Berlin. Die Gasversorgung im Winter ist gefährdet. Privathaushalte haben Vorrang, dennoch könnten viele Wohnungen im Winter kalt bleiben.

Nord-Stream-Wartung hin oder her, viele Deutsche befürchten, dass der kommende Winter kalt wird. Um die angegriffenen Gasreserven zu schonen, diskutiert die Öffentlichkeit darüber, wo Privathaushalte und Wirtschaft sparen können.

Eine kältere Wohnung muss nicht unbedingt Nachteile haben. Unterschätzen sollte man die Risiken einer unterbeheizten Wohnung aber nicht.

Schon länger wirbt das Umweltbundesamt dafür, die Heizung im heimischen Wohnzimmer herunterzuregeln: "Im Wohnbereich reicht meist eine Temperatur von 20 bis 22 Grad Celsius. In der Küche sind für gewöhnlich rund 18 Grad, im Schlafzimmer 17 bis 18 Grad Celsius ausreichend." Professor Stephan Vavrinka vom Züricher Zentrum für Gastroenterologie und Hepatologie rät sogar zum Frieren in den eigenen vier Wänden: "Eigentlich wäre es gesund, wenn wir täglich vor Kälte zittern, denn dabei wird Fettgewebe abgebaut."

Laut Bundesnetzagentur könnten die monatlichen Abschlagszahlungen für Gas im kommenden Jahr drei mal so hoch ausfallen.
Laut Bundesnetzagentur könnten die monatlichen Abschlagszahlungen für Gas im kommenden Jahr drei mal so hoch ausfallen. © Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Heizen: Gaspreise verdreifachen sich 2023

Ein weiterer Vorteil einer kühleren Wohnung sei die zusätzliche Motivation zur Bewegung. "So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe", erklärt Doktor Leonard Fraunberger von der Universität Erlangen-Nürnberg. Eine "richtige" Innenraumtemperatur gibt es ohnehin nicht. Vielmehr bestimme ein "individueller Behaglichkeits-Korridor"das Wohlbefinden, und diesen könne man durch Gewohnheiten selbst regulieren. Ratsam sei es, die Innentemperatur aber schrittweise zu dämpfen und nicht schlagartig.

Bundesnetzagentur-Präsident Klaus Müller prognostiziert im Jahr 2023 eine Verdreifachung des Gaspreises. Fürs laufende Jahr rechnet die Wohnungswirtschaft mit einem Kostenplus von 50 Prozent. Sie fordert daher eine Deckelung bei 40 Prozent der Kaltmiete und schlägt vor, den Rest mit einem staatlich finanzierten Transferfonds zu decken. In Berlin hat der Senat bereits einen 380 Millionen Euro schweren Härtefallfonds auf den Weg gebracht, um steigende Kosten für Mieter abzufedern.

Bundesregierung garantiert Gasversorgung in Privathaushalten

Die Bundesregierung will die Gasversorgung für Privathaushalte "bis zum Schluss" garantieren. Sollte Russland nach der Wartung der Pipeline Nord Stream 1 kein Gas mehr liefern, tritt Stufe drei des Notfallplan Gas ein. Dann wird zuerst der Industrie der Hahn abgedreht. Daher könnte bald am Arbeitsschutz für Angestellte geschraubt werden.

Noch sehen die Gesetze bestimmte Mindesttemperaturen am Arbeitsplatz vor. Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer erklärt: "Es zählt jedes Grad. In meiner Lagerhalle muss ich entweder 17 oder 19 Grad garantieren. Das geht vielleicht auch mit etwas weniger." Auch im Büro müssen Arbeitnehmer womöglich im Winter auf dicke Pullover zurückgreifen. Bundesarbeitsministerium und Bundeswirtschaftsministerium prüfen gemeinsam, wie Gas gespart werden kann, ohne den Gesundheitsschutz der Beschäftigten zu gefährden.

Die Gasspeicher in Deutschland sind etwas weniger voll als bislang gedacht.
Die Gasspeicher in Deutschland sind etwas weniger voll als bislang gedacht. © Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Gas sparen: Frauen und ältere Menschen leiden mehr unter Kälte

Bei der individuellen Empfindung der Temperatur spielen nach Aussagen des Deutschem Wetterdienstes über 70 Faktoren eine Rolle. Guter Schlaf, gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung helfen dabei, auch 19 Grad Celsius gut zu ertragen. Dabei unterscheiden sich die Geschlechter teils erheblich. Dank der größeren Muskelmasse produzieren Männer mehr Eigenwärme und frösteln nicht so schnell.

Vorsicht gilt bei älteren Bevölkerungsgruppen. Wie eine japanische Studie aus dem Jahr 2015 nahelegt, stehen niedrige Raumtemperaturen während des Tages in direktem Verhältnis zum häufigerem nächtlichen Harndrang, ein Faktor, der oft zu Stürzen führen kann. Indirekt leiteten die Wissenschaftler auch vermehrt Depressionen und eine höhere Gesamtsterblichkeitsrate ab.

Zu niedrige Temperaturen können auch bauliche Probleme nach sich ziehen. In kühlen Wänden gedeiht Schimmel, wenn sich warme Luft ablagert. Diese entsteht beim Kochen, Duschen und Waschen unweigerlich. Übersteigt die Luftfeuchtigkeit 60 Prozent, muss nachgeheizt und gelüftet werden. Um die optimale Raumtemperatur zu gewährleisten, empfehlen Experten daher zu digitalen Wärmereglern für die Heizung.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.