Clausthal-Zellerfeld. Forstleute ersetzen im Harz Fichten von Vorgestern mit Baumarten für Übermorgen. Dabei bringen sie innovative Technik und neue Ressourcen zum Einsatz.

Der Umbau der Harzwälder schreitet mit großen Schritten voran – getrieben vom Klimawandel, der in den Fichtenwäldern seine zerstörerische Kraft entfaltet. Der Klimawandel wirkt gleichsam als Katalysator und diktiert mit rasantem Tempo den Neubeginn, informieren die Niedersächsischen Landesforsten.

Sie reagieren auf das Fichtensterben 2.0 mit einer forcierten Wiederbewaldung. Innovationen aus der Weltraumforschung und der Einsatz von Drohnen helfen den Harzer Forstleuten ebenso wie neue Ressourcen an Pflanztechnik, hochwertiges Saatgut und Baumarten mit besseren Überlebenschancen.

Auslaufmodell Fichte: Das sind die neuen Bäume im Harzwald

„Der Harzwald mit Fichten bis zum Horizont ist ein Auslaufmodell“, sagt Ralf Krüger. „Wir ersetzen laufend die vielerorts abgängigen Nadelwälder. Sie sind Relikte aus der Holznot im 19. und 20. Jahrhundert und haben den 1985 begonnenen ökologischen Waldumbau überdauert. Die Zukunft gehört alten bekannten Baumarten wie Ahorn, Buche, Birke, Eiche, Erle, Elsbeere, Linde, Ulme und Lärche, Douglasie, Kiefer“, zählt der Forstamtsleiter vom Forstamt Clausthal auf.

„Als Newcomer liegen seit vier Jahren verstärkt Roteichen und Weißtannen in unserem Baukasten der Baumarten für Übermorgen“, ergänzt Krüger das Sortiment an Waldbäumen, mit denen die Harzer Forstleute die Fichten von Vorgestern kompensieren. Der chronische Mangel an Pflanzen, eine kurze Pflanzsaison und permanente Störungen durch Stürme und Borkenkäfer seien nur einige Hindernisse bei der Wiederbewaldung.

Drohnen streuen Samen, Satelliten machen Fotos

Jüngst erprobten Forstleute gemeinsam mit Wissenschaftlern erstmalig den Einsatz einer Drohne zur Aussaat von Erlen-, Birken- und Hochlagen-Fichtensamen. Im steilen Gelände oberhalb von Sieber starten sie einen Versuch, um sieben Hektar neuen Wald zu begründen, der am Höhenzug Auf dem Acker von Borkenkäfern zerstört war.

Försterin Marlies Büttner prüft eine Tannensaat. Nach einem Jahr misst der Winzling acht Zentimeter.
Försterin Marlies Büttner prüft eine Tannensaat. Nach einem Jahr misst der Winzling acht Zentimeter. © NLF | Niedersächsischen Landesforsten

Zum Forst-Alltag gehören weiterhin Fotos aus dem Weltall. Satellitenkameras liefern Bilder von gesunden und abgestorbenen Bäumen, erfassen Freiflächen und nachwachsenden Wald – wichtiges Datenmaterial und Hilfestellung, um Waldverluste zu berechnen, Aufforstungsflächen zu ermitteln und den Bedarf an neuen Pflanzen zu bestellen.

Harzer Mischwald soll im Jahr 2100 flächig sein

„Ein Baustein bei unserer Strategie, den künftigen ,Harzwald 2.1’ bis Ende des 21. Jahrhunderts zu transformieren, ist zum Beispiel die Weißtanne“, so Forstwissenschaftler Hans-Martin Hauskeller. „Wir setzen verstärkt Weißtannen als Containerpflanze mit Mutterboden und kompakter Wurzel bereits im Spätsommer. Konventionelle, wurzelnackte Baumschul-Setzlinge würden dann vertrocknen und können nur von Herbst bis Frühjahr gepflanzt werden“, erklärt der Leiter der Abteilung Wald und Umwelt in der Betriebsleitung der Landesforsten.

Eine umfunktionierte Baumerntemaschine sät im Harz Weißtannen aus den Karpaten.
Eine umfunktionierte Baumerntemaschine sät im Harz Weißtannen aus den Karpaten. © NLF | Niedersächsischen Landesforsten

Zudem werden Weißtannensamen mit einem Bagger und neuerdings sogar mit einem Harvester in den Waldboden verteilt. „Die Nadelbäume gelten als weniger trockenanfällig, wurzeln tiefer als Fichten und vertragen sich gut in einem Mischwald, den wir spätestens im Jahr 2100 flächig anstreben“, sagt Hauskeller. „Bei den bisherigen Aussaaten hat sich gezeigt, dass Weißtannen aus den Karpaten bei uns besser gedeihen als aus dem Bayrischen Wald oder Schwarzwald.“

Rekordpflanzungen für unsere Kinder und Enkel

Eine andere Innovation ermöglicht es, übergroße Bäume zu pflanzen. Da kleine Pflanzen am Markt begehrt und schwerer zu bekommen sind, weichen Forstbetriebe auf mannshohe Baumschulpflanzen aus. Diese „Heister“ benötigen ein großes Pflanzloch, das nur ein Kleinbagger herstellen kann. Sind die abgestorbenen Fichten von der Fläche geräumt, können Eichen-Heister nahtlos die nächste Waldgeneration bilden. Ob Winterfrost, Sommertrockenheit oder feuchte Füße – Eichen gelten als Zukunftsbäume, denen im Szenario der Erderwärmung höhere Überlebenschancen zugesprochen werden.

Ein rumänisches Forstarbeiter-Paar setzt Traubeneichen-Heister nahe der Försterei Rehhagen bei Herzberg.
Ein rumänisches Forstarbeiter-Paar setzt Traubeneichen-Heister nahe der Försterei Rehhagen bei Herzberg. © NLF | Niedersächsischen Landesforsten

„Letztlich weiß keiner wohin die Reise mit dem Klimawandel geht. Wir haben 2022 wieder einen Rekord in den vier Harz-Forstämtern aufgestellt und 2,3 Millionen neue Bäume im Landeswald gepflanzt. Mit einer größtmöglichen Vielzahl an unterschiedlichen Baumarten streuen wir das Risiko, falls bestimmte Arten das Rennen nicht schaffen“, zieht Ralf Krüger seine Bilanz der Pflanzsaison. „Unsere Kinder und Enkel werden hoffentlich von der mutigen Entscheidung profitieren, dass wir nicht alles auf die eine Karte setzen, die lautet: Die Natur hilft sich selbst!“