wir gerade erst stehen“, sagte Moers.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei der Auskunftei Creditreform. „Wir stehen vor einer Phase, in der viele Verbraucher den Gürtel wirklich enger schnallen müssen, ob sie wollen oder nicht“, sagte er unserer Redaktion.

Das gilt für klamme Haushalte und gehe „bis weit in die so genannte Mittelschicht hinein“. Denn wer etwa einen Baukredit abzahlen müsse oder anderweitig verschuldet sei, dessen Kalkulation gehe jetzt aufgrund der gestiegenen anderweitigen Kosten oft nicht mehr auf.

Inflation, Teuerung, Gasumlage: Experten rechnen mit mehr überschuldeten Haushalten

„Die Zahl der überschuldeten Haushalte wird daher in den kommenden Monaten deutlich zunehmen. Es wird mehr Familien geben, die sich schlicht die Miete, die Stromrechnung oder ihre Lebenshaltung nicht mehr bezahlen können. Hier wird sich die Politik Lösungen überlegen müssen.“ Die Gasumlage sei ein Faktor, der zu den Kostensteigerungen beitrage.

„Die Gasumlage wird die Verbraucher treffen, denn sie wird auf alle umgelegt“, sagte Hantzsch. Zugleich liefen bald viele Hilfsmaßnahmen wie der Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket aus, „diese Kosten kommen dann wieder dazu“. Viele Verbraucher stünden vor massiven Mehrbelastungen.

Zwar hat die Ampel-Regierung weitere Entlastungen versprochen, um die steigenden Preise auszugleichen. So soll der Kreis derjenigen, die Wohngeld beziehen können, deutlich ausgeweitet werden. Zum Jahresbeginn 2023 soll zudem das Bürgergeld Hartz IV ersetzen. Damit verbunden sein soll auch eine Erhöhung des Regelsatzes. Um wie viel Euro genau, ist noch nicht klar.

Forscher raten, Finanzhilfen auf Bedürftige zu konzentrieren

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) baut zudem darauf, dass eine Steuerreform die kalte Progression ausgleicht und auch die Auswirkungen von Energiekosten und Inflation lindert. Doch ob das reicht, ist fraglich. Fest steht laut Hantzsch, dass die Möglichkeiten der Politik begrenzt sind. „Der Staat kann nicht alles ausgleichen“, betont er, „wir können nicht jeden Haushalt subventionieren“.

Der Forscher rät, der Staat sollte sich auf Hilfe für diejenigen konzentrieren, deren Existenz bedroht ist. Die Gasumlage nennt er ein sinnvolles Instrument, „aber die Politik sollten sie zeitlich begrenzen und für Härtefälle unbedingt einen Ausgleich finden“.

Allein was die Inflation angeht, sind die Bürgerinnen und Bürger schon heute unterschiedlich betroffen. So belastet die Inflation Familien mit niedrigen Einkommen mit 8,4 Prozent überdurchschnittlich stark, während Singles mit hohem Einkommen die geringste Teuerungsrate von 6,4 Prozent aufweisen, wie der aktuelle Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ergeben hat.

Ärmeren Familien belastet die Inflation überdurchschnittlich, aber nicht nur sie

Doch nicht nur die ärmeren Familien belastet die Inflation überdurchschnittlich, sondern auch Familien mit zwei Kindern und mittlerem Einkommen – für sie betrug die Inflationsrate im Juli laut IMK 8,0 Prozent. Für Paare ohne Kinder mit mittlerem Einkommen kletterte die Belastung um 7,9 Prozent. Auch für Alleinlebende mit mittlerem Einkommen ergab sich ein überdurchschnittlicher Anstieg.

Die Inflationsrate lag in Deutschland zuletzt bei 7,5 Prozent – doch sie könnte sich durch die neue Gasumlage um einen Prozentpunkt erneut verteuern, prognostiziert der Instituts-Direktor Sebastian Dullien und warnt mit der IMK-Ökonomin Silke Tober vor einer weiteren Öffnung der „sozialen Schere“.

Steuerentlastungen der Ampel helfen vor allem Menschen mit hohem Einkommen

Die geplanten Steuerentlastungen bringen nach Einschätzung der beiden Fachleute indes gerade für die stark belasteten Gruppen nur wenig Entspannung: „Am stärksten entlastet würde hingegen der Personenkreis mit höheren Einkommen, der im Verhältnis weniger unter der Inflation leidet.“ Rentnerinnen und Rentner mit kleinen Einkommen würden dagegen kaum entlastet.

Andererseits können Alleinlebende, die Grundsicherung erhalten, könnten etwa durch Wohngeld und Energiepreispauschale insgesamt 90 Prozent der absehbaren Preisschübe in diesem Jahr ausgleichen. Bei Familien mit zwei Erwerbstätigen und niedrigem Einkommen sind es laut den Experten 64 Prozent, bei Alleinlebenden mit sehr hohem Einkommen 38 Prozent. Zur stärkeren Entlastung schlägt der IMK-Chef eine „weitere Energiepauschale für alle Haushalte sowie einen Preisdeckel für einen Grundverbrauch beim Gas“ vor.

Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt