Berlin. Die gewaltsamen Corona-Proteste zeigen: Es geht vielen nicht um Freiheit, sondern um den Systemsturz. Die Demokratie muss sich wehren.

Es gibt ein großes Missverständnis. Eine Fehleinschätzung durch Regierungen und Sicherheitsbehörden. Der Fehler gründet auf dem naiven Glauben, dass es allen sogenannten Corona-Leugnern und Querdenkern vor allem um einen „Kampf gegen die Pandemie-Maßnahmen“ gehe. Um „ihre Freiheit“.

Noch schlimmer: Manche Verantwortlichen behaupten noch immer, es seien nur „besorgte Bürger“, die Angst hätten, ihr Recht auf eine freie Entscheidung zu verlieren. Die Sorge haben vor einem „Impfzwang“.

Es geht um den Systemsturz – nicht um Corona

Das ist vor allem eines: eine leichtgläubige oder bewusste Verharmlosung. Große Teile der „Anti-Corona-Proteste“ waren von Beginn an von Personen gesteuert, die ein größeres Ziel hatten: eine Agenda gegen „die Mächtigen“, gegen die „Etablierten“. Es ging niemals vorrangig um Corona.

Die Pandemie war das Werkzeug der „Querdenker“, um gegen „das System“ mobilzumachen. Nicht umsonst war ihr Schlagwort „Corona-Diktatur“. Es ist ein Angriff auf die Demokratie – nicht auf die Impfspritze.

Rechtsextremisten führen die Proteste an

Christian Unger fordert eine wehrhafte Demokratie.
Christian Unger fordert eine wehrhafte Demokratie. © Reto Klar | Reto Klar

Fachleute beobachten die Szene seit Jahren, warnen vor Rechtsextremisten, die den Demonstrationszug anführen. Im August 2020 stürmen Hunderte auf den Reichstag in Berlin. Erst acht Monate später beobachtet der Verfassungsschutz die Gruppierung.

Antisemitismus und Verschwörungsideologien prägten das Bild dieser Bewegung. Wenig davon ist mit „Sorgen von Bürgern“ zu erklären. Es marschiert dort auch nicht „das Volk“. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland steht hinter den Maßnahmen der Regierung.

Natürlich gilt: Nicht jeder, der bei Querdenker-Protesten mitläuft, ist ein Umstürzler oder Verschwörungserzähler. Aber er macht sich mit deren Ideologien – wenn er kritiklos mitmarschiert – gemein. Lesen Sie auch: Wie stark mobilisiert die „Querdenken“-Bewegung?

„Querdenker“ sind die falschen Verbündeten

Die Pandemie hat Einschnitte in die Rechte der Menschen notwendig gemacht, die wir so noch nicht kannten in unserer Geschichte. Wer wütend ist, darf auf die Straße gehen. Wer mehr Freiheit will und weniger Kontrolle, kann protestieren. Nur sind die „Querdenker“ die falschen Verbündeten.

Jetzt ist der Aufschrei groß in der Politik: Man werde den extremistisch gesteuerten Protest nicht länger hinnehmen. Diese Reaktion kommt spät. Die Szene hat sich längst formiert, einzelne greifen Polizei, Reporterinnen und Reporter vor Ort gezielt an, andere ziehen mit Fackeln vor Privathäuser, rufen zu Gewalt gegen Landeschefs und Bürgermeisterinnen auf. Lesen Sie mehr: Eskalation bei Corona-Maskengegnern: Gewalttaten schockieren

Im thüringischen Greiz kam es bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen zu Gewaltausbrüchen. 14 Polizisten wurden verletzt.
Im thüringischen Greiz kam es bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen zu Gewaltausbrüchen. 14 Polizisten wurden verletzt. © dpa | Bodo Schackow

Schon bei Pegida dockten Extremisten an

Das alles kommt nicht überraschend. Das alles ist bekannt: In den Jahren der Fluchtkrise gründete sich die Bewegung Pegida. Apokalyptisch nannten sie sich „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Auch hier dockten früh extreme Akteure an. Auch hier dauerte es zu lange, bis die Behörden die Gefahr klar benannten.

Radikalisierung verläuft selten geradlinig. Das gilt für Einzeltäter wie für Gruppen. Die Corona-Proteste hatten Phasen, in denen Zehntausende demonstrierten. Nicht alle waren rechts, viele auch Hippies und Esoteriker, gerade in Westdeutschland. Als die Inzidenzen niedrig waren und Corona in die politische Sommerpause ging, flachte die Bewegung ab.

Doch der Kern blieb bestehen, radikalisierte sich weiter. Das Ziel immer vor Augen: Systemsturz.

Radikale Querdenker: Die Demokratie muss sich wehren

Nun steht die Politik vor einem „Potenzial“ an Radikalen, das nur noch schwer zu kontrollieren ist. Was nun nur noch hilft, ist hartes Durchgreifen des Staates, etwa wenn Journalisten angegriffen werden. Aber auch bei vermeintlichen Kleinigkeiten darf nicht weggesehen werden, etwa wenn bei Demonstrationen Auflagen nicht erfüllt werden.

Es braucht zudem Angebote für radikalisierte Corona-Leugner für einen Ausstieg aus der Szene. Es braucht „digitale Straßenarbeit“ in den Online-Chatgruppen, in denen Hetzer agieren. Eine Demokratie muss sich wehren – und nicht wegschauen.